Die Zermürbte auf Nachfolgersuche
Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gibt ihren Posten ab und den Anspruch auf das Kanzleramt auf
Fast könnte man meinen, es wäre gar nichts passiert. „Ich war die Parteivorsitzende. Ich bin die Parteivorsitzende und werde es auch auf absehbare Zeit auch bleiben“, sagt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) am Montagmittag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. An der Situation in der Großen Koalition habe sich erstmal „nichts geändert“, schiebt sie nach. Außer, dass sie in der kommenden Legislaturperiode nicht mehr Kanzlerin werden, sondern in dieser Verteidigungsministerin bleiben will.
Dabei hat sich reichlich geändert, wie man am mit Journalisten proppevollen Innenraum der Parteizentrale sehen kann. Am Morgen hatte AKK nach einem Jahr und zwei Monaten an der Parteispitze zermürbt hingeschmissen, zuerst die Kanzlerin, dann das Präsidium informiert. Demnach will die Saarländerin die Suche der Partei nach einem Kanzlerkandidaten leiten.
Sobald dieser gefunden und gewählt ist – nach bisherigem Zeitplan bei einem Parteitag in Stuttgart im Dezember – will AKK auch das Parteichefamt an diesen möglichen Merkel-Nachfolger abgeben. So ist zumindest ihr Plan.
Denn Kanzleramt und Parteivorsitz gehören aus Sicht der früheren saarländischen Ministerpräsidentin zwingend zusammen. Das derzeitige Modell, bei dem die beiden Funktionen auf zwei Personen aufgeteilt sind – Merkel als Kanzlerin hier, Kramp-Karrenbauer als Parteichefin dort – hat sich demnach nicht bewährt. „Die ungeklärte Führungsfrage“
der Kanzlerkandidatur habe die Partei nicht zur Ruhe kommen lassen „und sollte nach dem Willen Einiger auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen“, sagt AKK. Die Entscheidung, nicht anzutreten, sei „seit einer geraumen Zeit in mir gereift und gewachsen“. Beobachter glauben, dass die CDU-Chefin nicht enden wollte wie die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, die im Juni 2019 ohne Perspektive abtrat und eine monatelang führungslose Bundespartei hinterließ.
Und auch wenn das Wort „Thüringen“in ihrem knapp elfminütigen Statement nur einmal fällt, hat der Abtritt doch viel mit der desaströsen Ministerpräsidentenwahl im Land zu tun. Dort hatte die Landtags-CDU vergangene Woche zusammen mit AfD und FDP den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt – und die Parteichefin in Not gebracht. Durchs „Stahlbad gegangen“
Immer wieder hatte diese die Thüringer vor und nach der Wahl daran erinnert, dass es laut CDU-Parteitagsbeschluss keine Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei gebe. Doch das beeindruckte die Landespolitiker kaum. Weder ließ sich die Fraktion davon abhalten, gegen Warnungen den FDP-Kandidaten zu wählen. Noch folgten sie der klaren Empfehlung aus Berlin, Neuwahlen anzustreben. Mehr noch: kurz nach der Rücktrittsankündigung AKKs forderten die ersten Thüringer ein Ende des Unvereinbarkeitsbeschlusses. Denn ohne gibt es keine Machtperspektive im Land.
Während AKK daran scheiterte, die Thüringer auf Linie zu bringen, schaffte die Kanzlerin Tatsachen: Von Afrika aus erklärte sie, die Kemmerichwahl müsse „rückgängig gemacht“werden. Und am Wochenende entließ sie den umstrittenen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte. Anlass: Ein Glückwunsch-Tweet an Kemmerich.
Thüringen ist für AKK nur ein Symptom für die „starken Fliehkräfte in unserer Gesellschaft und in unserer Volkspartei CDU“, sagt sie. „Wir müssen stark sein. Stärker als heute“, erklärt sie. Tatsächlich war sie wohl nicht stark genug: Als sie vor zwei Jahren Generalsekretärin geworden sei, habe sie gewusst, dass es hart wird, sagt AKK. „Und die letzten beiden Jahre haben dies bestätigt“, ergänzt sie.
„Annegret Kramp-Karrenbauer ist in den letzten Monaten durch ein Stahlbad gegangen. Von Anfang an war sie immer wieder auch Anfechtungen auch in der Partei ausgesetzt“, sagt Annette Widmann-Mauz. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und Chefin der Frauen-Union spricht von einem „bitteren Zermürbungsprozess“für die Parteichefin. Im angekündigten Rückzug sieht sie nun die Chance, dass sich die Partei auf die Sacharbeit konzentriert. Jetzt komme es auf jeden Einzelnen und jede Einzelne an, zur Sacharbeit zurückzufinden.
„Ruhe entsteht nicht durch Verordnung von oben, sondern ist die Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds“, ergänzt sie. Es sind Beschwörungsformeln, wie man sie immer wieder bei der SPD gehört hat. Tatsächlich ist der Frust über die Dauerdemontage der Parteichefin mit den Händen zu greifen. Ihm sei „schlecht“, sagt ein sichtlich empörter Elmar Brok.
Bei der Vorstandssitzung hinter verschlossenen Türen wird er deutlich und spricht Teilnehmern zufolge vom „Krebsgeschwür“Werteunion. Die sieht sich als „konservative Basisbewegung“der Unionsparteien und wirbt für die Annäherung an die AfD. Beim CDU-Arbeitnehmerflügel ist hingegen die Rede von „AfDHilfstruppen in unseren Reihen“, die teils nicht mal CDU-Mitglied sind.
Die Wortwahl vom „Krebsgeschwür“will zwar keiner offiziell teilen. Doch intern wird geschimpft über die „Spielchenspieler“, die die Suche nach einem Kanzlerkandidaten und die Grenze zur AfD (und auch zur Linkspartei) immer wieder infrage gestellt haben. Gleich mehrere CDU-Spitzenleute fordern klare Kante zur Werteunion, auch ein Unvereinbarkeitsbeschluss ist im Gespräch. Noch-Parteichefin KrampKarrenbauer macht nochmal klar, dass es keine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD geben könne. „Die AfD steht gegen alles, was uns als CDU ausmacht. Jede Annäherung an die AfD schwächt die CDU“, sagt sie. Teilnehmer berichten, dass Präsidium und Vorstand der BundesCDU weiter zur klaren Abgrenzung zur AfD stehen. In Sachen Unvereinbarkeit stehe man „noch nicht am Ende“, sagt ein Präsidiumsmitglied. Kandidaten stehen bereit
Wieder am Anfang steht man hingegen bei der Kanzlerkandidaten- und Parteichefsuche. Dass die CDU diese bis in den Dezember verschleppen kann, wie es AKK an diesem Morgen vorschlägt, glaubt in Berlin kaum jemand. Zumal schon sehr genau geschaut wird, wie die möglichen Bewerber sich an diesem Tag schlagen.
Es fallen neben Bayerns CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine grundsätzliche „inhaltliche und personelle Aufstellung“der Schwesterpartei fordert, die Namen nordrhein-westfälischer CDU-Männer: Ministerpräsident Armin Laschet, der wegen des Sturms „Sabine“an diesem Tag nicht in Berlin ist. Der 2018 bei der Wahl gegen Kramp-Karrenbauer unterlegene Friedrich Merz, der AKK per Twitter Unterstützung bei der Nachfolgersuche verspricht. Gesundheitsminister Jens Spahn, der den Zusammenhalt der Partei beschwört und Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der die Hilfe der Bundestagsabgeordneten dazu verspricht.
Mag sein, dass AKK erstmal Parteivorsitzende bleibt. Doch der Abschied steht bereits fest. Es hat sich viel geändert an diesem Tag in Berlin. Auch wenn AKK anderes sagt.