Rückrufe von Lebensmitteln nehmen zu
Unternehmen warnen inzwischen auch vor nicht gesundheitsschädlicher Ware
RAVENSBURG - Salmonellen in der Wurst, Listerien im Käse, Metallteile im Brot: Unter anderem aus diesen Gründen haben Firmen im vergangenen Jahr öffentlich ihre Ware zurückgerufen. Warnungen vor Lebensmitteln durch Unternehmen haben in Deutschland stark zugenommen.
Die Metzgerei Siegler im bayerischen Lohr am Main (Landkreis Main-Spessart) gehört zu diesen Unternehmen. Der Familienbetrieb hat Ende November vorsorglich mehrere Wurstprodukte zurückgerufen. „In einer unserer Eigenkontrollproben gab es einen Verdacht auf VTEC“, teilte Geschäftsführerin Nicole Siegler auf Anfrage mit. Die Bakterien – Verotoxin bildende E.coli – können zu schwerem Durchfall führen.
Gemeinsam mit dem Veterinäramt habe die Metzgerei abgestimmt, vorsorglich und freiwillig alle sogenannten Rohpökelprodukte zurückzurufen: „Auch wenn es sich nur um ein Produkt mit Verdacht gehandelt hat, aus Sicherheit dem Verbraucher gegenüber“, erklärte Siegler. Das Amt habe auch Proben von anderen Wurst- und Fleischsorten genommen – außerdem habe der Betrieb weitere Produktproben in ein Labor geschickt. Inzwischen habe die Metzgerei die Ergebnisse vorliegen, demnach waren alle Lebensmittel frei von VTEC-Bakterien.
Verdoppelung seit 2012
Seit 2012 hat sich die Zahl der Rückrufe mehr als verdoppelt. Besonders betroffen seien Fleisch- und Milchprodukte, teilte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit.
Die Behörde hat das hauseigene Internetportal Lebensmittelwarnung.de ausgewertet und dabei festgestellt, dass 2012 dort noch 83 Warnungen veröffentlicht wurden – 2018 waren es bereits 186, 2019 dann 195 Warnungen. Gründe dafür gab die Behörde nicht an.
Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“gibt die wissenschaftliche Leitung des Lebensmittelverbands Deutschland, Sieglinde Stähle, dazu Auskunft: „Bei Rückrufen spielt sehr viel Ermessen hinein.“Derzeit würden sich die Grenzen nach unten verschieben. Man wolle so Skandalen entgehen – diese Politik sei ein defensives Verhalten.
Lebensmittel würden am häufigsten wegen mikrobiologischer Verunreinigung oder Fremdkörpern zurückgerufen, erklärte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass Lebensmittel gesundheitlich nicht sicher sind, dann sind Unternehmen verpflichtet, vor ihnen zu warnen. „Dafür gibt es wissenschaftliche Kriterien und in diesen Fällen steht ein Rückruf außer Frage“, erklärt Stähle. Der Begriff der Lebensmittelsicherheit werde aber immer strenger ausgelegt: „Die Unternehmen rufen immer öfter vorsorglich zurück“, sagt Stähle, „auch bei Umständen, die nicht wirklich gesundheitsschädlich sind.“
Stähle berichtet von einem großen Milchrückruf im vergangenen Sommer. Damals war ein Keim über Reinigungswasser in die Milch gelangt. „Die Milchpackung kommt ins Gären, wölbt sich und stinkt – diese Milch hätte sicher niemand getrunken.“
Das sei ein Grenzfall für einen Rückruf gewesen, da die Verunreinigung nicht gesundheitlich bedenklich gewesen sei. Auch schlecht schließende Deckel durch Verpackungsfehler können ein Grund für einen Rückruf sein. Schließlich könnte so Schmutz in die Packung gelangen.
Wenn ein Verbraucher ein Nahrungsmittel bereits gekauft haben könnte, werde der Rückruf öffentlich gemacht. Wenn nicht, wählen Unternehmen den stillen Rückruf: Der Handel wird informiert und muss die Produkte der jeweiligen Charge aussortieren – das bedeutet Aufwand:
„Der Handel ist davon nicht begeistert“, sagt Stähle. Kritisch sei außerdem die Verschwendung von Lebensmitteln. „Meistens wird das Essen auf Handelsebene in den Müll geworfen“, erklärt sie.
Im Fall der Metzgerei Siegler ist der Lebensmittelrückruf für die Firma gut ausgegangen. Geschäftsführerin Nicole Siegler erklärt, das transparente und schnelle Handeln habe dem Betrieb zu 99 Prozent positive Reaktionen auf den Rückruf beschert.