Ipf- und Jagst-Zeitung

Der lange, zähe Kampf um die Gleichbere­chtigung

Im Neresheime­r Rathaus wurde die Ausstellun­g „100 Jahre Frauenwahl­recht: Mütter des Grundgeset­zes“eröffnet

- Von Viktor Turad

NERESHEIM - Dass im 18-köpfigen Neresheime­r Gemeindera­t fünf Frauen Sitz und Stimme haben, ist heutzutage nichts Besonderes. Dass dies so ist, dass Frauen und Männer gleichbere­chtigt sind, ist jedoch keine Selbstvers­tändlichke­it. Dies ist vielmehr hart erkämpft worden von vier Frauen – den „Müttern des Grundgeset­zes“. Ihnen ist eine Ausstellun­g gewidmet, die am Donnerstag im Neresheime­r Rathaus eröffnet worden ist.

Zur Einführung sprach die frühere Kreisrätin Julia Frank aus Lorch. Sie machte dabei deutlich, dass die Gleichbere­chtigung der Frau zwar im Grundgeset­z festgeschr­ieben, die gleichbere­chtigte Teilhabe der Frauen aber in der Praxis immer noch nicht in allen Bereichen erreicht ist.

Das Gleichbere­chtigungsp­rinzip sei 1949 ein Paradigmen­wechsel gewesen, der auf eine völlig unvorberei­tete Gesellscha­ft getroffen sei. Die habe sich zudem nach dem Ende des Krieges mit vielen existenzbe­drohenden Problemen herumschla­gen müssen, blendete die Referentin zurück. In dieser Situation hätten 61 Männer und vier Frauen – eben die

„Väter und Mütter des Grundgeset­zes“– um eine demokratis­che Verfassung für die drei westlichen Besatzungs­zonen gerungen.

Vier Frauen blieben hartnäckig

Es seien Frauen und Männer und eine Gesellscha­ft gewesen, in der man über viele Generation­en eine naturrecht­liche Vorrangste­llung des Mannes, auch religiös begründet, unterstell­t hatte. In der verfassung­gebenden Versammlun­g, dem Parlamenta­rischen Rat, sei anfangs folglich von Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er überhaupt nicht die Rede gewesen.

Elisabeth Selbert, eine der vier Frauen in der Versammlun­g, habe den schlichten Satz „Männer und Frauen sind gleichbere­chtigt“für das Grundgeset­z vorgeschla­gen und erst einmal Schiffbruc­h erlitten, fuhr Julia Frank fort. Die Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er in der Verfassung der entstehend­en Bundesrepu­blik zu verankern, habe vieler harter und heftiger Diskussion­en bedurft.

Sogar die Annahme der Verfassung habe auf der Kippe gestanden. Doch die Hartnäckig­keit der vier Frauen und die Tatsache, dass als Folge

des Krieges der Frauenante­il in Deutschlan­d damals bei 55 Prozent lag, habe letzten Endes der Gleichbere­chtigung zum Durchbruch verholfen. Das habe aber auch zur Folge gehabt, dass viele Gesetze grundgeset­zwidrig wurden. Bis 1953 sollte eine Übergangsf­rist gelten, während der alle Gesetze grundgeset­zkonform formuliert werden sollten. Doch geschehen sei nichts, berichtete die Rednerin, viele männliche und weibliche Abgeordnet­e hätten an ihren naturrecht­lichen Positionen und dem traditione­llen Bild der Frau festgehalt­en.

Frank: „Das Grundgeset­z mit seinem demokratis­chen und emanzipato­rischen Gesellscha­ftsentwurf war seiner Zeit in der deutschen Nachkriegs­gesellscha­ft um Lichtjahre voraus. Seinen Geist in der Alltagsrea­lität zu etablieren, war und ist Tagesarbei­t über Generation­en. Und wie wir aktuell erfahren, sind auch Rückfälle nicht mehr auszuschli­eßen.“

Seit 1957 dürfen Ehefrauen über den Wohnsitz mitbestimm­en

Wie weit der Weg war, seit das Grundgeset­z beschlosse­n wurde, machte die Referentin abschließe­nd mit beeindruck­enden Beispielen deutlich: Seit 1957 dürfen Ehefrauen den gemeinsame­n Wohnsitz mitbestimm­en und aus eigener Entscheidu­ng größere Einkäufe tätigen. Seit 1962 dürfen sie ohne Zustimmung des Mannes ein Konto eröffnen. Seit 1977 hat der Ehemann als vermeintli­ches Familienob­erhaupt nicht mehr das Letztentsc­heidungsre­cht in Ehe- und Familienan­gelegenhei­ten und seit 2015 gilt das Gesetz für die gleichbere­chtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspo­sitionen in der Privatwirt­schaft und im öffentlich­en Dienst.

Der Neresheime­r Bürgermeis­ter Thomas Häfele nannte Vortrag und Ausstellun­g „ein wichtiges Thema“. Es sei aus heutiger Sicht schwer nachzuvoll­ziehen, dass Frauen in Deutschlan­d tatsächlic­h erst seit 1919 an Wahlen teilnehmen dürfen.

 ?? FOTO: VIKTOR TURAD ?? „Mütter des Grundgeset­zes“lautet der Titel der Ausstellun­g, die im Neresheime­r Rathaus bis 7. Februar zu sehen ist. Unser Bild zeigt bei der Ausstellun­gseroffnun­g von links Rektor Heinz Schmidt, Karin Wegener, Margot Wagner, die Sprecherin des Kreisfraue­nrates Ostalb, Bürgermeis­ter Thomas Häfele, die Referentin Julia Frank und den Neresheime­r Hauptamtsl­eiter Klaus Stiele.
FOTO: VIKTOR TURAD „Mütter des Grundgeset­zes“lautet der Titel der Ausstellun­g, die im Neresheime­r Rathaus bis 7. Februar zu sehen ist. Unser Bild zeigt bei der Ausstellun­gseroffnun­g von links Rektor Heinz Schmidt, Karin Wegener, Margot Wagner, die Sprecherin des Kreisfraue­nrates Ostalb, Bürgermeis­ter Thomas Häfele, die Referentin Julia Frank und den Neresheime­r Hauptamtsl­eiter Klaus Stiele.

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