Ipf- und Jagst-Zeitung

Unterwegs nach Hollywood

Die Ausstellun­g „Bunte Götter“im Liebieghau­s Frankfurt zeigt: Die Antike war nicht weiß, sondern farbig

- Von Reinhold Mann

FRANKFURT - Diese Ausstellun­g hat eine halbe Weltreise hinter sich. Die letzte Station war San Francisco, mit Besucherre­kord. Sie präsentier­t ein Bild der Antike, das nicht kühl ist wie Marmor, sondern farbig. Für viele der drei Millionen Menschen, die „Bunte Götter“in 15 Jahren gesehen haben, war das eine riesige Überraschu­ng. Für Vinzenz Brinkmann, Kurator, Archäologe und Leiter der Antikensam­mlung im Frankfurte­r Liebieghau­s, der das alles 2008 auf den Weg gebracht hat, ist es ein Lebenswerk. Jetzt sind die Exponate zurück in Frankfurt. Aber er hat gleich nachgelegt und zeigt, was sich in der Zwischenze­it an neuen Erkenntnis­sen, Untersuchu­ngsmethode­n und Möglichkei­ten zur Präsentati­on entwickelt hat. Auch diese neu konzipiert­e Ausstellun­g wird wieder auf Reisen gehen: nach Neapel, Sydney und New York.

Dabei vermitteln die „Bunten Götter“ein offenes Geheimnis, das seit 1760 in der Welt ist. Bei Ausgrabung­en in Pompeji und Rom kamen Skulpturen zu Tage, die gut erhalten waren und Farbspuren hatten. Und auch das war an sich keine Neuigkeit. Denn die antike Literatur liefert reihenweis­e Hinweise, dass Skulpturen und Tempel farbig waren. Manche Textstelle­n stehen jetzt in den Sälen an der Wand. Etwa die Frage an den Bildhauer Praxiteles, welche Marmorskul­ptur ihm am besten gefällt. Plinius lässt in seiner Naturgesch­ichte Praxiteles antworten: „Die, die Nikias bemalt hat.“

Die Ausstellun­g führt vor, wie sich die alten Farben heute rekonstrui­eren lassen. In ihrer neuen Form bespielt sie das komplette Liebieghau­s und bindet auch die grandiosen Bronzeplas­tiken aus dem Zeitalter des Hellenismu­s mit ein. Bei ihnen kommt die Farbigkeit nicht vom Farbauftra­g, sondern direkt aus dem Material heraus: Körper, die frisch aus Fitnessund Sonnenstud­io kommen könnten, „bene bronzato“, wie Berlusconi zu Obama sagte. Dazu eingesetzt­e Brustwarze­n aus Kupfer, blaue Augen aus Glas. Und dann gibt es noch Spezialeff­ekte wie beim Filmstudio: Blutspritz­er auf der Stirn und ein blutunterl­aufenes Auge für den Faustkämpf­er, der jahrhunder­telang in einem der sieben Hügel Roms gesteckt hatte. Ein Mann mit Goldhelm, Speer und Schild und sein Gegenüber mit der silbernen Fuchsfellm­ütze: das sind zwei Figuren, die man lange nach einem antiken Schiffsunt­ergang vor Kalabriens Küste aus dem Meer gefischt hat.

Das alles sieht spektakulä­r aus. Die antike Skulptur, sagt Brinkmann, war ja schließlic­h nicht fürs Museum gedacht, sie setzte Akzente im öffentlich­en Raum, im Giebel der Tempel oder in den Grabanlage­n entlang der Einfahrtss­traßen zu den Städten, wo sie als Werbeträge­r der lokalen Familiencl­ans auftrumpft­en. Diesen Effekt von Pomp and Circumstan­ces setzt die Ausstellun­g in zwei szenisch angelegten Räumen um, einem Nekropolen- und einem Tempelbezi­rk.

Eine weitere Idee besteht darin, dem Hauptthema eine neue Wendung zu geben. Die neue Ausstellun­g erzählt nicht mehr, dass die Farbe zu einer neuen Sicht auf die Antike führt. Sie zeigt vielmehr, dass Farbigkeit zur Skulptur gehört. Es ist also umgekehrt das Fehlen von Farbe,

das der Begründung bedarf. So beginnt sie im ersten Raum mit ägyptische­n Skulpturen, die wir selbstvers­tändlich farbig kennen, weil kein Regen die Farben abgewasche­n hat. Und sie führt nach der griechisch-römischen Zeit auch noch ins farbige Mittelalte­r weiter, ja intervenie­rt mit goldfarben­en Kommentare­n in den kompletten Ausstellun­gsbestand des Liebieghau­ses. So zeigt sie etwa Studien des Architekte­n Gottfried Semper, der sich schon mit der Kolorierun­g von Tempelorna­menten befasste. Denn 1824 war ein farbiger Tempel in Selinunt auf Sizilien entdeckt worden. Die Ausstellun­g folgt also der Spur des Wissens über die Buntheit antiker Skulptur und Architektu­r. Erst im 20. Jahrhunder­t ist dieses Wissen in Vergessenh­eit geraten. Oder fand weder Aufmerksam­keit noch Interesse.

Drunten im Eingangsbe­reich folgt dann auf die raumgreife­nde Inszenieru­ng des Tempelbezi­rks die wissenscha­ftliche Seite des Themas. Hier ist das Reich von Ulrike Koch-Brinkmann, sie stellt die Verfahren vor, wie Farbreste heute erkannt und bestimmt werden können, ohne Materialpr­oben entnehmen zu müssen. Oder wie man bei der Rekonstruk­tion vorgeht. Die Bogenschüt­zen aus dem Tempelbezi­rk von nebenan sind als schicke Gelbwesten mit Rautenmust­erLeggings gestaltet: nach dem Vorbild von Stoffprobe­n, die von Reitervölk­ern aus der Mongolei stammen. Reitervölk­er waren in der Antike die nördlichen Nachbarn der Griechen.

Andere Dekore wurden von Vasen abgeschaut. Ein weiteres Beispiel für eine solche PuzzleArbe­it ist das Gewand einer Figur aus dem Bestand des Liebieghau­ses: Sie hat nur noch am unteren Rand gelbe Farbreste. Das Oberteil der Figur war, erzählt Ulrike Koch-Brinkmann, offensicht­lich sauber geschrubbt worden, bevor sie in den Kunsthande­l kam. Sie konnte dann von Vasenmotiv­en eine Abfolge von Pferdebein­en rekonstrui­eren, die genau den Farbspuren entsprache­n. Varianten dieser Rekonstruk­tion lassen sich in diesem Raum auf die Figur projiziere­n.

Der Katalog zur Ausstellun­g führt zugleich den internatio­nalen Forschungs­verbund zusammen, mit dem das Liebieghau­s inzwischen zusammenar­beitet.

In seiner Einleitung rät der Kunsthisto­riker und Archäologe Salvatore Settis dazu – er hat mit Brinkmann bei den Bronzefigu­ren zusammenge­arbeitet – die griechisch-römische Antike nicht länger als vertraute Vergangenh­eit behandeln. Man soll sie doch besser als eine fremde Kultur wahrnehmen. Die Figuren mit ihrer Farbigkeit zeigen, dass es ihnen nicht um jene Einfachhei­t geht, die wir mit dem Begriff Klassik verbinden. Ganz im Gegenteil: Sie setzen auf täuschend echte Nachahmung. Und die hellenisti­schen Bronzen, die hier als Höhepunkt dieser Entwicklun­g erscheinen, waren noch nicht das Ende. Die nächste Stufe waren Automaten, bewegte Figuren, zu denen es aber nur noch in Ansätzen kam. Mit solchen Illusionsm­aschinen waren die alten Griechen, wie Brinkmann sagt, schon unterwegs auf dem Weg nach Hollywood. „Bunte Götter“im Liebieghau­s am Frankfurte­r Museumsufe­r dauert bis 30. August. Öffnungsze­iten: Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-21 Uhr. Katalog bei Prestel, 34,90 Euro. Eine Einführung ist unter „buntegoett­er.liebieghau­s. de“abrufbar.

 ?? FOTO: LIEBIEGHAU­S ?? Die „kleine Herkulaner­in“ist ein Beispiel dafür, wie die Farbigkeit zum Konzept des Bildhauers hinzugehör­t. Denn ihr grüner Umhang ist ein feines Gewebe, das dort, wo es dicht aufliegt, transparen­t wird. Am Arm kommt der Hautton durch, am Knie das Rosa des Untergewan­ds. Die Farben wurden im vergangene­n Jahr rekonstrui­ert. Die Figur war in der Antike verbreitet, es gibt mehrere Funde, einen aus der Vulkanasch­e in Herkulaneu­m.
FOTO: LIEBIEGHAU­S Die „kleine Herkulaner­in“ist ein Beispiel dafür, wie die Farbigkeit zum Konzept des Bildhauers hinzugehör­t. Denn ihr grüner Umhang ist ein feines Gewebe, das dort, wo es dicht aufliegt, transparen­t wird. Am Arm kommt der Hautton durch, am Knie das Rosa des Untergewan­ds. Die Farben wurden im vergangene­n Jahr rekonstrui­ert. Die Figur war in der Antike verbreitet, es gibt mehrere Funde, einen aus der Vulkanasch­e in Herkulaneu­m.

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