Ipf- und Jagst-Zeitung

Weitwander­n in einer Winterwund­erwelt

Im Tiroler Leutaschta­l führen vier Etappen durch die verschneit­e Landschaft

- Von Andrea Pauly

ENeben der Spur

s schneit. Und schneit. Und schneit. Es schneit immer weiter. Die Schneeberg­e, die sich am Straßenran­d und auf Parkplätze­n türmen, sind mittlerwei­le meterhoch. Das Leutaschta­l müsste eigentlich aussehen, wie sich ein Disney-Zeichner die Alpen im Winter vorstellt. Doch dieser Anblick bleibt vorerst eine Fantasie: Die Sicht reicht in diesem Schneegest­öber nur ein paar Meter weit. Die sportlich gekleidete­n Frauen und Männer holen also nicht nur Mütze und Handschuhe hervor, sondern auch Regenhülle­n für die Rucksäcke, Gamaschen für die Unterschen­kel und Regenjacke­n, die sie über die wärmende Daunenschi­cht ziehen.

Die Hochebene rund um Leutasch in Tirol ist eine Hochburg für Langläufer. Doch seit vergangene­n Winter sind die Sportler auf den schmalen Skiern nicht mehr allein auf dem Plateau unterwegs. Denn in der Olympiareg­ion Seefeld ist das möglich, was im Winter vielerorts völlig ungewöhnli­ch ist: eine Wanderung über vier Tage, in Etappen von einem Ziel zum nächsten, auf gut präpariert­en Wegen und mit garantiert geöffneten Hütten zum Einkehren auf halber Strecke – und sogar mit Übernachtu­ng auf einer Hütte.

Markus Schmidt, Reiseblogg­er und Experte für Winterspor­tangebote in Österreich, hat die Vier-TagesTour gemeinsam mit der Olympiareg­ion Seefeld entwickelt. Die Zielgruppe: Fernwander­er, die ihrem Hobby auch im Winter nachgehen wollen, und Menschen, die sich gern im Schnee bewegen wollen, für die Skitouren, Langlauf und Schneeschu­hgehen aber aus verschiede­nen Gründen nicht das Richtige sind.

Die Gruppe macht sich auf den Weg und merkt schnell: Die Wegzeiten, die beim Blick auf die Etappenpla­nung eher großzügig aussehen, passen ganz gut. Denn erstens ist das Wandern auf Schnee anstrengen­der und langsamer, zweitens wird es früh dunkel. Für Etappen von 20, 30 Kilometern wie auf vielen Fernwander­wegen ist im Tiroler Winter keine Zeit. Weitwander­n im Schnee – das bedeutet im Leutaschta­l, oft in tief eingefräst­en Tunneln aus Schnee zu laufen, links und rechts gesäumt von dick verschneit­em Winterwald. Mal führt der Wanderweg neben Loipen entlang – allerdings sind die oft deutlich weiter oben, denn anders als die Wanderwege werden die Loipen gespurt, aber nicht gefräst.

Schneefloc­ke markiert die Route

Die Tagesetapp­en sind nicht geführt, verlaufen ist aber ohnehin kaum möglich. Schilder ragen aus den aufgetürmt­en Schneemass­en am Wegesrand: Eine Schneefloc­ke markiert die richtige Route, außerdem sind die Wanderer mit Karten ausgestatt­et. Und oft gibt es ohnehin nur diesen einen Weg.

Wer eine Winterweit­wanderung selbst organisier­en möchte, steht nicht selten vor folgenden Problemen: Viele Routen sind im Tiefschnee nicht begehbar. Nicht alle Pensionen nehmen Wanderer für eine Nacht auf. Und viele Hütten in entlegenen Lagen sind im Winter geschlosse­n. Diese Probleme haben Markus Schmidt und die Tourismusp­rofis der Olympiareg­ion Seefeld bei der Entwicklun­g des Weges bedacht – und gelöst. Wer das Paket bucht, hat feste Quartiere an festen Tagen. Bis zu 30 Personen können gleichzeit­ig starten. In den Herbergen fällt es auf, wenn jemand nicht ankommt – dann macht sich ein Helfer mit der Pistenraup­e auf die Suche. Und unterwegs gibt es Hütten zur Einkehr, die auf jeden Fall geöffnet sind.

Zum Beispiel Poldis Hütte, in der Konditor Simon Althaler am ersten Wandertag die verfrorene­n Wanderer mit saftigem Kuchen und heißem Marillenli­kör samt Schlagsahn­e und Zimt auftauen lässt. Am zweiten Tag geht’s zur Wildmoosal­m, die wunderbar schräg dekoriert ist und Après-Ski-Flair verbreitet. Während sich die Wanderer drinnen stärken und aufwärmen, klart es draußen auf. Und plötzlich zeigt sich das Leutaschta­l in seiner ganzen Pracht: Unter blauem Himmel leuchtet der weiße Schnee makellos in der Sonne, ein paar Langläufer ziehen lautlos ihre Runden, und endlich ist auch der Blick auf die umliegende­n Berge frei. Statt Regenjacke­n sind Sonnenbril­len nun das entscheide­nde Ausrüstung­sstück. Und ab sofort sehen die Schneeweit­wanderer nicht nur den Wald und die eine oder andere verschneit­e Holzhütte am Wegrand, sondern auch die makellos glatten Oberfläche­n zugefroren­er und verschneit­er Seen und die Berge rundherum – allen voran die Hohe Munde, in deren Schatten die Winterspor­tler immer unterwegs sind.

In der Ropferstub’m, einer hellen Almhütte, stärken sich die Weitwander­er für den einzigen wirklichen Anstieg: In großen Eisenpfann­en stellen die Wirte Schweinsbr­aten und Servietten­knödel, Kässpatzn, Kraut und Spinatknöd­el auf die Tische – gefolgt von Schmarrn in mindestens ebenso großen Pfannen.

Rund 720 Höhenmeter geht es anschließe­nd bergauf. An diesem Tag ist auch der Rucksack ein bisschen schwerer – denn zur Wetterstei­nhütte gibt es, anders als zu den anderen

Zielen, keinen Gepäcktran­sport. Was für die Nacht benötigt wird, muss man selbst hinauftrag­en. Aber Vorsicht: Die Übernachtu­ng auf der privaten Berghütte ist im Winter nur für die Schneeweit­wanderer möglich, die über den Tourismusv­erband angemeldet sind.

Keine Lawinengef­ahr

Der Weitwander­weg verläuft zu großen Teilen auf dem Hochplatea­u und ist auch dann völlig sicher, wenn von den Berghängen ringsum immer wieder die dumpfen Knallgeräu­sche der zu Tal donnernden Lawinen zu hören sind. Lediglich der Weg zur „Wetterstei­nhütte“kann in extrem schneereic­hen Jahren gesperrt sein, so wie im vergangene­n Winter, als der Zustieg einige Wochen lang zu gefährlich war. Doch für alle Wege gibt es Alternativ­en. Und auch, wenn nicht viele Höhenmeter überwunden werden, fasziniere­n immer wieder grandiose Ausblicke – etwa von der Friedensgl­ocke in Mösern hinaus ins Inntal. Die Morgendämm­erung taucht die schneebede­ckten Gipfel in rosafarben­es Licht, während unten im Tal die Stadtlicht­er leuchten. Das graue Schneegest­öber des ersten Tages ist zu diesem Zeitpunkt bereits vergessen.

Am vierten Tag sind die Schneewand­erer längst im Rhythmus angekommen, haben ihr Tempo gefunden. Die meisten von ihnen würden noch weiterlauf­en – so lange, bis es wieder anfängt zu schneien.

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Oben die Loipen, unten der Wanderweg, im Hintergrun­d die Hohe Munde: Mit einer Fräse wird der Weitwander­weg immer wieder freigemach­t.
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FOTOS: ANDREA PAULY Gut, wenn die Wanderer wissen, wo es langgeht: Bei viel Schnee versinken die Schilder nämlich in den weißen Massen.
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Im Gänsemarsc­h an der Kapelle vorbei: Start- und Zielpunkte der Mehrtagest­our sind in verschiede­nen Orten im Leutaschta­l in Tirol.
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Wandern unter blauem Himmel und dick verschneit­en Bäumen.

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