Auf Krawall gebürstet
Südwestmetall-Vorstand Harald Marquardt kündigt harte Tarifauseinandersetzung an – IG Metall hält dagegen
G- Zu verteilen gibt es nichts. Harald Marquardt lässt vor der anstehenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie an der Kampfbereitschaft des Arbeitgeberverbands Südwestmetall keinen Zweifel aufkommen. Jahrelang ging es in den Schlüsselbranchen BadenWürttembergs stets nach oben. Doch seit etlichen Monaten stottert der Wachstumsmotor gewaltig. Produktion und Auftragseingänge schrumpfen, Unternehmen entlassen Mitarbeiter. Allerorten ist von großen strukturellen Herausforderungen die Rede. Kurzum: Die Tarifverhandlungen für die rund eine Million Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie im Südwesten stehen unter schwierigen Vorzeichen.
Marquardt, stellvertretender Vorstand bei Südwestmetall, kennt die Probleme nur zu gut. Als Chef des gleichnamigen Automobilzulieferers aus Rietheim-Weilheim (Landkreis Tuttlingen) muss er sich inmitten eines historischen Umbruchs behaupten. Das könne gelingen, sagt der Unternehmner. Doch dafür müssten sich die Tarifpartner zusammenraufen und an einem Strang ziehen, um Produktion und Jobs in Deutschland zu halten. An die Adresse des Tarifpartners IG Metall gerichtet appellierte Marquardt, „keine unerfüllbaren Erwartungen bei den Mitgliedern zu schüren“. Für Lohnerhöhungen sei angesichts der schwachen Konjunktur jedenfalls kaum Spielraum.
Damit scheint der Konflikt für die Mitte März beginnenden Verhandlungen sicher. Denn IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hatte zuvor mit markigen Worten die Position der Gewerkschaft klargemacht: „Versucht uns nicht für dumm zu verkaufen, indem Ihr Konjunkturschwäche oder die Transformation vorschiebt, wo es Euch schlicht um Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Beschäftigten geht“, sagte er Anfang des Monats an die Adresse der Arbeitgeber gerichtet.
Harald Marquardt tut das als „Spruch aus den Urzeiten des Kapitalismus“ab. Denn von Gewinnmaximierung könne bei vielen Firmen – vor allem bei Automobilzulieferern und Maschinenbauern – keine Rede sein. Auswertungen des ifo-Instituts zufolge, erwarten 18,4 Prozent der Firmen aus der Metall- und Elektrobranche für 2019 Verluste. Im Jahr 2018 waren es lediglich 12,6 Prozent. Falsche Zahlen, so Marquardt, hätten ein „dramatisches Streitpotenzial“.
Ob sich Hofmann mit seiner Position durchsetzt werden die kommenden Wochen zeigen. Nach bisherigen Planungen will der IG-Metall-Vorstand
am 4. Februar eine Forderungsempfehlung aussprechen, ehe die Tarifkommissionen in den Bezirken das Paket am 20. Februar absegnen. Den finalen Beschluss will der Vorstand am 26. Februar treffen. Erste Verhandlungen mit den Arbeitgebern auf regionaler Ebene sollen dann Mitte März beginnen.
Beim Auftakt der Tarifkommission der IG Metall Baden-Württemberg schlug Bezirksleiter Roman Zitzelsberger moderatere Töne an. „Aus vielen Belegschaften höre ich, dass sichere und gute Arbeitsplätze beim überwiegenden Teil der Beschäftigten hohe Priorität haben. Beschäftigungssicherung sowie Qualifizierung und Weiterbildung für neue Aufgaben stehen deshalb weit oben auf unserer Agenda“, sagte Zitzelsberger.
Wie diese Forderungen im Detail aussehen könnten, erklärte der Gewerkschafter im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: So sollen Arbeitnehmer bei angeordneter Kurzarbeit den Verdienstausfall nicht alleine tragen müssen, sondern Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld bekommen. Zudem pocht Zitzelsberger auf einen „Rechtsanspruch der Mitarbeiter für Qualifizierungen“. Wer wann und zu was qualifiziert werde, solle künftig nicht allein im Ermessen der Arbeitgeber liegen.
Die vom Arbeitgeberverband Südwestmetall ins Spiel gebrachten Einmalzahlungen lehnt aber auch Zitzelsberger ab. „Da sind wir nicht dabei. Wir fordern eine prozentuale Erhöhung, die die Realeinkommen sichert und die Kaufkraft der Beschäftigten stärkt.“Ein guter Teil der Unternehmen, so Zitzelsberger, mache nach wie vor gute Geschäfte und sei definitiv nicht in einer Krise. Ein Drittel der Firmen fahre sogar noch Sonderschichten. Deshalb gebe es keinen Grund zu falscher Bescheidenheit.
In den Firmen wird das durchaus differenziert gesehen. „In der anstehenden Tarifrunde sollte es uns dieses Mal weniger um die Forderung nach mehr Geld gehen. Viel wichtiger ist die Beschäftigungssicherung sowie die Weiterbildung und Qualifizierung an unseren deutschen Standorten“, sagt der Chef des MarquardtKonzernbetriebsrats Antonio Piovano. Er wünscht sich für die bevorstehenden Verhandlungen deshalb „keine Forderungsdiskussion, sondern vielmehr eine Zukunftsdiskussion“.
Für Südwestmetall-Chef Stefan Wolf muss mit dem neuen Abschluss endlich wieder „Ruhe und Frieden einkehren“. Dieses Miteinander ist nämlich mit dem vor zwei Jahren ausgehandelten Abschluss über Bord gegangen. Neben einer Lohnerhöhung um gut vier Prozent hatte man sich damals auf ein sogenanntes tarifliches Zusatzgeld geeinigt, das bestimmte Beschäftigtengruppen in zusätzliche freie Tage umwandeln können. Vor allem diese Regelung hat viel Unruhe in die Firmen und dem Verband teils harsche Kritik von den eigenen Mitgliedern gebracht.
Etliche Firmen hatten den Verband daraufhin postwendend verlassen und bis heute hält sich bei vielen Arbeitgebern das Gefühl, damals „über den Tisch gezogen worden zu sein“, wie Arbeitgeber immer wieder kritisieren. Die Kompromissbereitschaft von Südwestmetall dürfte in der anlaufenden Tarifrunde also überschaubar bleiben, will man nicht eine weitere Erosion Mitglieder riskieren. Ende 2019 waren 678 Unternehmen im Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg organisiert – zur Jahrtausendwende waren es noch 1090. Der Abwärtstrend spiegelt sich im Anteil der tarifgebundenen Jobs in den jeweiligen Branchen. Waren vor 40 Jahren noch rund 80 Prozent der Metall- und Elektro-Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen tätig, sind es jetzt noch 55 Prozent.
Zuletzt machten der Autozulieferer PWO aus Oberkirch und der Metallverarbeiter Zollern aus Sigmaringen mit Austritten von sich Reden. Während PWO die Ankündigung nach Gesprächen mit der IG Metall kurz vor Weihnachten wieder zurückzog, steht Zollern zu seinem Entschluss. Die deutlichen Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre seien für das Unternehmen aus Sigmaringen zu einer Belastung geworden. „Wir können diese Beträge nicht mehr wegrationalisieren“, sagte Geschäftsführer Klaus F. Erkes in einem Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“als Begründung. Ob es dabei bleibt, werden die nächsten Wochen zeigen.
Einen Austritt aus dem Arbeitgeberverband Südwestmetall habe auch Marquardt „immer mal wieder durchgespielt“, sagt der Firmenchef. Doch eigentlich will er das nicht. Konzernbetriebsratschef Piovano hofft daher, dass der nächste Tarifabschluss auch einen Beitrag dazu leistet, das Modell der Tarif- und Sozialpartnerschaft und dabei auch die Tarifbindung zu stärken. Die weit überwiegende Mehrheit der Beschäftigten und der Betriebe müsse mit dem Ergebnis gut leben können, so Piovano. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich die Tarifparteien dieser Verantwortung bewusst sind.