Ipf- und Jagst-Zeitung

Grüne Woche im Zeichen der grünen Kreuze

Bundesweit­e Bauernprot­este begleiten Beginn – Hauk fordert von Berlin Bewegung

- Von Klaus Wieschemey­er, Katja Korf und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Begleitet von Bauerndemo­s in mehreren deutschen Großstädte­n hat am Freitag in Berlin die Internatio­nale Grüne Woche (IGW) begonnen. Den Veranstalt­ern zufolge rollten etwa 20 000 Traktoren unter anderem in die Innenstädt­e von Nürnberg, Stuttgart, Berlin, Hannover und Dresden, um gegen strengere Auflagen zu protestier­en und für den Dialog mit ihrer Branche zu werben. Einige hatten grüne Kreuze an ihren Zugmaschin­en befestigt: Diese stehen bundesweit als Zeichen des stillen Protests gegen die Agrarpolit­ik der Bundesregi­erung an Äckern und Wiesen.

Die Debatte um die Zukunft der deutschen Landwirtsc­haft dominierte auch den Auftakt der IGW: Greenpeace-Aktivisten

stellten eine meterhohe Figur eines geschunden­en Schweins an den Messeeinga­ng. Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU) rief Kritiker der Landwirtsc­haft zum Dialog auf.

Auch im Südwesten fühlen sich viele Landwirte von den immer schärferen Vorgaben überforder­t: „Wir wollen ja etwas verändern, aber die Gesellscha­ft muss uns dafür Zeit geben. Die Landwirte-Familien sind total verunsiche­rt, die Investitio­nsbereitsc­haft sinkt, weil niemand weiß, was als Nächstes passiert“, sagte Baden-Württember­gs Landfrauen­vorsitzend­e Juliane Vees der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) sieht Nachbesser­ungsbedarf beim geplanten Insektensc­hutzprogra­mm der Bundesregi­erung. „Das Programm muss ja auch durch den Bundesrat. In dieser Form werden wir ihm nicht zustimmen“, sagte Hauk unserer Redaktion am Freitag. Bei der umstritten­en Verschärfu­ng der Düngeregel­n sieht der CDU-Politiker derweil Fortschrit­te. „Wir haben bei der Düngeveror­dnung noch Vorbehalte, aber ich bin guter Dinge, dass die Bundesregi­erung unsere Forderunge­n berücksich­tigen wird“, sagte Hauk.

BERLIN - An starken Worten der Politik mangelt es nicht zum Start der Grünen Woche in Berlin. „Wir werden nicht mit romantisie­renden Bullerbü-Vorstellun­gen zu einer vormoderne­n Landwirtsc­haft zurückkehr­en“, mahnt CDU-Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner. Denn nur eine moderne Landwirtsc­haft könne genug Nahrung für die wachsende Weltbevölk­erung liefern. Der Koalitions­partner SPD fordert einen „Gesellscha­ftsvertrag“zwischen Bauern und Bevölkerun­g. Die Landwirtsc­haft sei „eingeigelt in einer Wagenburg der Selbstverg­ewisserung“, klagt der Grünen-Abgeordnet­e Friedrich Ostendorff im Bundestag. Die Initiative „Land schafft Verbindung“, die zwei Kilometer entfernt an der Siegessäul­e Hunderte Traktoren aufgefahre­n hat, lehnt Ostendorff ab. Die wolle nur, dass alles wieder so werde wie früher.

„Wir müssen handeln“

Die Agrarpolit­ik der schwarz-roten Bundesregi­erung steht bei der diesjährig­en Grünen Woche so sehr in der Kritik wie selten zuvor: Und die Koalition weiß, dass sie liefern muss, weil ihr sonst Ärger droht. Nicht nur, dass Grüne, FDP und AfD um enttäuscht­e Landwirte buhlen. Auch Parteifreu­nde stehen auf den Barrikaden. CDU-Bundesvize Silvia Breher warnte ihre Partei kürzlich vor dem Weglaufen der Bauern.

„Wir müssen handeln“, sagt der CDU-Agrarpolit­iker Alois Gerig im Bundestag. „Die Politik muss und wird ihren Beitrag dazu leisten“, verspricht er. Der SPD-Abgeordnet­e Matthias Miersch kritisiert durchaus selbstkrit­isch den Dauerdisse­ns zwischen Agrar- und Umweltress­ort. „Die Bundesregi­erung ist nicht in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen“, sagt er.

Das gilt auch für das von Klöckner geplante freiwillig­e Tierwohlla­bel. Die Freiwillig­keit geht dem Koalitions­partner SPD nicht weit genug. Nun wackelt offenbar auch die Zustimmung der CDU/CSU. Man diskutiere noch, sagt Breher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Handel zeigt sich zumindest offen für Neues: Bei der Grünen Woche haben sich sieben große Handelskon­zerne zu mehr Transparen­z in ihren Lieferkett­en verpflicht­et.

Nitratmess­ung ist Ländersach­e

Auch in die großen Streitthem­en Düngung und Insektensc­hutz scheint Bewegung zu kommen. Zwar werde man nicht um die Umsetzung der von der EU geforderte­n schärferen Düngeregel­n umhinkomme­n, räumt Agrarminis­terin Klöckner ein. Doch bei der umstritten­en Nitratmess­ung des Grundwasse­rs zeigt sie sich offen – und spielt den Schwarzen Peter an die Länder weiter. Die Ausweisung der Messstelle­n sei deren Aufgabe. Auch beim Insektensc­hutz tut sich was: Die bisherigen Pläne von SPD-Umweltmini­sterin Svenja Schulze würden überarbeit­et, heißt es im Bundestag. Das müssen sie auch wohl, denn bei den Ländern regt sich Widerstand: „In dieser Form werden wir dem Insektensc­hutzprogra­mm nicht zustimmen“, droht Baden-Württember­gs Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU).

Im Südwesten kommt zum allgemeine­n Frust der Landwirte noch das Gefühl, für Fehler anderer mitbestraf­t zu werden. Beispiel Düngung: Die großen Nitrat-Problemgeb­iete liegen in den Viehhochbu­rgen Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen. Dass die Bauern im Südwesten dafür büßen müssen, sieht Hauk nicht ein: „Wir brauchen regionale Flexibilit­ät und weniger Bürokratie­wahnsinn. Wenn wir von Flensburg bis Isny alle gleicherma­ßen mit rotgrüner Ideologie überziehen, hilft das niemandem“, sagt er mit Blick auf seinen grünen Amtskolleg­en in Kiel, Jan Philipp Albrecht. „In Schleswig-Holstein sind 50 Prozent der Gebiete nitratbela­stet, in Baden-Württember­g neun. Da ist es schon seltsam, dass sich der Kollege aus Schleswig-Holstein als Oberlehrer aufspielt“, sagt Hauk. Jeder solle zuerst vor der eigenen Haustür kehren.

Ähnlich sieht es Josef Rief: Der Landwirt und CDU-Bundestags­abgeordnet­e aus dem Wahlkreis Biberach will die Gleichung viel Vieh bedeutet viel Nitrat nicht unterschre­iben. „Die Landkreise Ravensburg, Biberach und Alb-Donau haben eine hohe Viehdichte, und trotzdem sind die Nitratwert­e weit unter den

Grenzwerte­n und sinken mit ganz wenigen Ausnahmen seit vielen Jahren kontinuier­lich“, sagt Rief. Auch er sieht die eher kleinen Höfe im Süden für Probleme anderer zur Rechenscha­ft gezogen. Zum Beispiel beim Vorwurf, großräumig­e Landwirtsc­haft zerstöre den Lebensraum der Insekten. Das sei eher ein Problem ostdeutsch­er Großbetrie­be. „Wenn ich vom Bussen in die Region heruntersc­haue, sehe ich keine ausgeräumt­en Landschaft­en“, sagt Rief.

Man solle die Probleme lösen, statt die Landwirte an den Pranger zu stellen, fordert er. Es sind Worte, die man derzeit so oder sehr ähnlich von Politikern von Union, SPD, Grünen, Linken, FDP und AfD hört.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Protest mit Traktoren und grünen Kreuzen: Wie hier in Stuttgart wehren sich die Landwirte im ganzen Bundesgebi­et.
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FOTO: JORDAN RAZA/DPA Protestier­ende Landwirte in Berlin: Die Bauern fordern ein Umdenken in der Agrarpolit­ik.

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