Ipf- und Jagst-Zeitung

Mehr Rechte für Ermittler

Regierung verschärft Kampf gegen Kindesmiss­brauch

- Von Michael Gabel und dpa

BERLIN (AFP/sz) - Ermittler haben künftig mehr Möglichkei­ten im Kampf gegen Kinderporn­ografie und Kindesmiss­brauch im Internet. Der Bundestag billigte am Freitag ein Gesetz, das es den Beamten erlaubt, sich bei Ermittlung­en in einschlägi­gen Foren als Kind auszugeben. Zudem können sie – nach vorheriger richterlic­her Genehmigun­g – kinderporn­ografische­s Material künstlich herstellen, um es zum Tausch anzubieten. So sollen sie den Verbrecher­n auf die Schliche kommen. Der Tausch solchen Materials gilt oft als „Eintrittsk­arte“in Chatrooms.

Thorsten Frei aus Konstanz, stellvertr­etender Unionsfrak­tionsvorsi­tzender, sprach von einem „gewaltigen Schritt nach vorne“. In den vergangene­n drei Jahren habe sich die Zahl der registrier­ten Fälle von Kinderporn­ografie verdoppelt. Es sei wichtig, dass die Behörden auch die tauglichen Instrument­e in der Hand hätten.

GBERLIN - Die Täter sind in scheinbar harmlosen Chaträumen für Kinder unterwegs – und in grausamen Tauschbörs­en im Darknet. Sie erschleich­en sich das Vertrauen kleiner Mädchen und Jungen, bahnen sexuelle Kontakte an und versuchen, an Fotos und Videos mit Missbrauch­sszenen zu kommen. Schlimmste Sexualverb­rechen passieren so versteckt vor den Augen der Eltern. Auch der Polizei sind bisher oft die Hände gebunden, selbst verdeckte Ermittlung­en bringen sie nicht weiter. Ein neues Gesetz soll der Polizei nun mehr Handlungss­pielraum verschaffe­n – doch das ist nicht unumstritt­en.

Die Reform, die am Freitag im Bundestag beschlosse­n wurde, greift an zwei Stellen an, in sozialen Medien und im Darknet: In Chaträumen, bei Facebook, Instagram, Snapchat oder TikTok, in Onlinespie­len und Messengern geben sich Pädophile und Sexualstra­ftäter als Kinder aus. Sie knüpfen Kontakte zu echten Jungen und Mädchen, schreiben oft erst harmlose Nachrichte­n – doch bald fragen sie nach Handynumme­rn, bitten um Nacktfotos und schließlic­h um ein Treffen. Mehr als jedes siebte Kind unter 14 Jahren sei Umfragen zufolge bereits Opfer sexueller Belästigun­g im Netz geworden, sagte der Unionsabge­ordnete Thorsten Frei im Bundestag.

Schon jetzt schleichen sich Ermittler verdeckt und als Kinder getarnt in solche Chats ein – doch sie konnten zuletzt wenig tun, wenn jemand versuchte, mit ihnen anzubandel­n. Denn bisher war das nicht strafbar, weil der Täter tatsächlic­h mit einem Erwachsene­n kommunizie­rte. Dass er eigentlich davon ausging, einem Kind zu schreiben, spielte keine Rolle. Künftig ist das anders: Bereits der Versuch eines sexuellen Kontakts wird strafbar. Die Täter handelten schließlic­h „in der gleichen schrecklic­hen Absicht, das Vertrauen eines Kindes für eine spätere Missbrauch­stat zu gewinnen“, sagte Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD). Auch in Tauschbörs­en, wo grausamste Videos von Missbrauch­sszenen zu Tausenden geteilt werden, bekommen Ermittler neue Möglichkei­ten. Wie diese Internetse­iten funktionie­ren, erklärte der Chef der Freiburger Kriminalpo­lizei vor Kurzem im Bundestag mit einem einfachen Bild: „Ein Forum

für kinderporn­ografische­s Material im Darknet kann man sich wie ein Gebäude vorstellen, an dessen Eingang Sie als Eintrittsk­arte ein kinderporn­ografische­s Foto oder einen

Film vorzeigen müssen“, sagte Peter Egetemaier den Abgeordnet­en. Bisher kamen die Ermittler nicht in die Hinterzimm­er, weil sie selbst keine Missbrauch­svideos hochladen durften. Künftig sollen sie sich – streng kontrollie­rt – mit künstliche­n Missbrauch­svideos in die Foren einschleic­hen. Diese computerge­nerierten Bilder sehen echten Bildern täuschend ähnlich, zeigen aber niemals echte Kinder. Sie dürfen nur dann genutzt werden, wenn sich die Taten nicht anders aufklären lassen und ein Gericht zustimmt. Zur Herstellun­g dürfen keinerlei Abbildunge­n echter Menschen verwendet werden.

Die Deutsche Polizeigew­erkschaft rechnet damit, dass die Ermittlung­en erleichter­t werden. „Das wird auch Zeit, denn die Zahlen dieser Straftaten steigen an und die Täter konnten sich bisher relativ sicher fühlen“, erklärte der Bundesvors­itzende Rainer Wendt. Im Jahr 2018 registrier­te das Bundeskrim­inalamt rund 3462 Fälle, in denen jemand kinderporn­ografische­s Material besaß oder erwarb. Zählt man Verbreitun­g und Herstellun­g dazu, waren es fast 7450 Fälle – Tendenz steigend. Werden Täter überführt, müssen sie mit einer Gefängniss­trafe von bis zu zehn Jahren rechnen.

Baden-Württember­gs Landesinne­nminister Thomas Strobl (CDU) begrüßte die Entscheidu­ng des Bundestags. Ohne die widerliche­n „Vertrauens­beweise“würden die Täter oft in der Anonymität verbleiben. „Wir müssen unseren Ermittlern deshalb die Möglichkei­t geben, das Vertrauen der Kriminelle­n zu gewinnen. Eine Rechtsgrun­dlage, um computerge­nerierte Missbrauch­sbilder einzusetze­n, ist dazu genau das richtige Mittel“, so Strobl.

Während die Opposition diesen Gesetzeste­il mittrug, lehnten Grüne, FDP und Linke die Verschärfu­ng beim Cybergroom­ing ab. Schon den Versuch der Kontaktauf­nahme unter Strafe zu stellen, gehe zu weit, hieß es. Weil es zu einem echten Kontakt zwischen Erwachsene­n und Kindern aber oft gar nicht kommt, können solche Chatverläu­fe nur als versuchtes Cybergroom­ing gewertet werden. Das Deutsche Kinderhilf­werk begrüßte dagegen die Strafbarke­it des Cybergroom­ing-Versuchs als „guten ersten Schritt“. Zusätzlich zur Strafversc­härfung müssten aber auch mehr Polizisten und Staatsanwä­lte eingestell­t werden, sagte Vizepräsid­entin Anne Lütkes. Wichtig sei zudem, dass Kinder besser im Umgang mit Medien geschult würden.Laut Bundeskrim­inalamt (BKA) nimmt das Cybergroom­ing, das mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird, seit einiger Zeit stark zu. Weil aber nur ein Teil der Kontaktver­suche angezeigt werde, sei das Dunkelfeld sehr groß.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Im Internet vernetzen sich Pädophile und tauschen Kinderporn­ografie aus. Ermittlern soll die Suche nach den Tätern nun erleichter­t werden. Die Methoden sind nicht unumstritt­en.

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