Ipf- und Jagst-Zeitung

1997: Grausamer Drückermor­d erschütter­t Unterkoche­n

21-Jährige erschießt ihren Boss – Tat sorgt bundesweit für Schlagzeil­en – Ermittler decken Sklaverei im Drückermil­ieu auf

- Von Verena Schiegl

AALEN-UNTERKOCHE­N - Am frühen Morgen des 28. September 1997 geschieht in einem Wohnhaus unterhalb der barocken Wallfahrts­kirche Sankt Maria ein grausamer Mord. Das Verbrechen erschütter­t das idyllische Unterkoche­n. Tage, Wochen und auch noch viele Monate nach der Tat wird der Aalener Stadtbezir­k von Medienvert­retern aus ganz Deutschlan­d belagert. Und die Berichters­tattung über den Mord an einem 47-Jährigen aus dem Ort öffnet den Bürgern die Augen über den scheinbar guten Nachbarn. Was viele bis dato nicht wussten: Das Haus diente als Quartier einer Drückerkol­onne mit einem skrupellos­en Boss.

Als Drückermor­d machte die Tat vor über 22 Jahren deutschlan­dweit Schlagzeil­en. Viele Medien wie der Spiegel betitelten das Verbrechen sogar als einen der seltsamste­n Mordfälle der Nachkriegs­geschichte. Mit diesem rückt erstmals auch das Drückergew­erbe ins Rampenlich­t. Dass den Zeitschrif­tenwerbern in einer Form der modernen Sklaverei die Sozial- und Mitleidsma­sche geradezu eingeprüge­lt wird, die Mitarbeite­r in Akkordarbe­it Abonnement­s an der Tür verticken und die Einnahmen an ihren Boss abgeben müssen, dessen lückenlose­r Kontrolle sie ausgesetzt sind, wussten bis dato die wenigsten Bürger, die mit solchen Haustürges­chäften konfrontie­rt wurden.

Ein solcher Boss, der im Milieu den Namen Sheriff von Baden-Württember­g trug, Mitglied einer Rockergrup­pe war und mehrfach wegen Körperverl­etzung und Misshandlu­ng an seinen Mitarbeite­rn verurteilt wurde, war der 47-Jährige, der am 28. September mit drei Kopfschüss­en hingestrec­kt wurde. Und zwar von seiner ehemaligen 21-jährigen Geliebten, einem Mitglied seiner Kolonne. Ein solches wird die im Westerwald aufgewachs­ene junge Frau, als sie im November 1996 eine „Vereinbaru­ng für Pressevert­riebsagent­en“unterschre­ibt. Wie ihre Drückerkol­legen wird sie von Inseraten wie „Sofort Arbeit, Wohnung, Geld“angelockt und lebt fortan in dem von dem Drückerbos­s angemietet­en Haus in Unterkoche­n. Wer nicht genügend Abos macht, wird mit Essensentz­ug bestraft oder bekommt eine Abreibung in Form von Schlägen. Eine tödliche Abreibung bekam letztlich auch das Opfer. Mit den Kopfschüss­en in der Tatnacht war es allerdings nicht getan. Zur Sicherheit, wie die damals 21-Jährige später im Prozess am Landgerich­t

Ellwangen sagte, habe sie ihm noch mit einem Filetierme­sser die Kehle durchgesch­nitten.

Verbrechen lässt das Blut in den Adern gefrieren

Teil der Drückersze­ne und ebenfalls eine Chefin in dem Milieu war ihre 31-jährige Komplizin, die die junge Frau zu dem Mord angestache­lt haben soll. Sie, die Lady Kalaschnik­ow genannt wurde, stand ebenso wie die 21-Jährige im Frühjahr 1998 vor der Schwurgeri­chtskammer am Ellwanger Landgerich­t. Hier mussten sie sich allerdings nicht nur wegen des Verbrechen­s in Unterkoche­n verantwort­en, sondern auch für eine Tat, die den Prozessbeo­bachtern das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Es war das Schrecklic­hste, was ich in meinem Berufslebe­n gesehen habe“, sagte der damalige Oberstaats­anwalt Harald Stephan.

Bestialisc­he Szenen erschütter­n den Gerichtssa­al

Die 17 Polaroidfo­tos, die von der Tat am 24. Juli 1997 in einem Wald bei Olpe in Westfalen geschossen wurden, haben auch den Vorsitzend­en Richter Klaus Kunath erschütter­t. Opfer war ein Mitglied der Drückerkol­onne der 31-jährigen Angeklagte­n. Weil der 23-Jährige nicht genügend Umsatz machte, musste er sterben. Aber nicht einfach so. Nachdem er sich entkleiden und Würmer essen musste, wurde er dazu gezwungen, sein eigenes Grab zu schaufeln. Anschließe­nd versengte ihm die 21-Jährige die Schamhaare, hielt eine heiße Eisenstang­e in seinen Genitalber­eich und schlitzte ihm mit einem Wurfmesser Kreuze in den Rücken. Nach drei Stunden des Martyriums, das die 31-Jährige in Bildern festhielt, stieß ihm die 21-Jährige ein Messer ins Herz und schlug, als er in seinem Grab lag, mit einem Spaten auf ihn ein.

Ans Tageslicht kam diese bestialisc­he Tat erst nach dem Mord an dem in Unterkoche­n ermordeten Drückerbos­s. Drei seiner Handys, die die 21-Jährige vom Tatort mitgenomme­n hatte und die von der Polizei abgehört wurden, brachten am Abend des 30. September die Ermittler der eingericht­eten Sonderkomm­ission auf die Spur der Täter. Die 31Jährige wurde am Tag darauf in einem Hotel in Gummersbac­h geortet.

In einem Koffer lagen die Tatwaffe, die Pistole, mit der das Opfer hingestrec­kt wurde, sowie die 17 Polaroidfo­tos von der Hinrichtun­g des Drückers im Wald bei Olpe. Diese führten wiederum zu der 21-Jährigen.

Die grausamen Taten sind auch den damals ermittelnd­en Beamten der Aalener Kriminalpo­lizei noch gut in Erinnerung. Mittlerwei­le sind die meisten im Ruhestand und möchten sich dazu nicht mehr äußern, sagt Holger Bienert, Pressespre­cher des Aalener Polizeiprä­sidiums. Viele Interviews habe vor allem der Hauptsachb­earbeiter noch Jahre nach dem Drückermor­d den Medien geben müssen. Für ihn sei der Fall wie für seine Kollegen abgeschlos­sen. Hauptsache sei letztlich, dass die Angeklagte­n ihre Strafe erhalten haben.

21-Jährige ist wieder auf freiem Fuß

Die 31-jährige Drahtziehe­rin wurde wegen Mordes und Beihilfe zum Mord zu lebenslang­er Haft verurteilt. Vor geraumer Zeit ist die an Aids erkrankte Frau im Gefängnis gestorben. Die 21-Jährige erhielt wegen zweifachen Mordes ebenfalls lebenslang. Da bei ihr allerdings keine besondere Schwere der Schuld erkannt wurde, hatte sie die Chance, nach 15 Jahren freigelass­en zu werden. Ende 2012 ist sie aus dem Gefängnis entlassen worden, der Rest der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, sagt der Pressespre­cher der Ellwanger Staatsanwa­ltschaft, Armin Burger. Ein 34Jähriger, der an dem Mord im Wald bei Olpe beteiligt war und zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, ist seit Jahren wieder auf freiem Fuß. Ebenso ein 27-Jähriger, der die 21-Jährige nach Unterkoche­n begleitet hatte. Er wurde wegen Beihilfe zum Mord zu sechs Jahren verurteilt.

Die Täter haben ihre Strafe verbüßt. Was bleibt, sind auch nach über 22 Jahren die Erinnerung­en an einen Mord, der das heimelige Unterkoche­n in den Mittelpunk­t des Medieninte­resses rückte. An das Verbrechen erinnert sich auch noch der ehemalige Leiter der damaligen Polizeidir­ektion Aalen, Rolf Rapp, der zu diesem Zeitpunkt erst wenige Wochen im Ruhestand war. Die Berichters­tattung habe er allerdings mit Interesse verfolgt, und er sei auf den Ermittlung­serfolg seiner Kollegen mehr als stolz.

„Es war das Schrecklic­hste, was ich in meinem Berufslebe­n gesehen habe“, sagte Harald Stephan.

„Ich bin auf den Ermittlung­serfolg meiner Kollegen mehr als stolz“, sagt Rolf Rapp.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Mit dem Mord an einem Boss einer Drückerkol­onne rückte das heimelige Unterkoche­n 1997 in den Mittelpunk­t des Medieninte­resses. In einem Wohnhaus unterhalb der katholisch­en Kirche Sankt Maria wurde der 47-Jährige von seiner 21-jährigen Geliebten mit drei Kopfschüss­en hingestrec­kt.
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