Grüne Woche im Zeichen der grünen Kreuze
Bundesweite Bauernproteste begleiten Beginn – Hauk fordert von Berlin Bewegung
BERLIN/STUTTGART - Begleitet von Bauerndemos in mehreren deutschen Großstädten hat am Freitag in Berlin die Internationale Grüne Woche (IGW) begonnen. Den Veranstaltern zufolge rollten etwa 20 000 Traktoren unter anderem in die Innenstädte von Nürnberg, Stuttgart, Berlin, Hannover und Dresden, um gegen strengere Auflagen zu protestieren und für den Dialog mit ihrer Branche zu werben. Einige hatten grüne Kreuze an ihren Zugmaschinen befestigt: Diese stehen bundesweit als Zeichen des stillen Protests gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung an Äckern und Wiesen.
Die Debatte um die Zukunft der deutschen Landwirtschaft dominierte auch den Auftakt der IGW: Greenpeace-Aktivisten
stellten eine meterhohe Figur eines geschundenen Schweins an den Messeeingang. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) rief Kritiker der Landwirtschaft zum Dialog auf.
Auch im Südwesten fühlen sich viele Landwirte von den immer schärferen Vorgaben überfordert: „Wir wollen ja etwas verändern, aber die Gesellschaft muss uns dafür Zeit geben. Die Landwirte-Familien sind total verunsichert, die Investitionsbereitschaft sinkt, weil niemand weiß, was als Nächstes passiert“, sagte Baden-Württembergs Landfrauenvorsitzende Juliane Vees der „Schwäbischen Zeitung“.
Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk (CDU) sieht Nachbesserungsbedarf beim geplanten Insektenschutzprogramm der Bundesregierung. „Das Programm muss ja auch durch den Bundesrat. In dieser Form werden wir ihm nicht zustimmen“, sagte Hauk unserer Redaktion am Freitag. Bei der umstrittenen Verschärfung der Düngeregeln sieht der CDU-Politiker derweil Fortschritte. „Wir haben bei der Düngeverordnung noch Vorbehalte, aber ich bin guter Dinge, dass die Bundesregierung unsere Forderungen berücksichtigen wird“, sagte Hauk.
BERLIN - An starken Worten der Politik mangelt es nicht zum Start der Grünen Woche in Berlin. „Wir werden nicht mit romantisierenden Bullerbü-Vorstellungen zu einer vormodernen Landwirtschaft zurückkehren“, mahnt CDU-Bundesagrarministerin Julia Klöckner. Denn nur eine moderne Landwirtschaft könne genug Nahrung für die wachsende Weltbevölkerung liefern. Der Koalitionspartner SPD fordert einen „Gesellschaftsvertrag“zwischen Bauern und Bevölkerung. Die Landwirtschaft sei „eingeigelt in einer Wagenburg der Selbstvergewisserung“, klagt der Grünen-Abgeordnete Friedrich Ostendorff im Bundestag. Die Initiative „Land schafft Verbindung“, die zwei Kilometer entfernt an der Siegessäule Hunderte Traktoren aufgefahren hat, lehnt Ostendorff ab. Die wolle nur, dass alles wieder so werde wie früher.
„Wir müssen handeln“
Die Agrarpolitik der schwarz-roten Bundesregierung steht bei der diesjährigen Grünen Woche so sehr in der Kritik wie selten zuvor: Und die Koalition weiß, dass sie liefern muss, weil ihr sonst Ärger droht. Nicht nur, dass Grüne, FDP und AfD um enttäuschte Landwirte buhlen. Auch Parteifreunde stehen auf den Barrikaden. CDU-Bundesvize Silvia Breher warnte ihre Partei kürzlich vor dem Weglaufen der Bauern.
„Wir müssen handeln“, sagt der CDU-Agrarpolitiker Alois Gerig im Bundestag. „Die Politik muss und wird ihren Beitrag dazu leisten“, verspricht er. Der SPD-Abgeordnete Matthias Miersch kritisiert durchaus selbstkritisch den Dauerdissens zwischen Agrar- und Umweltressort. „Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen“, sagt er.
Das gilt auch für das von Klöckner geplante freiwillige Tierwohllabel. Die Freiwilligkeit geht dem Koalitionspartner SPD nicht weit genug. Nun wackelt offenbar auch die Zustimmung der CDU/CSU. Man diskutiere noch, sagt Breher der „Schwäbischen Zeitung“. Der Handel zeigt sich zumindest offen für Neues: Bei der Grünen Woche haben sich sieben große Handelskonzerne zu mehr Transparenz in ihren Lieferketten verpflichtet.
Nitratmessung ist Ländersache
Auch in die großen Streitthemen Düngung und Insektenschutz scheint Bewegung zu kommen. Zwar werde man nicht um die Umsetzung der von der EU geforderten schärferen Düngeregeln umhinkommen, räumt Agrarministerin Klöckner ein. Doch bei der umstrittenen Nitratmessung des Grundwassers zeigt sie sich offen – und spielt den Schwarzen Peter an die Länder weiter. Die Ausweisung der Messstellen sei deren Aufgabe. Auch beim Insektenschutz tut sich was: Die bisherigen Pläne von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze würden überarbeitet, heißt es im Bundestag. Das müssen sie auch wohl, denn bei den Ländern regt sich Widerstand: „In dieser Form werden wir dem Insektenschutzprogramm nicht zustimmen“, droht Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk (CDU).
Im Südwesten kommt zum allgemeinen Frust der Landwirte noch das Gefühl, für Fehler anderer mitbestraft zu werden. Beispiel Düngung: Die großen Nitrat-Problemgebiete liegen in den Viehhochburgen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Dass die Bauern im Südwesten dafür büßen müssen, sieht Hauk nicht ein: „Wir brauchen regionale Flexibilität und weniger Bürokratiewahnsinn. Wenn wir von Flensburg bis Isny alle gleichermaßen mit rotgrüner Ideologie überziehen, hilft das niemandem“, sagt er mit Blick auf seinen grünen Amtskollegen in Kiel, Jan Philipp Albrecht. „In Schleswig-Holstein sind 50 Prozent der Gebiete nitratbelastet, in Baden-Württemberg neun. Da ist es schon seltsam, dass sich der Kollege aus Schleswig-Holstein als Oberlehrer aufspielt“, sagt Hauk. Jeder solle zuerst vor der eigenen Haustür kehren.
Ähnlich sieht es Josef Rief: Der Landwirt und CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Biberach will die Gleichung viel Vieh bedeutet viel Nitrat nicht unterschreiben. „Die Landkreise Ravensburg, Biberach und Alb-Donau haben eine hohe Viehdichte, und trotzdem sind die Nitratwerte weit unter den
Grenzwerten und sinken mit ganz wenigen Ausnahmen seit vielen Jahren kontinuierlich“, sagt Rief. Auch er sieht die eher kleinen Höfe im Süden für Probleme anderer zur Rechenschaft gezogen. Zum Beispiel beim Vorwurf, großräumige Landwirtschaft zerstöre den Lebensraum der Insekten. Das sei eher ein Problem ostdeutscher Großbetriebe. „Wenn ich vom Bussen in die Region herunterschaue, sehe ich keine ausgeräumten Landschaften“, sagt Rief.
Man solle die Probleme lösen, statt die Landwirte an den Pranger zu stellen, fordert er. Es sind Worte, die man derzeit so oder sehr ähnlich von Politikern von Union, SPD, Grünen, Linken, FDP und AfD hört.