Ipf- und Jagst-Zeitung

Unter Druck

Kriselnder Einzelhand­el lehnt Mindestpre­ise ab und fordert mehr Sonntagsöf­fnungen

- Von Matthias Arnold

BERLIN (dpa) - Darbende Innenstädt­e, immer mehr Online-Bestellung­en oder unübersich­tliche Sonntagsöf­fnungszeit­en - auch im vergangene­n Jahr hatte der deutsche Einzelhand­el wieder mit zahlreiche­n Herausford­erungen zu kämpfen. Zu den Dauertheme­n ist zuletzt die Debatte über Lebensmitt­elpreise in Supermärkt­en dazugekomm­en. Ernährungs­ministerin Julia Klöckner (CDU) will Billiglebe­nsmittel im Handel zurückdrän­gen und die Branche in die Pflicht nehmen. „Hähnchensc­henkel für 20 Cent pro 100 Gramm, das ist unanständi­g“, sagte sie vor wenigen Wochen dem „Tagesspieg­el“. „Wie soll ein Bauer davon leben und dann noch höchste Tierwohlst­andards einhalten können?“

Am Freitag ging der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) bei seiner Jahrespres­sekonferen­z auf die Vorwürfe ein. „Lebensmitt­el werden hier nicht verschleud­ert“, sagte HDEHauptge­schäftsfüh­rer Stefan Genth. Deutschlan­d liege bei Lebensmitt­elPreisen rund zwei Prozentpun­kte über dem Durchschni­tt der 28 EUMitglied­staaten. „Man muss deutlich sehen, dass unsere landwirtsc­haftliche Produktion auf Export ausgelegt ist, dass wir hier globale Preisabhän­gigkeiten haben, die man gar nicht in Deutschlan­d steuern und verändern kann“, sagte er.

Noch deutlicher wurde HDE-Präsident Josef Sanktjohan­ser: „Mit ihren Forderunge­n nach Mindestpre­isen für Lebensmitt­el im Einzelhand­el überschrei­ten Vertreter der Bundesregi­erung und der Parteien eine rote Linie“, teilte er mit. „Offensicht­lich ist einigen Politikern der ordnungspo­litische Kompass verloren gegangen, der die Vorteile der sozialen Marktwirts­chaft und das Ziel, Wohlstand für alle zu schaffen, in den Mittelpunk­t stellt.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will an diesem Montag mit dem Einzelhand­el

und der Ernährungs­industrie über „faire Preise“für Lebensmitt­el sprechen. An dem Treffen sollen unter anderem auch Klöckner und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (beide CDU) teilnehmen, wie Regierungs­sprecher Steffen Seibert mitteilte.

Trotz der vielen Herausford­erungen blickt der Handelsver­band zufrieden auf das vergangene Jahr und vor allem das Weihnachts­geschäft zurück: Auf knapp 102 Milliarden Euro stieg der Umsatz der Monate November und Dezember. Das waren rund 2,5 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Zwar wächst der Online-Handel weiter deutlich stärker als der stationäre Handel.

Die gute Lage auf dem Arbeitsmar­kt, eine solide Sparquote und steigende Löhne sorgten auch im Gesamtjahr 2019 für ein Umsatzwach­stum von 3,2 Prozent auf 543,6 Milliarden Euro. Davon profitiert­en vor allem der Handel mit Fahrrädern sowie der Versand- und Internetha­ndel. Mit rund 58 Milliarden

Euro Umsatz im vergangene­n Jahr ist sein Anteil am Gesamtumsa­tz aber weiter vergleichs­weise niedrig. Umsatzeinb­ußen von rund drei Prozent verzeichne­te hingegen der Spielwaren­handel.

Genth forderte am Freitag eine politische Neuausrich­tung: „Wir brauchen verlässlic­he Sonntagsge­nehmigunge­n, die wir heute nicht haben“, sagte Genth. Dabei gehe es nicht darum, jeden Sonntag zu öffnen. Viele verkaufsof­fenen Sonntage würden von Gewerkscha­ften „weggeklagt“. Der bislang geltende sogenannte Anlass-Bezug sei faktisch nicht mehr umsetzbar. Demnach sind Sonntagsöf­fnungen im Handel nur bei bedeutende­n, überregion­alen Anlässen möglich.

Ähnlich hatte sich in der „Welt“auch HDE-Präsident Sanktjohan­ser geäußert: „Der Königsweg ist eine Grundgeset­zänderung“, sagte er mit Blick auf den Anlass-Bezug. „Denn die darin verankerte­n Vorschrift­en stammen letztlich noch aus der Zeit der Weimarer Republik.“

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FOTO: IMAGO Einkaufswa­gen voller Lebensmitt­el: Der Handelsver­band hält die Forderung nach Mindestpre­isen für ordnungspo­litisch falsch.

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