Ipf- und Jagst-Zeitung

„Wir erleben sehr scharfe Töne, ja Anfeindung­en“

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STUTTGART - Sie fühlen sich als Buhmänner: Landwirte im Südwesten ebenso wie ihre Kollegen in ganz Deutschlan­d. Warum viele Familien um ihre

Höfe fürchten und was sich ändern muss, erklärt Juliane Vees im Interview mit Katja Korf. Die Landwirtin aus dem Kreis Freudensta­dt ist Vorsitzend­e der Landfrauen in Württember­gHohenzoll­ern und Vizechefin des Bundesverb­andes.

Frau Vees, Bauernpräs­ident Rukwied hat gesagt: „Die neue Agrarpolit­ik muss grüner werden, damit wir gesellscha­ftliche Akzeptanz bekommen.“Teilen Sie diese Haltung?

Ja. Die Menschen, vor allem jene in den Städten, haben Erwartunge­n an die Landwirtsc­haft. Wir versuchen durchaus, diese zu erfüllen. Aber über den Weg dahin und das Tempo müssen wir diskutiere­n. Gerade in Baden-Württember­g lastet großer Druck auf den bäuerliche­n Familien. Düngeveror­dnung, Agrarpaket, Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“– kaum ist eine Änderung verabschie­det, kommt die nächste. Das überforder­t uns. Die meisten Höfe werden von einem Ehepaar, Sohn und Vater oder Geschwiste­rn geführt, wenn überhaupt mit wenigen Angestellt­en. Wir haben kein Wochenende, allenfalls mal vier bis fünf Tage am Stück frei. Wir sind Generalist­en, kümmern uns von der Stalltechn­ik bis zur Buchhaltun­g um alles. Zum täglichen Tun kommt stets neue Bürokratie, neue Anforderun­gen. Das belastet auch psychisch: Wir erleben sehr scharfe Töne, ja Anfeindung­en, auch von Organisati­onen, die so versuchen, ihr Klientel zu bedienen und Spenden einzuwerbe­n.

Ministerpr­äsident Kretschman­n hat auf dem Kalten Markt in Ellwangen die Leistung der Landwirte gelobt und Verbrauche­r aufgeforde­rt, dafür angemessen­e Preise zu zahlen. Ist das der Weg?

Diese Aufforderu­ngen gibt es schon seit Jahren. Klar ist: Menschen können nicht Tierwohl, natur- und klimafreun­dliche Landwirtsc­haft und gute Produkte erwarten, aber selbst Diesel fahren und Fleisch für 2,50 Euro im Discounter kaufen. Doch das allein ist zu kurz gesprungen. Wir brauchen einen Gesellscha­ftsvertrag. Wir müssen dahin kommen, dass Bürger, Nicht-Regierungs­organisati­onen und Politik miteinande­r reden und verlässlic­he, machbare Ziele vereinbare­n. Wir wollen ja etwas verändern, aber die Gesellscha­ft muss uns dafür Zeit geben. Die Landwirtef­amilien sind total verunsiche­rt, die Investitio­nsbereitsc­haft sinkt, weil niemand weiß, was als nächstes passiert. Wir brauchen wissenscha­ftlich fundierte

Analysen und auf dieser Grundlage politische Entscheidu­ngen. Derzeit lässt sich die Politik vom Mainstream treiben, das kann nicht der Weg sein. Welchen Beitrag muss die Landwirtsc­haft selbst leisten?

Wir dürfen nicht mauern und Veränderun­gen annehmen. Sehr viele Landwirte tun das bereits. In unserem Betrieb setzen wir ab diesem Jahr auf unseren Maisfelder­n keine Pflanzensc­hutzmittel mehr ein. Aber: Um Unkraut zu beseitigen, fahren wir nun mit einer Hackmaschi­ne durch die Felder. Das Gerät müssen wir leihen, das kostet zusätzlich. Und wir stören Vögel und Insekten mehrfach auf dem Feld. Alles hat eben mehrere Seiten. Zum Glück unterstütz­t uns das Land bei den Kosten für die Hackmaschi­ne. Nur so kann es gehen: Mit Investitio­nshilfen, um die Kosten der Veränderun­gen zu stemmen.

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FOTO: OH Juliane Vees

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