Weitwandern in einer Winterwunderwelt
Im Tiroler Leutaschtal führen vier Etappen durch die verschneite Landschaft
ENeben der Spur
s schneit. Und schneit. Und schneit. Es schneit immer weiter. Die Schneeberge, die sich am Straßenrand und auf Parkplätzen türmen, sind mittlerweile meterhoch. Das Leutaschtal müsste eigentlich aussehen, wie sich ein Disney-Zeichner die Alpen im Winter vorstellt. Doch dieser Anblick bleibt vorerst eine Fantasie: Die Sicht reicht in diesem Schneegestöber nur ein paar Meter weit. Die sportlich gekleideten Frauen und Männer holen also nicht nur Mütze und Handschuhe hervor, sondern auch Regenhüllen für die Rucksäcke, Gamaschen für die Unterschenkel und Regenjacken, die sie über die wärmende Daunenschicht ziehen.
Die Hochebene rund um Leutasch in Tirol ist eine Hochburg für Langläufer. Doch seit vergangenen Winter sind die Sportler auf den schmalen Skiern nicht mehr allein auf dem Plateau unterwegs. Denn in der Olympiaregion Seefeld ist das möglich, was im Winter vielerorts völlig ungewöhnlich ist: eine Wanderung über vier Tage, in Etappen von einem Ziel zum nächsten, auf gut präparierten Wegen und mit garantiert geöffneten Hütten zum Einkehren auf halber Strecke – und sogar mit Übernachtung auf einer Hütte.
Markus Schmidt, Reiseblogger und Experte für Wintersportangebote in Österreich, hat die Vier-TagesTour gemeinsam mit der Olympiaregion Seefeld entwickelt. Die Zielgruppe: Fernwanderer, die ihrem Hobby auch im Winter nachgehen wollen, und Menschen, die sich gern im Schnee bewegen wollen, für die Skitouren, Langlauf und Schneeschuhgehen aber aus verschiedenen Gründen nicht das Richtige sind.
Die Gruppe macht sich auf den Weg und merkt schnell: Die Wegzeiten, die beim Blick auf die Etappenplanung eher großzügig aussehen, passen ganz gut. Denn erstens ist das Wandern auf Schnee anstrengender und langsamer, zweitens wird es früh dunkel. Für Etappen von 20, 30 Kilometern wie auf vielen Fernwanderwegen ist im Tiroler Winter keine Zeit. Weitwandern im Schnee – das bedeutet im Leutaschtal, oft in tief eingefrästen Tunneln aus Schnee zu laufen, links und rechts gesäumt von dick verschneitem Winterwald. Mal führt der Wanderweg neben Loipen entlang – allerdings sind die oft deutlich weiter oben, denn anders als die Wanderwege werden die Loipen gespurt, aber nicht gefräst.
Schneeflocke markiert die Route
Die Tagesetappen sind nicht geführt, verlaufen ist aber ohnehin kaum möglich. Schilder ragen aus den aufgetürmten Schneemassen am Wegesrand: Eine Schneeflocke markiert die richtige Route, außerdem sind die Wanderer mit Karten ausgestattet. Und oft gibt es ohnehin nur diesen einen Weg.
Wer eine Winterweitwanderung selbst organisieren möchte, steht nicht selten vor folgenden Problemen: Viele Routen sind im Tiefschnee nicht begehbar. Nicht alle Pensionen nehmen Wanderer für eine Nacht auf. Und viele Hütten in entlegenen Lagen sind im Winter geschlossen. Diese Probleme haben Markus Schmidt und die Tourismusprofis der Olympiaregion Seefeld bei der Entwicklung des Weges bedacht – und gelöst. Wer das Paket bucht, hat feste Quartiere an festen Tagen. Bis zu 30 Personen können gleichzeitig starten. In den Herbergen fällt es auf, wenn jemand nicht ankommt – dann macht sich ein Helfer mit der Pistenraupe auf die Suche. Und unterwegs gibt es Hütten zur Einkehr, die auf jeden Fall geöffnet sind.
Zum Beispiel Poldis Hütte, in der Konditor Simon Althaler am ersten Wandertag die verfrorenen Wanderer mit saftigem Kuchen und heißem Marillenlikör samt Schlagsahne und Zimt auftauen lässt. Am zweiten Tag geht’s zur Wildmoosalm, die wunderbar schräg dekoriert ist und Après-Ski-Flair verbreitet. Während sich die Wanderer drinnen stärken und aufwärmen, klart es draußen auf. Und plötzlich zeigt sich das Leutaschtal in seiner ganzen Pracht: Unter blauem Himmel leuchtet der weiße Schnee makellos in der Sonne, ein paar Langläufer ziehen lautlos ihre Runden, und endlich ist auch der Blick auf die umliegenden Berge frei. Statt Regenjacken sind Sonnenbrillen nun das entscheidende Ausrüstungsstück. Und ab sofort sehen die Schneeweitwanderer nicht nur den Wald und die eine oder andere verschneite Holzhütte am Wegrand, sondern auch die makellos glatten Oberflächen zugefrorener und verschneiter Seen und die Berge rundherum – allen voran die Hohe Munde, in deren Schatten die Wintersportler immer unterwegs sind.
In der Ropferstub’m, einer hellen Almhütte, stärken sich die Weitwanderer für den einzigen wirklichen Anstieg: In großen Eisenpfannen stellen die Wirte Schweinsbraten und Serviettenknödel, Kässpatzn, Kraut und Spinatknödel auf die Tische – gefolgt von Schmarrn in mindestens ebenso großen Pfannen.
Rund 720 Höhenmeter geht es anschließend bergauf. An diesem Tag ist auch der Rucksack ein bisschen schwerer – denn zur Wettersteinhütte gibt es, anders als zu den anderen
Zielen, keinen Gepäcktransport. Was für die Nacht benötigt wird, muss man selbst hinauftragen. Aber Vorsicht: Die Übernachtung auf der privaten Berghütte ist im Winter nur für die Schneeweitwanderer möglich, die über den Tourismusverband angemeldet sind.
Keine Lawinengefahr
Der Weitwanderweg verläuft zu großen Teilen auf dem Hochplateau und ist auch dann völlig sicher, wenn von den Berghängen ringsum immer wieder die dumpfen Knallgeräusche der zu Tal donnernden Lawinen zu hören sind. Lediglich der Weg zur „Wettersteinhütte“kann in extrem schneereichen Jahren gesperrt sein, so wie im vergangenen Winter, als der Zustieg einige Wochen lang zu gefährlich war. Doch für alle Wege gibt es Alternativen. Und auch, wenn nicht viele Höhenmeter überwunden werden, faszinieren immer wieder grandiose Ausblicke – etwa von der Friedensglocke in Mösern hinaus ins Inntal. Die Morgendämmerung taucht die schneebedeckten Gipfel in rosafarbenes Licht, während unten im Tal die Stadtlichter leuchten. Das graue Schneegestöber des ersten Tages ist zu diesem Zeitpunkt bereits vergessen.
Am vierten Tag sind die Schneewanderer längst im Rhythmus angekommen, haben ihr Tempo gefunden. Die meisten von ihnen würden noch weiterlaufen – so lange, bis es wieder anfängt zu schneien.