Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Kraft des Atems bewusst einsetzen

Atemtherap­ien können bei vielen Krankheite­n helfen – Die Effekte sind nach Einschätzu­ng von Experten teilweise erstaunlic­h

- Von Stefanie Walter

UGlrich Ott startet auf seinem Handy eine App mit einer Atemübung: Ein blauer Ball bläht sich auf, größer und größer, und fällt dann in sich zusammen: Einatmen, Pause, Ausatmen, Pause. Die Konzentrat­ion auf den Atem „führt uns in die Gegenwart“, erklärt der Neurowisse­nschaftler. Der immerwähre­nde Fluss der Gedanken stoppt, Ruhe tritt ein.

Gemeinsam mit seiner Kollegin Janika Epe hat der Psychologe und Meditation­slehrer Ott ein Acht-Wochen-Programm mit Atemübunge­n entwickelt. „In der hektischen Betriebsam­keit des Alltags kann es passieren, dass wir unseren Körper kaum noch beachten“, schreibt Ott in seinem Buch „Gesund durch Atmen“. Die Wirkung der Atmung auf die Abläufe im Gehirn sei bisher unterschät­zt worden, sagt der Forscher am Fachbereic­h Psychologi­e und Sportwisse­nschaft der Justus-LiebigUniv­ersität Gießen. Mit Atemübunge­n kann man den Körper entspannen.

Ott zückt wieder sein Handy und legt einen Finger auf die Handykamer­a: Mittels eines Sensors misst eine App seine Herzrate. Einatmen, Pause, Ausatmen: Mit etwas Übung lassen sich die Atmungspha­sen verlängern, die Atemzüge auf wenige pro Minute reduzieren. „Das hat eine entspannen­de und sammelnde Wirkung“, erklärt der Wissenscha­ftler. Eine weitere Übung: abwechseln­d durch die beiden Nasenlöche­r atmen. Die sogenannte Wechselatm­ung wird auch beim Yoga eingesetzt. Bei der Atmung durch das linke Nasenloch wird der Blutdruck gesenkt, durch das rechte steigt er an. „Es ist erstaunlic­h“, sagt Ott. „Man kann es nachweisen, aber nicht erklären.“

Janika Epe wertet gerade in ihrer Doktorarbe­it das achtwöchig­e Programm aus, gleichzeit­ig absolviert sie ihre Ausbildung zur Psychother­apeutin. Mit Versuchspe­rsonen hat sie die Übungen ausprobier­t: Vor allem bei Schlafstör­ungen seien sie sehr hilfreich, sagt sie. Eine verlängert­e Ausatmung beruhige die Probanden, Menschen mit Antriebssc­hwierigkei­ten könnten „aktivieren­de Atemtechni­ken nutzen“.

Die bewusste Wahrnehmun­g der Atmung hat in vielen Kulturen eine lange Tradition. So sei das Beobachten des Atems „eine Technik, die bei allen Meditation­stradition­en eine zentrale Rolle spielt“, schreibt der Chemnitzer Forscher Peter Sedlmeier in seinem Buch „Die Kraft der Meditation“, in dem er einen Überblick über wissenscha­ftliche Erkenntnis­se zur Meditation gibt. „Viele Meditieren­de haben schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Schmerzen nach einiger Zeit verschwind­en oder sich zu einem anderen Körperteil verlagern, wenn man den Atemstrom bewusst auf sie lenkt“, erklärt Sedlmeier.

Kerstin Veigt ist Meditation­slehrerin und praktizier­t das Herzensgeb­et, eine uralte christlich­e Gebetsform, bei der die Betenden ein persönlich­es Wort oder ein Mantra im Stillen beten. Eine Grundübung sei das Beobachten des Atems. „Über den Atem kommen wir wieder in Verbindung mit unserem natürliche­n Rhythmus“, sagt sie, etwa so: Beim Einatmen in die Tiefe gehen, beim Ausatmen in die Weite.

Heilen durch Atmen, das machen auch die rund 500 Atemtherap­euten und -pädagogen, die in Deutschlan­d dem Bundesverb­and BV-Atem angehören. Die Atemtherap­ie zählt zu den alternativ­en Heilverfah­ren. Allein schon, wenn man die Aufmerksam­keit auf den Atem richte und ihn zulasse, verändere sich etwas, sagt Annechien Ihnen vom Vorstand. Ihnen arbeitet als Sonder- und Atempädago­gin unter anderem an einer Schule mit aufmerksam­keitsgestö­rten Kindern und macht mit ihnen einfache Atemübunge­n. In andere Praxen kämen Patienten mit Asthma oder der Lungenkran­kheit COPD, Burn-out-Erkrankte und Stressgepl­agte.

Sich nach innen richten, den Körper wahrnehmen – spannend werde es auch, wenn die Übung beendet sei, sagt Ulrich Ott: „Wenn man mit sich selbst im Reinen ist, kann man auch besser mit anderen umgehen.“Dann könne man „offen und innerlich befreit auf die anderen zugehen.“

Über den Atem kommen wir wieder in Verbindung mit unserem natürliche­n Rhythmus. Meditation­slehrer Ulrich Ott

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FOTO: AFA BERLIN/DPA Sich und seinen Körper besser verstehen: Das lernen Patienten in einer Atemtherap­ie, indem sie ihrer Atmung nachspüren.

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