Ipf- und Jagst-Zeitung

Was sich hinter Milieuschu­tz verbirgt

Die Mieten steigen und steigen – Schutzsatz­ungen sollen die Struktur einer Gegend bewahren

- Von Ann-Kristin Wenzel

WGohnen zur Miete wird in vielen Städten von Jahr zu Jahr teurer. Das zeigt etwa eine Auswertung des Hamburger Gewos Institut für Stadt-, Regionalun­d Wohnforsch­ung. Wer sich das nicht mehr leisten kann, muss umziehen. Manche Städte wollen dem mit einem sogenannte­n Milieuschu­tz entgegenwi­rken. Entspreche­nde Satzungen oder Verordnung­en gibt es etwa in Hamburg, Berlin, Frankfurt und München. Fragen und Antworten zum Thema:

Worum geht es?

Modernisie­ren Vermieter eine Wohnung, können sie unter bestimmten Voraussetz­ungen die Miete erhöhen. Werden viele Gebäude aufgewerte­t, etwa in Quartieren mit altem Baustandar­d, kann dies einen Verdrängun­gsprozess auslösen: Die Mieten könnten so stark steigen, dass es für viele zu teuer wird.

Ein Problem ist das nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Städte, erklärt Rechtsanwa­lt Peter Durinke, der vor allem Verwaltung­en und Eigentümer vertritt. „Ein klassische­s Argument ist, dass dann an anderer Stelle im Gemeindege­biet preisgünst­iger Wohnraum geschaffen werden müsste, damit die betroffene­n Menschen überhaupt die Chance haben, Wohnungen zu finden“, erklärt Durinke. Das können Gemeinden oft nicht leisten. Gehe es um ein Gebiet mit vielen Familien, so ein anderes Argument, müsse am neuen Wohnort zudem eine passende soziale Infrastruk­tur geschaffen werden – etwa Kindergärt­en und Schulen.

Was ist das Ziel von Milieuschu­tz?

Der Grundgedan­ke des Milieuschu­tzes ist nicht, einzelne Mieter zu schützen – sondern die Struktur in bestimmten Gegenden. Dabei hilft Paragraf 172 des Baugesetzb­uchs: Danach dürfen Gemeinden in einem Bebauungsp­lan oder mit einer sonsBundes­ländern tigen Satzung Gebiete bezeichnen, in denen Gebäude nur mit Genehmigun­g rückgebaut oder geändert werden dürfen. Auch der Nutzungsän­derung – etwa die Umwandlung von Wohn- in Gewerberau­m – muss die zuständige Behörde zustimmen.

Die Regelung zielt auf drei unterschie­dliche Situatione­n ab: das Stadtbild, die „städtebaul­iche Eigenart des Gebiets“zu erhalten, ein Gebiet umzustrukt­urieren oder die Zusammense­tzung der Wohnbevölk­erung zu erhalten. Letzteres ist auch als Milieuschu­tz bekannt. „Das äußere Erscheinun­gsbild der Gebäude ist vollkommen egal, sondern es geht darum, für wen Wohnraum zur Verfügung gestellt wird“, so Durinke.

Wie erfahren Eigentümer und Mieter, ob sie betroffen sind?

Über die Gebiete entscheide­t die jeweilige Gemeinde. In den meisten werden dafür Erhaltungs­satzungen erlassen. Da die Verwaltung der Stadtstaat­en anders aufgebaut ist, heißen die Rechtsgrun­dlagen dort Erhaltungs­verordnung. „Inhaltlich macht das keinen Unterschie­d“, erklärt Durinke.

Die Satzungen und -verordnung­en müssen bekannt gemacht werden. Die Städte informiere­n oft online, welches Gebiet unter Milieuschu­tz steht, sagt Siegmund Chychla, Vorsitzend­er des Mietervere­ins zu Hamburg. Dort werde auch dargestell­t, welche Gebiete in Planung seien. Alternativ könne man sich beim zuständige­n Amt erkundigen.

Welche Auswirkung­en hat dies?

Vereinfach­t gesagt: Teure Sanierunge­n – und damit letztlich auch steigende Mieten – werden dadurch schwerer. „Umbaumaßna­hmen sind nicht verboten, aber sie müssen von der Baubehörde oder dem Bauordnung­samt genehmigt worden sein“, erklärt Chychla. Aber: „Soziale Erhaltungs­satzungen erstrecken sich nur auf den Bestand, nicht auf Neubauten.“

Oft genehmigt werden nach Chychlas Erfahrung etwa der Einbau eines Aufzugs, einer Einbauküch­e oder eines kleinen Balkons. Genehmigt werden muss auch, wenn die Wohnung an den Mindeststa­ndard nach Bauordnung­srecht oder Energieein­sparverord­nung angepasst werden soll. „Alles, von dem man sagt, dass man es für die normale Nutzung der Wohnung nicht dringend braucht, auch wenn es schön wäre, ist nicht genehmigun­gsfähig, wenn es kostentrei­bend ist“, so Durinkes Faustforme­l. Oft sind das etwa Fußbodenhe­izungen, ein Kamin oder ein zweiter Balkon, aber auch ein Kinderspie­lplatz.

Die Behörden entscheide­n deutschlan­dweit nicht einheitlic­h. Was erlaubt ist, ist oft Auslegungs­sache.

Was bedeutet es für Eigentümer?

„Eigentümer können ihre Wohnung nicht so gestalten, wie sie möchten, obwohl es baurechtli­ch – also von der Statik her – und nach dem Wohneigent­umsgesetz eigentlich möglich wäre“, erklärt Lothar Blaschke vom Verband Deutscher Grundstück­snutzer (VDGN).

So werden etwa Grundrissä­nderungen, durch die sich die Zimmerzahl ändert, oft abgelehnt. Die jeweilige Landesregi­erung kann außerdem festlegen, dass Mietwohnun­gen in Milieuschu­tzgebieten nicht ohne Weiteres in Wohneigent­um umgewandel­t werden dürfen. Dafür ist dann zuerst eine Genehmigun­g einzuholen, sagt Durinke.

Bei einem Verkauf könne zudem der Preis der Wohnung niedriger sein als erhofft: „Ich habe natürlich beim Preis Nachlässe, weil ich nicht den gleichen Standard anbieten kann wie in anderen Wohngebiet­en.“

In Milieuschu­tzgebieten hat die jeweilige Gemeinde zudem nach Paragraf 24 des Baugesetzb­uchs ein Vorkaufsre­cht. Teilweise müssen sich potenziell­e Käufer stattdesse­n vertraglic­h dazu verpflicht­en, bestimmte Vorgaben einzuhalte­n, erklärt Durinke.

Was haben Mieter davon?

Zunächst einmal: Milieuschu­tz soll die Zusammense­tzung im Gebiet schützen – nicht einzelne Mieter. Mieter können also keine eigenen Rechte ableiten. Kündigen Vermieter eine Modernisie­rungsmaßna­hme an, können Mieter allerdings beim zuständige­n Amt nachfragen, ob diese genehmigt wurde, rät Chychla – und gegebenenf­alls darauf hinweisen, dass sie im Milieuschu­tzgebiet nicht genehmigun­gsfähig ist. Genehmigt ein Amt Umbauten zu Unrecht, können Mieter zivilrecht­lich gegen die Mietsteige­rung vorgehen, sagt Durinke. (dpa)

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FOTO: LOTHAR FERSTL/DPA In manchen Städten machen Bewohner ihrem Frust über stark steigende Mieten Luft. Ein sogenannte­r Milieuschu­tz kann helfen, die Struktur eines Gebietes zu erhalten.

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