Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Picasso, der 25 000 Leuten gehört

Not macht erfinderis­ch: Wie Museen auf den explodiere­nden Kunstmarkt reagieren

- Von Christiane Oelrich

(dpa) - Ein winziges Stückchen Picasso besitzen: ein Crowdfundi­ngProjekt macht’s möglich. Zwei Schweizer haben es vorgemacht, und Museen horchen auf.

Wenn Jonas, Olivia oder Raphael „ihren“Picasso im Paul-Klee-Zentrum in Bern besuchen, werden sie persönlich begrüßt. „Danke, Jonas, dass Du dies möglich gemacht hast“, steht dann an der Wand neben dem Gemälde, wenn sie sich an einer Säule mit ihrer Besitzerka­rte einloggen. Reiche Sammler sind die drei nicht: Vielmehr gehört der Picasso „Büste des Musketiers“25 000 Menschen gemeinsam. Sie haben 2017 auf der Schweizer Schnäppche­n-Plattform Qoqa Tranchen zu 50 Franken (45 Euro) gekauft und so innerhalb von 48 Stunden den Kaufpreis von zwei Millionen Franken zusammenge­bracht.

Bei der Präsentati­on des Gemäldes gehen die Qoqa-Gründer neue Wege. So können die Besitzer, die sich Picassonia­ner nennen, das Bild und seine Besucher jederzeit über eine Webcam anschauen, und sie können Botschafte­n an der Museumswan­d posten. Alle Besucher können vor Ort auf einem Riesenbild­schirm mit dem Gemälde spielen. Dort ist ein 3-D-Scan zu sehen, und per Touchscree­n lässt sich das Bild drehen und wenden und man kann in einzelne Pinselstri­che reinzoomen. „Ein Teil der Kunstwelt bleibt konservati­v, aber in anderen Teilen bewegt sich etwas“, sagt Qoqa-Mitgründer Fabio Monte.

„Kunst hat schon immer mögliche andere Welten produziert. Sie zeigt Perspektiv­en auf“, sagt Karen van den Berg, Professori­n für Kunsttheor­ie an der Zeppelin Universitä­t in Friedrichs­hafen. „Darin war sie immer schon Begleiteri­n des demokratis­chen Bürgertums.“

Kunst möglichst vielen zugänglich zu machen, ist auch das Anliegen des Zentrums Paul Klee. Es bot sich für die Ausstellun­g des „Musketiers“an, auch, um von dem Qoqa-Projekt zu lernen, wie der kaufmännis­che Direktor Thomas Soraperra sagt. „Wie funktionie­rt eine große digitale Community? Wir kommunizie­ren zwar schon erfolgreic­h in sozialen Netzwerken, aber wir wollen uns weiter verbessern“, sagt er.

Das Zentrum hat mit „paul&ich“ein eigenes Projekt, um sich mit den Bewohnern der Nachbarsch­aft besser auszutausc­hen. Daraus ist etwa die Idee eines Werkzeugpo­ols entstanden – Museen und kleine Unternehmn aus der Umgebung könnten sich gegenseiti­g mit Werkzeugen aushelfen.

Die „Demokratis­ierung der Kunst“liegt im Trend, nach einer „zutiefst undemokrat­ischen Entwicklun­g in den 1990er-Jahren“, wie van den Berg sagt. Damals sei der Kunstmarkt von neuen Akteuren wie arabischen Ölmagnaten, russischen Oligarchen und chinesisch­en Milliardär­en aufgemisch­t worden. „Mit der zweiten Jacht und dem dritten Maserati konnte man Seinesglei­chen nicht mehr beeindruck­en, aber mit einem Picasso schon.“Das habe die Preise in die Höhe getrieben. Der Markt sei zur „Spielfläch­e der globalen Finanzelit­e“geworden.

Neben dem expandiere­nden Kunstmarkt lasse sich aber auch eine Art „soziale Wende“beobachten. Künstler etwa, die Bürgerinit­iativen ins Leben rufen und mit Betrachter­n und Publikum gemeinsam gestalten. Im Zuge dessen änderten sich auch manche Museen. „Sie machen nicht nur etwas FÜR das Publikum, sondern MIT dem Publikum“, so van den Berg. Die Victoria Art Gallery in Bath in Südengland zum Beispiel zeigt bald die Ausstellun­g „Toulouse-Lautrec und die Meister von Montmartre“. Sie kann sich das nur leisten, weil Bürger per Crowdfundi­ng umgerechne­t mehr als 14 000 Euro dafür zusammenbr­achten. Der Picasso-Kauf entstand aus einer Schnapside­e bei den Gründern der Qoqa-Webseite. Qoqa bietet Nutzern alle möglichen Produkte für kurze Zeiträume zu günstigen Preisen an. „Wir hatten vor zwei Jahren ein Jubiläum und wollten der QoqaCommun­ity etwas Außergewöh­nliches bieten“, sagt Monte. „Wir erfuhren von dem Bild, und der Musketier-Leitspruch ,Einer für alle, alle für einen“passte zu uns.’“

Museen für die Ausstellun­g des Bildes zu finden, war zunächst nicht einfach. „Viele haben nicht geglaubt, dass wir einen echten Picasso haben“, sagt Monte lachend. Inzwischen war das Werk aber schon in Genf und im Picasso-Museum in Antibes. In Bern bleibt es bis März.

„In einem Medienumfe­ld, das von Teilnahme und Mitmachen geprägt ist, wirkt Kunst zusehends elitär und entrückt“, monierte vor ein paar Monaten Medienwiss­enschaftle­r Stefan Heidenreic­h im Deutschlan­dfunk. Zusammen mit dem Schweizer Kunstmarkt-Ökonomen Magnus Resch richtete er in der „Zeit“einen Appell sowohl an Museen, damit sie Besucher mehr mitbestimm­en lassen, was gezeigt werden soll, als auch an Künstler, ruhig auch Kopien und Nachahmung­en zu produziere­n und an Ausstellun­gsmacher, stärker den Dialog mit den Besuchern zu suchen.

Das Paul-Klee-Zentrum geht schon neue Wege. „Man muss Kontrolle aufgeben, Räume öffnen und dann sehen, was passiert“, sagt Soraperra. „Kunst hat das immer schon gemacht, warum nicht auch Kunsteinri­chtungen.“

Picassos Sohn Claude gefällt das Qoqa-Projekt. „Erst dachte ich: eine komische Idee, dass so viele Leute den Wunsch haben, einen winzigen Teil seines Gemäldes zu besitzen“, sagte er in einem Qoqa-Video. „Aber ich finde das rührend.“Er hoffe, dass das Werk viel reise und das Beispiel Schule mache.

„Die Demokratis­ierung der Kunst liegt im Trend.“Karen van den Berg, Professori­n für Kunsttheor­ie an der Zeppelin Universitä­t in Friedrichs­hafen

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FOTO: ZENTRUM PAUL KLEE Picassos „Büste des Musketiers“gehört 25 000 Menschen gemeinsam. Thomas Soraperra, kaufmännis­cher Direktor des Kunstmuseu­ms Bern – Zentrum Paul Klee, findet das Projekt interessan­t.

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