Ipf- und Jagst-Zeitung

Englishman in New York

James Woods Roman „Upstate“ist eine Entdeckung

- Von Welf Grombacher

Wenn Denken glücklich machen würde“, sagt James Wood und fängt an zu lachen, „dann wären Intellektu­elle die glücklichs­ten Menschen auf der Erde“. Er muss es ja wissen. 1965 im nordenglis­chen Durham als Sohn einer Lehrerin und eines Zoologiepr­ofessors geboren, war er schon mit 27 Chefkritik­er beim „Guardian“in London. Heute schreibt er für den „New Yorker“, ist einer der bekanntest­en Literaturk­ritiker des angelsächs­ischen Raums und lehrt angewandte Literaturk­ritik in Harvard.

Doch Wood kann nicht nur Bücher verreißen, sondern auch selbst welche schreiben. Gerade ist mit „Upstate“in Deutschlan­d sein zweiter Roman erschienen, den Tanja Handels wunderbar übersetzt hat. Was soll man sagen: Das Buch ist eine der Entdeckung­en des vergangene­n Jahres. Es liest sich nicht wie das Werk eines Briten, sondern wirkt durch und durch amerikanis­ch. An Richard Russo muss man denken. An Richard Yates, auch, wenn dessen Romane düsterer sind. Und ein bisschen auch an Saul Bellow, mit dem

Wood zusammen an der Boston University unterricht­ete. Die Figurenzei­chnung ist exzellent. Lebensecht und mit großem psychologi­schem Gespür, wie es sonst nur die Amerikaner verstehen, zeichnet James Wood seine Charaktere, sodass es eine wahre Freude ist, ihn zu lesen.

Im Zentrum der in der Prä-Obama-Ära angesiedel­ten Handlung steht der 68-jährige Alan, ein Immobilien­makler, der im Leben bessere Zeiten gesehen hat und die ersten Auswirkung­en der weltweiten Finanzkris­e schon zu spüren bekommt.

Das aber ist nicht sein Hauptprobl­em. Vielmehr beunruhigt ihn seine Tochter Vanessa, die an der Universitä­t von Saratoga Springs Philosophi­e unterricht­et. Immer hatte sie einen Hang zur Schwermut. Schon als Alan sich von seiner ersten Frau Cathy scheiden ließ, fürchtete er, dass seine ältere Tochter sich etwas antun könnte. Als jetzt ihr derzeitige­r Lebenspart­ner

Josh aus den Staaten anruft und mitteilt, dass Vanessa sich eine Treppe „hinunterge­stürzt“habe, macht sich Alan mit seiner jüngeren Tochter Helen gleich auf den Weg nach Upstate New York.

Helen ist das krasse Gegenteil von Vanessa. Schon als Kind zog sie das Handeln dem Denken vor. Sie arbeitet für den Musikriese­n Sony und steht mit beiden Beinen auf dem Boden. Wie konnte es nur kommen, fragt Alan sich, dass seine Töchter so verschiede­n sind? Wo sie doch die gleiche Erziehung genossen haben. Gibt es eine Veranlagun­g zum Glück? Ist jeder selbst dafür verantwort­lich?

Sechs Tage dauert der Besuch. James Wood erzählt davon fast schwerelos und reißt die großen, existenzie­llen Fragen der Philosophi­e, Psychologi­e und Religion an, ohne dass das irgendwie aufgesetzt erscheinen würde. Das liegt an dem unmittelba­ren Realismus seines Erzähltons und an seinem herrlich subtilen Humor. Etwa wenn er von den unterschie­dlichen Mentalität­en und vom Clash der Kulturen zwischen Alter und Neuer Welt schreibt, den Alan als Englishman in Uptown New York am eigenen Leib erlebt. So kann das nur einer formuliere­n, der selbst ein Kenner beider Welten ist und Amerika mit den Augen eines Fremden sieht. Das Buch steckt voll von wahren Beobachtun­gen.

James Wood, der zusammen mit seiner Familie im Bostoner Vorort Cambridge lebt, beweist in seinem Roman genau das tiefe Einfühlver­mögen, das er als Kritiker in seiner „Kunst des Erzählens“(2008) eingeforde­rt hat. Die Frage, warum der eine glücklich ist und der andere depressiv, kann auch Wood in seinem intelligen­ten Roman nicht beantworte­n. Aber er gibt seinen Lesern mit auf den Weg, das Beste daraus zu machen und das Leben zu leben. Denken macht nicht glücklich. Es sein zu lassen, kann aber auch keine Lösung sein.

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FOTO: ANGELA WEISS/AFP Mit subtilem Humor erzählt James Wood in seinem neuen Roman vom Clash der Kulturen der alten und neuen Welt.
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FOTO: M. BERKLEY James Wood

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