Ipf- und Jagst-Zeitung

In Aalen die Leidenscha­ft verloren

Peter Vollmann spricht im Interview über den VfR und Heidenheim.

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- Peter Vollmann (62) steht in der Fankneipe „Wahre Liebe“und zeigt auf die Worte, die Eintracht Braunschwe­ig ausmachen. „Leidenscha­ft verbindet“. Die Sache mit der Leidenscha­ft kommt auch beim Thema VfR Aalen auf. Er ist der Rekordtrai­ner der 3. Liga (237 Spiele) und er hat auch in Aalen (123 Drittligas­piele mit einem Punkteschn­itt von 1,35), seiner letzten Station als Trainer, seine Spuren hinterlass­en. Doch nach vielen Jahren an der Seitenlini­e, zahlreiche­n Erfolgen und natürliche­rweise auch Misserfolg­en hatte er letztlich genug. Die ersten vier Jahre hat er noch im Amateurber­eich trainiert bevor er am 1. Juli 1993 bei Rot-Weiß Lüdenschei­d zum ersten Mal als Profitrain­er an der Seitenlini­e stand. „Ich habe mal versucht alle meine Spiele im In- und Ausland zusammen zurechnen, dann komme ich über die tausend Spiele Grenze“, sagt Vollmann. Doch nach vielen Jahren hat er genug von einem Job in der unmittelba­ren Schusslini­e. Seit dem 17. Juni 2019 ist er als Sportdirek­tor bei Eintracht Braunschwe­ig im Amt. Oh Wunder, wieder in der 3. Liga. Unsere Sportredak­teure Sebastian van Eeck und Benjamin Post haben den sympathisc­hen und redefreudi­gen Peter Vollmann an seiner neuen Wirkungsst­ätte getroffen und sich mit ihm über seine Ziele mit Eintracht Braunschwe­ig, den VfR Aalen, fehlende Leidenscha­ft und ein mögliches bevorstehe­ndes Comeback auf der Ostalb unterhalte­n.

Herr Vollmann, bei unserem letzten Aufeinande­rtreffen waren Sie noch Trainer des Drittligis­ten VfR Aalen, zugegeben es war ihr letztes Spiel am 12. Mai 2018 als solcher gegen Wehen Wiesbaden. Nun sind Sie Sportdirek­tor bei Eintracht Braunschwe­ig. Wie kam es dazu?

Nach dem Wechsel von Andrè Schubert als Trainer nach Kiel ging alles sehr schnell. Ich bin Mitte Juni das erste Mal auf der Geschäftss­telle der `Löwen` gewesen, nach dem CoTrainer Christian Flüthmann zum Cheftraine­r befördert wurde. Die Eintracht suchte einen Sportdirek­tor, wir haben uns unterhalte­n und schnell zueinander gefunden.

Was halten Sie denn generell von einem Trainer und einem Sportliche­r Leiter in Personalun­ion? Dieses Modell fährt beispielsw­eise auch ihr ehemaliger Klub, der VfR Aalen.

Dieses Modell hängt sehr oft auch von den wirtschaft­lichen Mitteln und auch mit der Größe des Vereins zusammen. Der Trainer kann im heutigen Fußball nicht alles alleine leisten, daher benötigt er einerseits einen verlässlic­hen Partner und anderersei­ts sollte es im Verein eine übergeordn­ete Person geben die für die sportliche Gesamtentw­icklung federführe­nd verantwort­lich ist. Das Modell hat seinerzeit zwischen Markus Thiele und mir beim VfR Aalen auch gut funktionie­rt. In meinen früheren Stationen gab es dieses Modell nicht immer, deswegen musste ich als Trainer immer wieder die Aufgaben eines Sportdirek­tors mit erledigen. Die Position ist nicht neu für mich und das entspreche­nd Netzwerk dafür habe ich selbstvers­tändlich auch. Grundsätzl­ich denke ich aber, dass die Zeit der One-ManShow vorbei ist.

Klingt nach keinem Plädoyer für dieses Modell?

Der Vorteile eines Sportdirek­tors sind, dass er mehr Zeit, hat die Prozesse ohne den täglichen Trainerstr­ess rund um die Mannschaft mit der nötigen Ruhe begleiten und bewerten zu können. Zudem muss ich mich nicht mehr an irgendwelc­he Mannschaft­szeiten halten und habe prinzipiel­l nicht viel mit den fußballeri­schen Inhalten zu tun. Allerdings gehe ich immer noch oft zum Trainingsp­latz. Ein Sportdirek­tor muss den Chef-Trainer entlasten, ihm den Rücken frei halten, aber er muss auch eigene Formate für die Weiterentw­icklung der Mannschaft und die sportliche Zukunft des Vereins im Blick haben.

Ist eine Trennung vom Chef-Trainer mit einem Sportdirek­tor einfadesli­ga

cher, so geschehen vor kurzem in Braunschwe­ig.

Einfach ist eine Trennung nie, aber man wird nicht führungslo­s, das ist sicherlich ein Vorteil. Bei der Kaderplanu­ng sollte man als Sportdirek­tor die Mannschaft so gestalten, dass dieser nicht ausschließ­lich auf einen Trainer passt. Wir haben es bei uns gesehen. Unser neuer Trainer Marco Antwerpen, der am 18. November anfing, hat eine andere Philosophi­e als sein Vorgänger. Aus diesem Grund sollte der Kader so flexibel wie eben möglich sein, damit im Falle eines Falles der neue Trainer mit dem vorhandene­n Spielern seine Veränderun­gen noch einbringen kann. Trotzdem muss es so sein, dass Neuverpfli­chtungen nur mit Zustimmung des jeweiligen Chef-Trainers verpflicht­et werden können. Eine weiter große Herausford­erung ist natürlich unsere Jugendarbe­it im Nachwuchsl­eistungsze­ntrum.

Stichwort Jugendarbe­it. Das ist auch in Aalen immer wieder ein Thema. Zuletzt wurde mit Julian Rümmele wieder ein Spieler von der A-Jugend zu den Profis hochgezoge­n. Zwischen Hannover und Wolfsburg gönnen Sie sich in Braunschwe­ig ein Nachwuchsl­eistungsze­ntrum (NLZ). Wie ist da die Durchlässi­gkeit?

Diese NLZs sind ein Stück weit natürlich politisch gewollt und in den vergangene­n Jahren wurde bei uns erheblich Geld in die Nachwuchsa­rbeit investiert. Im Jahr kostet uns das NLZ weit über 1 Millionen Euro. Das können wir uns in diesem Umfang auch nur leisten, wenn wir im kommenden Jahr nicht mehr in der 3. Liga spielen. Sonst wird auch da ein Umdenken erfolgen müssen. Generell ist es natürlich auch so, dass wir aus diesem Nachwuchsl­eistungsze­ntrum in letzter Zeit keinen Spieler in unseren Kader integriere­n konnten. Wenn es hoch kommt, ist es vielleicht mal einer. Dafür gibt es verschiede­ne Gründe. Es ist natürlich auch schwierig mit der Konkurrenz im Rücken, die es rechts und links neben uns gibt, auf dieser Ebene ständig Spieler zu generieren. Das Wolfsburg als Bundesligi­st andere Maßstäbe anlegt als wir das können, liegt auf der Hand.

Ihr ehemaliger Klub VfR Aalen spielt nun in der Regionalli­ga, diese drohte auch Braunschwe­ig. Nur um ein Tor im letzten Spiel gegen Energie Cottbus wurde diese vermieden. Ein Abstieg wäre wohl ein Horror für die Eintracht gewesen?

Es ist gar nicht auszumalen, was das für Braunschwe­ig bedeutet hätte. Wir sind in der vergangene­n Saison mit zwei blauen Augen davon gekommen, wenn nicht sogar mit dreien. Der Verein hat dafür aber auch im Winter mehr als eine Million Euro investiert und viele erfahrene Spieler geholt. Das wäre in Aalen so auch nie möglich gewesen. Das Investment hat sich gelohnt, da wir in der Liga geblieben sind. Aber so etwas hinterläss­t natürlich immer Spuren.

Wie sind die Ziele in diesem Jahr? Als Trainer sind Sie ja 2002 bei ihrem ersten Engagement in Braunschwe­ig schon einmal in die 2. Bunaufgest­iegen.

Wir wollen oben mitspielen und in den nächsten zwei Jahren wieder aufsteigen. So haben wir unser Ziel formuliert. Wenn es dieses Jahr passieren sollte, dann wäre es optimal, aber wohl auch ein glückliche­r Umstand. Die Konkurrenz ist groß, die Liga sehr eng und die Zweitligaa­bsteiger sind die Favoriten.

Bei einem Aufstieg in die 2. Liga wäre auch ein Comeback auf der Ostalb möglich, denn dort spielt derzeit der 1. FC Heidenheim.

Das wäre eine schöne Fußball-Geschichte.

Wie bewerten Sie die Entwicklun­g des FCH?

Man muss einfach sagen, dass alle Verantwort­lichen seit Jahren einen sehr guten Job machen. Ob im Trainerode­r auch im Management­bereich: Was die dort betreiben, das ist schon Extraklass­e. Heidenheim ist ja auch nicht München oder Stuttgart, sondern eher ein kleinerer Verein. Der FCH ist für mich im Moment ein Spitzenklu­b der 2. Liga und ich glaube auch, dass sie im Winter den letzten Schub aktivieren werden, um den Aufstieg in die Bundesliga zu realisiere­n. Der Club kann das wirklich schaffen. Das wäre dann eine außergewöh­nliche Sache und mit wenigen anderen Clubs vergleichb­ar. Noch am ehesten vielleicht mit Paderborn.

Um dann Braunschwe­ig noch ein weiteres Jahr aus dem Weg zu gehen?

(lacht) Nein, man muss einfach die Arbeit sehen, die in Heidenheim geleistet wird. Ich traue ihnen absolut den Aufstieg in die Bundesliga zu. Es ist kein Skandalklu­b, sie wissen genau was Sache ist, die Kompetenze­n sind klar geregelt und sie wissen, wie man kontinuier­lich etwas aufbaut. Heidenheim ist bodenständ­ig und hebt auch nicht ab.

Von Heidenheim aus betrachtet 25 Kilometer entfernt, da verlief nicht alles so reibungslo­s. Noch heute hört man in Aalen und Ellwangen oft, als Sie gingen, da ging der Abschwung beim VfR los.

Ich glaube, die handelnden Personen haben das Ganze nicht mit böser Absicht gemacht, sondern wollten einfach unbedingt einen jüngeren Trainer (gemeint ist Vollmanns Nachfolger Argirios Giannikis (39), Anm. d. Red.) und damit einen neuen Spielstil auf den Verein und die Mannschaft übertragen.

Das ging schief.

Ich habe, so denke ich ziemlich genau gewusst, was man mit der Mannschaft spielen lassen kann. Da habe ich mich immer an die Realität gehalten, das war ja auch in den drei Jahren nicht unerfolgre­ich. Die Personen, die diese Veränderun­g herbeigefü­hrt haben, die haben diese Realität vielleicht ein Stück weit

unterschät­zt.

Wie meinen Sie das?

Damals hat mich ein junger und emotionale­r Mann im VIP-Raum angesproch­en, der da meinte: Bin ich froh, dass wir im nächsten Jahr endlich einmal offensiven Fußball sehen werden. Da habe ich gedacht, der weiß nicht was mit dem Team und dem Verein machbar ist. Wenn ein Trainer offensiv denkt und der Club das auch wünscht, gibt es keinen Automatism­us, der das auch garantiert. Der Wunsch kann keine Grundlage für das Format einer Mannschaft sein, ganz so einfach geht Fußball nicht, der junge Mann wird das möglicherw­eise heute auch eingesehen haben. Ich hatte da eine andere Einschätzu­ng und das hat die Mannschaft, bis auf wenige Ausnahmen, auch so mitgetrage­n. Wenn wir unter meiner Führung alle nach vorne gelaufen wären und offensiver agiert hätten, dann wäre die Gefahr groß gewesen, dass auch ich mit dem VfR Aalen abgestiege­n wäre.

Was wäre denn realistisc­h gewesen? Als Sie gingen, beendete der VfR die Drittliga-Saison als Tabellenzw­ölfter – jetzt ist er 14. in der vierten Liga.

In einer guten Saison besser als Platz zehn und in einer nicht so guten Saison schlechter als Platz zehn mit etwas Abstand auf die Abstiegsrä­nge. Klar, kann man immer mal eine herausrage­nde Saison spielen, so wie in der Saison mit der Planinsolv­enz 2017. Aber das über ein ganzes Jahr zu halten ist schwer genug, geschweige denn über mehrere, das ist mit diesem Klub und den Mitteln nicht immer möglich. Dennoch hat sich nach dem Weggang von Markus Thiele eine Gruppe gebildet, die das anders gesehen hat.

Ärgert Sie dieses etwas unrühmlich­e Ende in Aalen?

Das Ergebnis ist, wie es ist und es war nicht unrühmlich. Trotz der frühen Entscheidu­ng seitens des Vereins wurde die Klasse sicher gehalten. Ich bewerte das unter diesen Umständen immer noch als einen komfortabl­en Abschluss.

Sie wurden dann Experte beim Pay-TV-Sender der Telekom, Magenta Sport. Wie war der Seitenwech­sel?

Es war hochintere­ssant, ich habe das Jahr sehr genossen und wollte auch ein Jahr keinen Trainerjob annehmen. Dennoch hatte ich vier Angebote als Trainer – auch wieder in Liga drei, die ich abgelehnt habe. Generell habe ich mich im Laufe dieser Zeit als Experte entschiede­n, im Fußball auch eine andere Position zu übernehmen, wenn sich die Möglichkei­t dazu ergibt. Bei Magenta noch weiter als Experte zu arbeiten, hätte ich ohne zu zögern auch gemacht. Doch dann kam das Angebot aus Braunschwe­ig.

Warum haben Sie sich gegen das Traineramt entschiede­n?

Die drei Jahre in Aalen, aber vor allen Dingen das letzte halbe Jahr in der Saison 2017/2018 haben beruflich und auch privat sehr viel Kraft gekostet, so das mir die letzte Leidenscha­ft für den Job abhanden gekommen ist. Dieses ständige Aufreiben in der alltäglich­en Arbeit, wo sogar seriöse Widersprüc­he zuletzt nicht mehr akzeptiert worden sind. Das nimmt dich persönlich mit und kostet unglaublic­h viel innere Substanz. Das darf man sich nicht anmerken lassen. Meine Stärke die Ruhe nicht zu verlieren hat mir geholfen, in dieser Zeit die Konzentrat­ion hoch zu halten. Im Rahmen meiner Tätigkeit bei Magenta Sport habe ich dann gemerkt, dass die Leidenscha­ft leider nicht zurück gekommen ist, ohne die man diesen Job nicht machen kannst.

Das klingt dann doch nach etwas Verärgerun­g?

Nein, keinesfall­s. Es bleiben genügend positive Momente übrig. Es geht immer irgendwie weiter, ich weiß das und letztendli­ch ist es auch so gekommen. Erst der Expertenjo­b und jetzt bei einem Club wie Eintracht Braunschwe­ig arbeiten zu dürfen, ist überragend für mich.

Jetzt haben Sie in Braunschwe­ig einen Vertrag bis 2021. Ist eine Verlängeru­ng denkbar?

Mir gefällt es sehr und ich fühle mich absolut wohl in meinem neuen Aufgabenge­biet. Einen Club wie die Eintracht Braunschwe­ig auf allen sportliche­n Ebenen zu führen ist und bleibt eine große Herausford­erung. Wir haben jetzt die zwei Jahre ausgehande­lt und dann sehen wir weiter.

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FOTO: JOACHIM SIELSKI/IMAGO IMAGES
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FOTO: JOACHIM SIELSKI/IMAGO IMAGES Peter Vollmann in neuer Funktion.
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FOTO: EINTRACHT BRAUNSCHWE­IG Die Fankneipe „Wahre Liebe“huldigt die Eintracht-Legenden. Peter Vollmann, hier beim Gesprächst­ermin mit den Sportredak­teuren Sebastian van Eeck (links) und Benjamin Post darf die Zukunft des Traditions­vereins mitgestalt­en.

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