Papst beklagt „Mauern der Gleichgültigkeit“
Kritik an Europas Flüchtlingspolitik – Franziskus ruft zu Frieden im Nahen Osten auf
(dpa/AFP) - Papst Franziskus hat die Abschottungspolitik der reichen Länder gegenüber Flüchtlingen angeprangert. Auf dem Petersplatz in Rom erinnerte er in seiner Weihnachtsbotschaft an das Leid derer, die aus Not ihre Heimatländer verließen. „Es ist die Ungerechtigkeit, die sie dazu zwingt, Wüsten und Meere, die zu Friedhöfen werden, zu überqueren. Es ist die Ungerechtigkeit, die sie dazu zwingt, unsagbare Misshandlungen, Knechtschaft jeder Art und Folter in den unmenschlichen Auffanglagern zu ertragen. Es ist die Ungerechtigkeit, die sie abweist von Orten, wo sie eine Hoffnung auf ein würdiges Leben haben könnten und die sie auf Mauern der Gleichgültigkeit stoßen lässt“, sagte Franziskus. Er hatte auch in der Vergangenheit immer wieder offene Grenzen für Flüchtlinge verlangt und auch schon Aufnahmelager auf den griechischen Inseln mit „Konzentrationslagern“verglichen.
Die Zahl der irregulären Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen ist 2019 nach Angaben der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zwar stark gesunken, aber der Migrationsdruck nach Europa sei nach wie vor hoch, sagte Frontex-Direktor Fabrice Leggeri der Zeitung „Welt“. Bis Jahresende dürften rund 120 000 illegale Einreisen in die Europäische Union gezählt werden. Im Vergleich zum Vorjahr sei das ein Rückgang um rund zehn Prozent und deutlich weniger als im Jahr 2015, als Frontex 1,2 Millionen unerlaubter Grenzübertritte registriert habe.
Franziskus rief die internationale Gemeinschaft zudem auf, sich für einen Frieden im Nahen Osten einzusetzen. Die Weltgemeinschaft müsste Lösungen finden, um dem „unsäglichen Leiden“der Menschen in dieser Region ein Ende zu setzen, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche. Er richtete sich konkret an das syrische Volk, „das immer noch kein Ende der Feindseligkeiten findet, die das Land in diesem Jahrzehnt zerrissen haben“. Vor allem die Kinder litten unter den Konflikten.
Die Menschen im Libanon forderte Papst Franziskus auf, wieder zu einer „harmonischen Koexistenz“der Religionen zu finden. Das Land wird seit Mitte Oktober von beispiellosen Protesten gegen Korruption und Misswirtschaft erschüttert.
G(dpa) - Auf den griechischen Inseln im Osten der Ägäis ist es eng geworden. Ob Lesbos, Chios, Samos, Leros oder Kos – überall sind die Registrierungslager, Camps und Unterkünfte für Flüchtlinge und Migranten überfüllt. Ende Dezember lebten dort knapp 42 000 Migranten, bei einer Kapazität von gerade mal 7500. Unter ihnen sind nach Angaben der EUKommission 1922 unbegleitete Minderjährige. Die Lage ist explosiv. Tausende Menschen leben in Zelten und Hütten, die sie aus Plastikplanen und Zweigen selbst gebaut haben. Der kleinste unvorhersehbare Zwischenfall – ein Streit zwischen Migranten oder mit Einwohnern – könnte chaotische Zustände auslösen, warnen die Inselbürgermeister.
Die Gesamtzahl der Migranten, die die europäischen Mittelmeerländer erreichten, ist 2019 zwar erneut gesunken. Waren im vergangenen Jahr 141 472 Migranten angekommen, haben dieses Jahr bis zum 23. Dezember 122 624 Menschen aus der Türkei, Libyen und anderen Staaten Afrikas nach Europa übergesetzt, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mit.
Eine Ausnahme bildet allerdings die Ägäis: Die Zahl der Migranten, die aus der Türkei nach Griechenland übersetzten oder auf dem Landweg kamen, ist deutlich gestiegen. Bis zum 23. Dezember waren es nach UNHCR-Angaben 73 377 – und damit fast 23 000 mehr als im Gesamtjahr 2018. Um die überfüllten Lager auf den Inseln zu entlasten, begann die griechische Regierung Anfang Oktober, Migranten aufs Festland zu bringen.
Zahlreiche humanitäre Organisationen, aber auch Politiker rufen dazu auf, dringend die unbegleiteten Minderjährigen aus Griechenland zu holen und sie in geeigneten Unterkünften in anderen EU-Ländern unterzubringen. Nach EU-Angaben harren in ganz Griechenland 5276 unbegleitete Minderjährige aus. Davon seien neun Prozent jünger als 14 Jahre und damit im Sinne des Jugendschutzgesetzes Kinder. In Griechenland fehlen 3000 geeignete Unterkünfte für Minderjährige.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht immer wieder, den Flüchtlingen in seinem Land den Weg Richtung Europa zu öffnen. Damit wackelt der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei von 2016. Danach darf jeder Migrant, der illegal auf die griechischen Inseln übersetzt, in die Türkei zurückgeschickt werden. Die türkischen Behörden hindern ihrerseits die Migranten daran, sich einzuschiffen. Das Abkommen wirkte zunächst: Kamen 2015 nach UNHCRAngaben
noch 856 723 Menschen auf dem Seeweg nach Griechenland, so waren es 2016 nur noch 173 450 und 2017 gerade mal 29 178.
Kurz vor Beginn des neuen Jahres sieht es anders aus: Der griechische Vize-Bürgerschutzminister Giorgos Koumoutsakos schätzt, dass an der türkischen Ägäisküste mindestens 250 000 Menschen auf eine Chance warten, zu den griechischen Inseln und damit in die EU überzusetzen. Nicht nur griechische, auch viele andere europäische Politiker blicken mit Sorge Richtung Türkei.
In Italien sank die Zahl der Neuankömmlinge von 181 436 im Jahr 2016 auf knapp 11 300 bis zum 23. Dezember dieses Jahres. Als Hauptgrund gilt ein umstrittenes Abkommen,
das die damalige sozialdemokratische Regierung 2017 mit Libyen schloss. Das Memorandum wurde von informellen Vereinbarungen mit diversen Milizen des Bürgerkriegslandes begleitet. Ziel war es, die Libyer dazu zu bringen, Migranten nicht aufs Meer hinaus zu lassen. Menschenrechtler prangern die Zustände in libyschen Lagern an, in denen afrikanische Migranten gefangen gehalten und misshandelt werden. Es gibt Berichte, dass Menschenhändler und Kriminelle Teile der von EU und Italien mitfinanzierten libyschen Küstenwache kommandieren.
Nach Einschätzung des italienischen Migrationsexperten Matteo Villa spielten außerdem die Abkommen eine Rolle, die die EU mit Ländern wie Niger oder dem Sudan abgeschlossen hat, um Migranten schon südlich von Libyen aufzuhalten.
Auch in Spanien kamen 2019 deutlich weniger Migranten an. Hatte das Land 2018 mit mehr als 65 000 die höchsten Ankunftszahlen unter den Mittelmeeranrainern, waren es bis Ende Dezember 2019 nur knapp 31 000. Dies wird vor allem auf eine bessere Kooperation mit Marokko zurückgeführt.
Am 23. September verständigten sich die Innenminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Maltas auf eine Grundsatzeinigung für die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer. Gerettete Migranten sollten demnach innerhalb von vier Wochen auf andere EU-Staaten verteilt werden. Allerdings hat sich der Vereinbarung bislang kein anderes Land offiziell angeschlossen. Auch feste Quoten zur Verteilung der Geretteten gibt es nicht.
Der Migrationsexperte Villa erinnert daran, dass derzeit die Zahl der Migranten auf der zentralen Mittelmeerroute im Vergleich zu Ankünften in Ländern wie Deutschland lächerlich niedrig ist. In Deutschland wurden 2019 bis Ende Oktober nach Angaben des Bundesinnenministeriums 122 225 Erstanträge auf Asyl gestellt. Und von den wenigen Migranten, die in Italien ankommen, gelangen die wenigsten auf Rettungsschiffen wie der „Ocean Viking“, der „Alan Kurdi“oder der „Open Arms“ins Land.