Der lange, zähe Kampf um die Gleichberechtigung
Im Neresheimer Rathaus wurde die Ausstellung „100 Jahre Frauenwahlrecht: Mütter des Grundgesetzes“eröffnet
NERESHEIM - Dass im 18-köpfigen Neresheimer Gemeinderat fünf Frauen Sitz und Stimme haben, ist heutzutage nichts Besonderes. Dass dies so ist, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Dies ist vielmehr hart erkämpft worden von vier Frauen – den „Müttern des Grundgesetzes“. Ihnen ist eine Ausstellung gewidmet, die am Donnerstag im Neresheimer Rathaus eröffnet worden ist.
Zur Einführung sprach die frühere Kreisrätin Julia Frank aus Lorch. Sie machte dabei deutlich, dass die Gleichberechtigung der Frau zwar im Grundgesetz festgeschrieben, die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen aber in der Praxis immer noch nicht in allen Bereichen erreicht ist.
Das Gleichberechtigungsprinzip sei 1949 ein Paradigmenwechsel gewesen, der auf eine völlig unvorbereitete Gesellschaft getroffen sei. Die habe sich zudem nach dem Ende des Krieges mit vielen existenzbedrohenden Problemen herumschlagen müssen, blendete die Referentin zurück. In dieser Situation hätten 61 Männer und vier Frauen – eben die
„Väter und Mütter des Grundgesetzes“– um eine demokratische Verfassung für die drei westlichen Besatzungszonen gerungen.
Vier Frauen blieben hartnäckig
Es seien Frauen und Männer und eine Gesellschaft gewesen, in der man über viele Generationen eine naturrechtliche Vorrangstellung des Mannes, auch religiös begründet, unterstellt hatte. In der verfassunggebenden Versammlung, dem Parlamentarischen Rat, sei anfangs folglich von Gleichberechtigung der Geschlechter überhaupt nicht die Rede gewesen.
Elisabeth Selbert, eine der vier Frauen in der Versammlung, habe den schlichten Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“für das Grundgesetz vorgeschlagen und erst einmal Schiffbruch erlitten, fuhr Julia Frank fort. Die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Verfassung der entstehenden Bundesrepublik zu verankern, habe vieler harter und heftiger Diskussionen bedurft.
Sogar die Annahme der Verfassung habe auf der Kippe gestanden. Doch die Hartnäckigkeit der vier Frauen und die Tatsache, dass als Folge
des Krieges der Frauenanteil in Deutschland damals bei 55 Prozent lag, habe letzten Endes der Gleichberechtigung zum Durchbruch verholfen. Das habe aber auch zur Folge gehabt, dass viele Gesetze grundgesetzwidrig wurden. Bis 1953 sollte eine Übergangsfrist gelten, während der alle Gesetze grundgesetzkonform formuliert werden sollten. Doch geschehen sei nichts, berichtete die Rednerin, viele männliche und weibliche Abgeordnete hätten an ihren naturrechtlichen Positionen und dem traditionellen Bild der Frau festgehalten.
Frank: „Das Grundgesetz mit seinem demokratischen und emanzipatorischen Gesellschaftsentwurf war seiner Zeit in der deutschen Nachkriegsgesellschaft um Lichtjahre voraus. Seinen Geist in der Alltagsrealität zu etablieren, war und ist Tagesarbeit über Generationen. Und wie wir aktuell erfahren, sind auch Rückfälle nicht mehr auszuschließen.“
Seit 1957 dürfen Ehefrauen über den Wohnsitz mitbestimmen
Wie weit der Weg war, seit das Grundgesetz beschlossen wurde, machte die Referentin abschließend mit beeindruckenden Beispielen deutlich: Seit 1957 dürfen Ehefrauen den gemeinsamen Wohnsitz mitbestimmen und aus eigener Entscheidung größere Einkäufe tätigen. Seit 1962 dürfen sie ohne Zustimmung des Mannes ein Konto eröffnen. Seit 1977 hat der Ehemann als vermeintliches Familienoberhaupt nicht mehr das Letztentscheidungsrecht in Ehe- und Familienangelegenheiten und seit 2015 gilt das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst.
Der Neresheimer Bürgermeister Thomas Häfele nannte Vortrag und Ausstellung „ein wichtiges Thema“. Es sei aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen, dass Frauen in Deutschland tatsächlich erst seit 1919 an Wahlen teilnehmen dürfen.