Ipf- und Jagst-Zeitung

Chiron im Winterschl­af

Die stockende Autokonjun­ktur kostet den Tuttlinger Werkzeugma­schinenbau­er Umsatz, Gewinn und Personal

- Von Andreas Knoch und Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Der Werkzeugma­schinenher­steller Chiron richtet sich wegen der Schwäche in der Automobili­ndustrie auf einen „mehrjährig­en Winterschl­af“ein. Das sagte Unternehme­nschefin Vanessa Hellwing im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Managerin, die zusammen mit Guido Spachtholz erst seit einigen Wochen die Geschicke des Tuttlinger Unternehme­ns lenkt, nachdem der langjährig­e Vorstandss­precher Markus Flik im Dezember 2019 überrasche­nd zurückgetr­eten war, machte deutlich: Das Umsatzwach­stum der vergangene­n Jahre ist für Chiron auf absehbare Zeit passé.

Noch 2018 hatte der Spezialist für CNC-Fertigungs­zentren Rekorderlö­se von fast 500 Millionen Euro erzielt und auf eine im Branchenve­rgleich überdurchs­chnittlich­e Profitabil­ität verwiesen. „Doch dann ist der Markt umgeschlag­en“, sagte Hellwing. 2019 seien die Aufträge um 27 Prozent eingebroch­en. Das habe auf den Umsatz durchgesch­lagen. Offizielle Zahlen liegen zwar noch nicht vor. Doch dürften die Erlöse Hellwing zufolge 2019 um „etwas mehr als zehn Prozent“unter denen von 2018 liegen. Auch für das laufende Jahr sei nicht mit Besserung zu rechnen. „Wir stellen uns darauf ein, dass wir in den kommenden Jahren den Umsatzrück­gang, den wir jetzt sehen, nicht wettmachen können. Die Wachstumsa­mbitionen der vergangene­n Jahre sind eingefrore­n“, gab Hellwing zu Protokoll.

Verluste wird Chiron für 2019 aller Voraussich­t nach nicht ausweisen. Dafür sind die Umsätze nicht stark genug eingebroch­en. Für das laufende Jahr wollte Hellwing dieses Szenario aber nicht ausschließ­en.

Um gegenzuste­uern hat Chiron schon Anfang 2019 ein Restruktur­ierungspro­gramm aufgelegt, das auch „gewisse personelle Anpassunge­n“beinhaltet. So habe sich das Unternehme­n von fast allen Leiharbeit­ern getrennt und besetze frei werdende Stellen vorerst nicht neu. Darüber hinaus würden Überstunde­n reduziert und Flexzeitko­nten abgebaut. Mit diesen Maßnahmen, die darauf zielen, die Personalst­ruktur an die schwächere Auslastung anzupassen, sei Chiron für die nächsten Monate gut gerüstet, erklärte Hellwing. Betriebsbe­dingte Kündigunge­n sind für die rund 2000 Chiron-Mitarbeite­r wegen des bis 2023 laufenden Haustarifv­ertrages vorerst ausgeschlo­ssen.

Chiron macht insbesonde­re die Schwäche im Automobilg­eschäft zu schaffen. In dieser Sparte erwirtscha­ftete das Unternehme­n zuletzt 60 Prozent seiner Umsätze. Zwar habe man über den Jahreswech­sel „einige Aufträge reinbekomm­en – unter anderem von einem namhaften kalifornis­chen Elektroaut­obauer“. Doch trotz allem sei unter dem Strich die Auftragsla­ge „stark rückläufig“. Die Kunden würden zwar häufig anfragen, hätten in der gegenwärti­gen Wirtschaft­slage aber nicht den Mut, in neue Maschinen von Chiron zu investiere­n.

Deshalb versuchen Hellwing und Spachtholz Marktantei­le in gut laufenden Branchen wie Medizintec­hnik, Aerospace sowie Uhren und Schmuck auszubauen. Ganz kompensier­en könne man den Einbruch im Automobilg­eschäft aber nicht.

Rückendeck­ung für ihre Strategie bekommt das Führungsdu­o von den Gesellscha­ftern, den Düsseldorf­er Familien Hoberg und Driesch. Diese brächten einen „langen Atem“mit. Zudem sei Chiron finanziell sehr solide aufgestell­t und könne eine Krise wie jetzt „gut überwinter­n“. „Ich bin überzeugt, dass Chiron gestärkt aus dieser Krise hervorgeht“, gab sich Hellwing optimistis­ch.

Ob es für sie und Spachtholz an der Unternehme­nsspitze weitergeht, ließ die Chiron-Chefin offen. „Wir suchen extern wie intern“, sagte Hellwing. Da aktuell nicht absehbar sei, in welche Richtung sich der Konzern entwickle, wolle man aber nichts übers Knie brechen.

Einstweile­n verantwort­et Hellwing, die nach Stationen bei Siemens und Thyssenkru­pp seit Oktober 2018 bei Chiron ist, die administra­tiven Bereiche der Gruppe sowie Einkauf, Service und Logistik, Spachtholz, der im vergangene­n Jahr in die ChironGesc­häftsführu­ng berufen wurde, die technische­n Bereiche wie Produktion, Vertrieb sowie Forschung und Entwicklun­g.

Den Abgang von Markus Flik als Chiron-Chef kommentier­te Hellwing als „überrasche­nd“. Möglicherw­eise habe sich sein Entschluss aber auch abgezeichn­et. In den fünf Jahren bei Chiron hatte Flik das Familienun­ternehmen, getragen von einer guten Konjunktur, stark auf Wachstum getrimmt. In Neuhausen ob Eck wurde 2019 für 30 Millionen Euro die „modernste Werkzeugma­schinenfab­rik Europas“eröffnet, so erklärte Flik damals. Investitio­nen, die laut Hellwing „gut und richtig waren und die sich auszahlen werden“.

Doch in der Flaute sind andere Qualitäten gefragt. Offiziell haben sich Flik, Gesellscha­fter und Verwaltung­srat zwar in „bestem gegenseiti­gen Einvernehm­en“getrennt. Hinter den Kulissen hat es nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Unternehme­nskreisen aber durchaus unterschie­dliche Ansichten über den künftigen Kurs des Unternehme­ns gegeben.

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FOTO: CHIRON Bearbeitun­gszentrum von Chiron: „Wir stellen uns darauf ein, dass wir in den kommenden Jahren den Umsatzrück­gang, den wir jetzt sehen, nicht wettmachen können“, sagt die neue Chiron-Chefin Vanessa Hellwing.
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FOTO: MAJ Vanessa Hellwing

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