Mehr Rechte für Ermittler
Regierung verschärft Kampf gegen Kindesmissbrauch
BERLIN (AFP/sz) - Ermittler haben künftig mehr Möglichkeiten im Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch im Internet. Der Bundestag billigte am Freitag ein Gesetz, das es den Beamten erlaubt, sich bei Ermittlungen in einschlägigen Foren als Kind auszugeben. Zudem können sie – nach vorheriger richterlicher Genehmigung – kinderpornografisches Material künstlich herstellen, um es zum Tausch anzubieten. So sollen sie den Verbrechern auf die Schliche kommen. Der Tausch solchen Materials gilt oft als „Eintrittskarte“in Chatrooms.
Thorsten Frei aus Konstanz, stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender, sprach von einem „gewaltigen Schritt nach vorne“. In den vergangenen drei Jahren habe sich die Zahl der registrierten Fälle von Kinderpornografie verdoppelt. Es sei wichtig, dass die Behörden auch die tauglichen Instrumente in der Hand hätten.
GBERLIN - Die Täter sind in scheinbar harmlosen Chaträumen für Kinder unterwegs – und in grausamen Tauschbörsen im Darknet. Sie erschleichen sich das Vertrauen kleiner Mädchen und Jungen, bahnen sexuelle Kontakte an und versuchen, an Fotos und Videos mit Missbrauchsszenen zu kommen. Schlimmste Sexualverbrechen passieren so versteckt vor den Augen der Eltern. Auch der Polizei sind bisher oft die Hände gebunden, selbst verdeckte Ermittlungen bringen sie nicht weiter. Ein neues Gesetz soll der Polizei nun mehr Handlungsspielraum verschaffen – doch das ist nicht unumstritten.
Die Reform, die am Freitag im Bundestag beschlossen wurde, greift an zwei Stellen an, in sozialen Medien und im Darknet: In Chaträumen, bei Facebook, Instagram, Snapchat oder TikTok, in Onlinespielen und Messengern geben sich Pädophile und Sexualstraftäter als Kinder aus. Sie knüpfen Kontakte zu echten Jungen und Mädchen, schreiben oft erst harmlose Nachrichten – doch bald fragen sie nach Handynummern, bitten um Nacktfotos und schließlich um ein Treffen. Mehr als jedes siebte Kind unter 14 Jahren sei Umfragen zufolge bereits Opfer sexueller Belästigung im Netz geworden, sagte der Unionsabgeordnete Thorsten Frei im Bundestag.
Schon jetzt schleichen sich Ermittler verdeckt und als Kinder getarnt in solche Chats ein – doch sie konnten zuletzt wenig tun, wenn jemand versuchte, mit ihnen anzubandeln. Denn bisher war das nicht strafbar, weil der Täter tatsächlich mit einem Erwachsenen kommunizierte. Dass er eigentlich davon ausging, einem Kind zu schreiben, spielte keine Rolle. Künftig ist das anders: Bereits der Versuch eines sexuellen Kontakts wird strafbar. Die Täter handelten schließlich „in der gleichen schrecklichen Absicht, das Vertrauen eines Kindes für eine spätere Missbrauchstat zu gewinnen“, sagte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Auch in Tauschbörsen, wo grausamste Videos von Missbrauchsszenen zu Tausenden geteilt werden, bekommen Ermittler neue Möglichkeiten. Wie diese Internetseiten funktionieren, erklärte der Chef der Freiburger Kriminalpolizei vor Kurzem im Bundestag mit einem einfachen Bild: „Ein Forum
für kinderpornografisches Material im Darknet kann man sich wie ein Gebäude vorstellen, an dessen Eingang Sie als Eintrittskarte ein kinderpornografisches Foto oder einen
Film vorzeigen müssen“, sagte Peter Egetemaier den Abgeordneten. Bisher kamen die Ermittler nicht in die Hinterzimmer, weil sie selbst keine Missbrauchsvideos hochladen durften. Künftig sollen sie sich – streng kontrolliert – mit künstlichen Missbrauchsvideos in die Foren einschleichen. Diese computergenerierten Bilder sehen echten Bildern täuschend ähnlich, zeigen aber niemals echte Kinder. Sie dürfen nur dann genutzt werden, wenn sich die Taten nicht anders aufklären lassen und ein Gericht zustimmt. Zur Herstellung dürfen keinerlei Abbildungen echter Menschen verwendet werden.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft rechnet damit, dass die Ermittlungen erleichtert werden. „Das wird auch Zeit, denn die Zahlen dieser Straftaten steigen an und die Täter konnten sich bisher relativ sicher fühlen“, erklärte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. Im Jahr 2018 registrierte das Bundeskriminalamt rund 3462 Fälle, in denen jemand kinderpornografisches Material besaß oder erwarb. Zählt man Verbreitung und Herstellung dazu, waren es fast 7450 Fälle – Tendenz steigend. Werden Täter überführt, müssen sie mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren rechnen.
Baden-Württembergs Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) begrüßte die Entscheidung des Bundestags. Ohne die widerlichen „Vertrauensbeweise“würden die Täter oft in der Anonymität verbleiben. „Wir müssen unseren Ermittlern deshalb die Möglichkeit geben, das Vertrauen der Kriminellen zu gewinnen. Eine Rechtsgrundlage, um computergenerierte Missbrauchsbilder einzusetzen, ist dazu genau das richtige Mittel“, so Strobl.
Während die Opposition diesen Gesetzesteil mittrug, lehnten Grüne, FDP und Linke die Verschärfung beim Cybergrooming ab. Schon den Versuch der Kontaktaufnahme unter Strafe zu stellen, gehe zu weit, hieß es. Weil es zu einem echten Kontakt zwischen Erwachsenen und Kindern aber oft gar nicht kommt, können solche Chatverläufe nur als versuchtes Cybergrooming gewertet werden. Das Deutsche Kinderhilfwerk begrüßte dagegen die Strafbarkeit des Cybergrooming-Versuchs als „guten ersten Schritt“. Zusätzlich zur Strafverschärfung müssten aber auch mehr Polizisten und Staatsanwälte eingestellt werden, sagte Vizepräsidentin Anne Lütkes. Wichtig sei zudem, dass Kinder besser im Umgang mit Medien geschult würden.Laut Bundeskriminalamt (BKA) nimmt das Cybergrooming, das mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird, seit einiger Zeit stark zu. Weil aber nur ein Teil der Kontaktversuche angezeigt werde, sei das Dunkelfeld sehr groß.