Unter Druck
Kriselnder Einzelhandel lehnt Mindestpreise ab und fordert mehr Sonntagsöffnungen
BERLIN (dpa) - Darbende Innenstädte, immer mehr Online-Bestellungen oder unübersichtliche Sonntagsöffnungszeiten - auch im vergangenen Jahr hatte der deutsche Einzelhandel wieder mit zahlreichen Herausforderungen zu kämpfen. Zu den Dauerthemen ist zuletzt die Debatte über Lebensmittelpreise in Supermärkten dazugekommen. Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) will Billiglebensmittel im Handel zurückdrängen und die Branche in die Pflicht nehmen. „Hähnchenschenkel für 20 Cent pro 100 Gramm, das ist unanständig“, sagte sie vor wenigen Wochen dem „Tagesspiegel“. „Wie soll ein Bauer davon leben und dann noch höchste Tierwohlstandards einhalten können?“
Am Freitag ging der Handelsverband Deutschland (HDE) bei seiner Jahrespressekonferenz auf die Vorwürfe ein. „Lebensmittel werden hier nicht verschleudert“, sagte HDEHauptgeschäftsführer Stefan Genth. Deutschland liege bei LebensmittelPreisen rund zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt der 28 EUMitgliedstaaten. „Man muss deutlich sehen, dass unsere landwirtschaftliche Produktion auf Export ausgelegt ist, dass wir hier globale Preisabhängigkeiten haben, die man gar nicht in Deutschland steuern und verändern kann“, sagte er.
Noch deutlicher wurde HDE-Präsident Josef Sanktjohanser: „Mit ihren Forderungen nach Mindestpreisen für Lebensmittel im Einzelhandel überschreiten Vertreter der Bundesregierung und der Parteien eine rote Linie“, teilte er mit. „Offensichtlich ist einigen Politikern der ordnungspolitische Kompass verloren gegangen, der die Vorteile der sozialen Marktwirtschaft und das Ziel, Wohlstand für alle zu schaffen, in den Mittelpunkt stellt.“
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will an diesem Montag mit dem Einzelhandel
und der Ernährungsindustrie über „faire Preise“für Lebensmittel sprechen. An dem Treffen sollen unter anderem auch Klöckner und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) teilnehmen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte.
Trotz der vielen Herausforderungen blickt der Handelsverband zufrieden auf das vergangene Jahr und vor allem das Weihnachtsgeschäft zurück: Auf knapp 102 Milliarden Euro stieg der Umsatz der Monate November und Dezember. Das waren rund 2,5 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Zwar wächst der Online-Handel weiter deutlich stärker als der stationäre Handel.
Die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt, eine solide Sparquote und steigende Löhne sorgten auch im Gesamtjahr 2019 für ein Umsatzwachstum von 3,2 Prozent auf 543,6 Milliarden Euro. Davon profitierten vor allem der Handel mit Fahrrädern sowie der Versand- und Internethandel. Mit rund 58 Milliarden
Euro Umsatz im vergangenen Jahr ist sein Anteil am Gesamtumsatz aber weiter vergleichsweise niedrig. Umsatzeinbußen von rund drei Prozent verzeichnete hingegen der Spielwarenhandel.
Genth forderte am Freitag eine politische Neuausrichtung: „Wir brauchen verlässliche Sonntagsgenehmigungen, die wir heute nicht haben“, sagte Genth. Dabei gehe es nicht darum, jeden Sonntag zu öffnen. Viele verkaufsoffenen Sonntage würden von Gewerkschaften „weggeklagt“. Der bislang geltende sogenannte Anlass-Bezug sei faktisch nicht mehr umsetzbar. Demnach sind Sonntagsöffnungen im Handel nur bei bedeutenden, überregionalen Anlässen möglich.
Ähnlich hatte sich in der „Welt“auch HDE-Präsident Sanktjohanser geäußert: „Der Königsweg ist eine Grundgesetzänderung“, sagte er mit Blick auf den Anlass-Bezug. „Denn die darin verankerten Vorschriften stammen letztlich noch aus der Zeit der Weimarer Republik.“