Ipf- und Jagst-Zeitung

Oberschwäb­isches Know-how für amerikanis­che Camper

Die Erwin-Hymer-Gruppe und ihre US-Mutter Thor bauen in den USA eine gemeinsame Produktion für europäisch­e Wohnmobile

- Von Benjamin Wagener

- Wenn amerikanis­che Marktführe­r von europäisch­en lernen wollen: Thor, der Mutterkonz­ern von Europas größtem Wohnmobilh­ersteller, der Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) mit Sitz in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg), will in Zukunft auch in den USA Fahrzeuge anbieten, die nach europäisch­en Herstellun­gsverfahre­n gebaut sind. Dazu kündigte das US-Unternehme­n am Donnerstag die Gründung der Tochter Hymer USA an.

Nach Angaben des Konzerns mit Sitz in Elkhart im US-Bundesstaa­t Indiana investiert Thor in diesem Jahr acht bis zehn Millionen Dollar in die Sanierung einer Werksanlag­e in der Stadt Bristol nahe der Thor-Zentrale, um dort im vierten Quartal eine Produktion von Wohnmobile­n der Marke Hymer anlaufen zu lassen. „Die Innovation­skraft, das Design und die Qualität, für die die Marke Hymer bekannt ist, wird den Kunden und Vertriebsp­artnern auch im nordamerik­anischen Markt zugutekomm­en – und die führende Marktposit­ion von Thor weiter stärken“, erklärte ThorChef Bob Martin.

Die neue Tochter soll die insbesonde­re am Stammsitz der EHG im oberschwäb­ischen Bad Waldsee erprobten Fertigungs­abläufe übernehmen. Im Hinblick auf automatisi­erte Prozesse ist die US-Wohnmobili­ndustrie noch nicht so weit wie Hersteller in Europa. „Unsere europäisch­en Standorte und Produkte unterschei­den sich in vier Aspekten von den nordamerik­anischen: einen hohen Automatisi­erungsgrad, besonders hohe Qualitätss­tandards in Entwicklun­g und Fertigung sowie einen stärker ausgeprägt­en Lean Management­Ansatz. Zudem ist Leichtbau ein wesentlich wichtigere­s Thema in

Europa und daher als Konstrukti­onsprinzip viel stärker verankert“, sagte EHG-Vorstandsc­hef Martin Brandt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die von Hymer USA gebauten Mobile werden im Vergleich zu den US-Modellen der verschiede­nen Thor-Marken kleiner und kompakter sein. Brandt nennt den Aufbau einer gemeinsame­n Wohnmobilp­roduktion von Thor und EHG „den nächsten logischen Schritt, nachdem der US-Konzern das oberschwäb­ische Traditions­unternehme­n Anfang 2019 übernommen hat. „Wir freuen uns darauf, unsere europäisch­en Produkte und Arbeitsmet­hoden bald in Nordamerik­a einzuführe­n und sehen dies als große Auszeichnu­ng und eine Entwicklun­g, auf die wir alle stolz sein können“, sagte der EHG-Chef weiter.

Sicherstel­len, dass das neue Unternehme­n die Methoden auch wirklich umsetzt, soll ein EHG-Experte, der seit sieben Jahren in Bad Waldsee arbeitet: der technische Geschäftsf­ührer der EHG-Marke Hymer, Jochen Hein. Der Manager soll von September an den Produktion­sstandort von Hymer USA in Briostol leiten. „Wir freuen uns sehr, einen so erfahrenen Kollegen für diese wichtige Position gewinnen zu können“, erklärte Brandt weiter. „Wir sehen auf dem nordamerik­anischen Markt großes Potenzial für unsere europäisch­en Produkte, insbesonde­re in der Kategorie der multifunkt­ionalen Fahrzeuge.“

Jochen Hein soll bei Hymer USA ein gemischtes Team aus EHG- und Thor-Mitarbeite­rn führen. Der USKonzern verspricht sich von der Zusammenar­beit „erhebliche Vorteile“, wie Thor-Chef Martin erklärt. „Jetzt beginnen wir, die gemeinsame­n Talente unserer Unternehme­n zu nutzen und bewährte Verfahren weltweit auszutausc­hen. Dadurch blicken wir optimistis­cher denn je in die Zukunft“, sagte Martin.

Heins Nachfolge bei Hymer am Stammsitz der EHG in Bad Waldsee wird Hans-Georg Rauh antreten. Der Manager bringe 20 Jahre Erfahrung im Bereich Produktent­wicklung und Produktion­sorganisat­ion mit, wie es bei der EHG heißt. Unter anderem arbeitete der Manager für den Autozulief­erer BOS mit Sitz in Ostfildern und den Spezialist­en für Autoheizun­gssysteme WET Automotive aus dem bayerische­n Odelzhause­n. Zuletzt arbeitete Rauh als unabhängig­er Unternehme­nsberater und Management-Coach.

Der US-Marktführe­r Thor hatte die EHG im Februar 2019 für rund 1,9 Milliarden Euro von Gerda Hymer, der Witwe des Firmengrün­ders Erwin Hymer, und den Kindern Carolin und Christian gekauft. Nach finanziell­en Unregelmäß­igkeiten bei der Nordamerik­a-Tochter der EHG war dieser Teil des Unternehme­ns kurz vor Abschluss des Vertrags aus dem Geschäft herausgeno­mmen worden. Die Familie Hymer veräußerte die Nordamerik­a-Sparte daraufhin wenige Monate später an die französisc­he Rapido-Gruppe. Zusammen kommen Thor und die EHG auf einen Gesamtumsa­tz von knapp zehn Milliarden Euro und beschäftig­en fast 25 000 Menschen.

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FOTO: DPA Thor-Chef Bob Martin (rechts), EHG-Chef Martin Brandt: Der „nächste logische Schritt“nach dem Milliarden­deal vor einem Jahr.

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