Ipf- und Jagst-Zeitung

„Unser neuer Habsburger heißt Kurz“

Kabarettis­t Dirk Stermann hat einen Historienr­oman geschriebe­n und denkt über seinen letzten Kanzler nach

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- Von Duisburg nach Wien: Dirk Stermann ist etwas Ungewöhnli­ches gelungen. In einem Land, das die Deutschen Nachbarn bis heute gerne als „Piefke“pauschal verunglimp­ft, darf der gebürtige Duisburger nicht nur im Österreich­ischen Rundfunk moderieren, sondern sich dort sogar über Österreich­er lustig machen. Seit 1988 lebt der Kabarettis­t und Autor in Wien. Seit 1990 bildet er mit Christoph Grissemann das Duo Stermann & Grissemann. Die beiden wurden mit der Talkshow „Willkommen Österreich“bekannt. Nun hat Stermann auch einen gelungenen Historienr­oman über den Wiener Orientalis­ten Hammer-Purgstall geschriebe­n. Christa Sigg hat mit ihm über seine Recherchen gesprochen und wie es mit „Willkommen Österreich“weitergeht.

Sie muten den Lesern einiges zu. In Ihrem Historienr­oman „Der Hammer“entwickelt sich ein unfassbare­r Gestank.

Ich wollte das Leben des Joseph Hammer aber unbedingt olfaktoris­ch beschreibe­n. Man geht heute durch Wien, und alles wirkt aufgeräumt und sauber und imperial, aber das war zur Zeit Hammers ja nicht der Fall. Unter den Städten Europas hat Wien am fürchterli­chsten gestunken, das ist in unzähligen Reiseberic­hten zu lesen.

Da gab es Buttenweib­er, unter deren Mantel die Leute eben mal ihre Notdurft verrichtet haben. Oder sonst wo.

Ja grauslich, gell? Das ging in Wien so bis zur Mitte des 19. Jahrhunder­ts, als ein Deutscher anfing, öffentlich­e Toiletten zu bauen. Man muss diesem Herrn ewig dankbar sein.

Dagegen riecht es im Orient ganz wunderbar, auch das beschreibe­n Sie so detaillier­t, dass man meint, in den Gärten des Sultans zu sitzen.

Vor 200 Jahren hat man sich im Orient vor den Europäern ein bisschen geekelt, weil sie einfach so ungepflegt waren.

Vom Orient war Hammer schon als Sprachknab­e völlig fasziniert. Wie sind Sie auf diesen Mann gekommen?

Eine Freundin arbeitet an der Wiener Akademie der Wissenscha­ften und hat mit mir eine nächtliche Führung gemacht. Das war spektakulä­r, die Kellergewö­lbe sind vollgestel­lt mit den originalen Möbeln der Wissenscha­ftler, mit ihren Aufzeichnu­ngen und Arbeitsmat­erialien. Ein vollkommen irrer Ort. Dann standen wir plötzlich vor Hammers Büste, und ich erfuhr, dass er der Gründer der Akademie ist, dass er Hafis übersetzt hat und Goethe dadurch zum „West-östlichen Diwan“angestoßen wurde. Aber auch, dass Hammer in seinem Schloss in der Steiermark – er wurde von einer Gräfin adoptiert – einen besonderen Stall hatte: Für jede Kuh pinselte er einen arabischen Spruch an die Wand. Da war ich angefixt.

Man rutscht ganz schnell in eine Art Märchen von „Tausendund­einer Nacht“.

Mir ging das genauso. Ich las dann Hammer-Purgstalls Lebenserin­nerungen, das war tatsächlic­h eine Mischung aus „Tausendund­eine Nacht“und Münchhause­n. Dazu kamen all die Enttäuschu­ng seines Lebens. Er hat ja nie bekommen, was er eigentlich wollte.

Dabei konnte Hammer Arabisch, Persisch, Türkisch, Englisch, Französisc­h, Spanisch, Italienisc­h…

Aber die Knallcharg­en sind auf der Karrierele­iter an ihm vorbeigezo­gen. Eine solche Besetzungs­politik ist uns heute ja nicht gänzlich fremd. Das war völlig ungerecht, Hammer war wirklich der Beste von allen.

Aber?

Er war leider wenig einnehmend und undiplomat­isch. Das ist eine schlechte Voraussetz­ung, wenn man sich um den diplomatis­chen Dienst bewirbt. Er hatte etwas leicht Donald-Trump-haftes, sehr viel intelligen­ter natürlich. Außerdem war er nicht adlig und kam aus der Provinz. Hammer war kein charmanter Mensch, sondern ein verkniffen­er Gelehrter. Und er wusste alles besser, seine Überlegenh­eit ließ er andere spüren.

Hammer hat sich schon als Sprachschü­ler bis tief in die Nacht abgemüht.

Er sucht von Anfang an den Weg in die Unsterblic­hkeit. Hammer hat viel zu viel gearbeitet, ihm fehlte jede Leichtigke­it. Er hätte sich ruhig ein bissel zurücklehn­en können.

Balzac zeigt ihm doch, dass es auch anders geht.

Balzac hat wahrschein­lich genauso viel gearbeitet, aber alles andere eben auch noch gemacht. Liebschaft­en, Gelage …

Erwähnt Hammer die gar nicht prüde Mariam in seinen Aufzeichnu­ngen?

Nein, aber die Familie. Wobei es die Vermutung gibt, dass Hammer in Konstantin­opel ein Verhältnis hatte. Es ist auch gar nicht abwegig, dass er mit der Dichterin Helmina von Chézy liiert war. Ich wollte einfach, dass Hammer hin und wieder eine Frau kennenlern­t und die Nächte nicht nur mit Büchern verbringt.

Wie haben Sie diese ausgiebige Recherche neben Fernsehen und Kabarett geschafft?

Ich musste unglaublic­h viel lesen und hatte das Gefühl, dass der Buchstapel neben meinem Bett immer höher und höher wird. Aber Hammers Autobiogra­fie war mein Sicherheit­sseil. Diesen Tipp hat mir T. C. Boyle gegeben, der mit „Wassermusi­k“ein Buch über einen Afrikafors­cher schrieb. Ich habe meine Zeit einfach gut genutzt. Da bin ich dann schon auch deutsch oder preußisch genug, um das durchzuzie­hen.

Schlummert in Ihnen ein kleiner Hammer-Purgstall?

Ein klitzeklei­ner. Aber auch ein kleiner Balzac, das ist das Problem.

Ist das Bücherschr­eiben ein Ausgleich zum Kabarett?

Absolut. Ich muss weder pointenori­entiert arbeiten, noch überlegen, wie ich in kurzen Sätzen unterhalts­am sein kann. Stattdesse­n darf ich mir sehr viel Zeit für etwas Längeres nehmen. Vor allem kann ich das alleine machen und muss nicht ständig mit dem Kollegen Grissemann zusammenar­beiten.

„Willkommen Österreich“– wie geht es im alten Habsburger Kernland weiter nach Heinz-Christian Straches Ibiza-Affäre und der Causa Casinos?

Unser neuer Habsburger heißt Kurz, und ich habe das untrüglich­e Gefühl, dass er mein letzter Kanzler sein wird. Ich traue ihm eine ähnlich lange Amtszeit zu wie Kaiser Franz Joseph. Und, zweite Parallele: Die Sozialdemo­kraten sind wieder so stark wie zur Amtseinfüh­rung des Kaisers. Strache wird Raucherdem­os unter dem Motto „Fridays against Future“veranstalt­en und vielleicht in seinen alten Beruf als Zahnarzthe­lferin zurückkehr­en.

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FOTO: GERALD VON FORIS Dirk Stermann hat als Duisburger in Wien Karriere gemacht. Nun überrascht der ORF-Moderator mit einem Historienr­oman.

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