Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Zermürbte auf Nachfolger­suche

Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r gibt ihren Posten ab und den Anspruch auf das Kanzleramt auf

- Von Klaus Wieschemey­er

Fast könnte man meinen, es wäre gar nichts passiert. „Ich war die Parteivors­itzende. Ich bin die Parteivors­itzende und werde es auch auf absehbare Zeit auch bleiben“, sagt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (AKK) am Montagmitt­ag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. An der Situation in der Großen Koalition habe sich erstmal „nichts geändert“, schiebt sie nach. Außer, dass sie in der kommenden Legislatur­periode nicht mehr Kanzlerin werden, sondern in dieser Verteidigu­ngsministe­rin bleiben will.

Dabei hat sich reichlich geändert, wie man am mit Journalist­en proppevoll­en Innenraum der Parteizent­rale sehen kann. Am Morgen hatte AKK nach einem Jahr und zwei Monaten an der Parteispit­ze zermürbt hingeschmi­ssen, zuerst die Kanzlerin, dann das Präsidium informiert. Demnach will die Saarländer­in die Suche der Partei nach einem Kanzlerkan­didaten leiten.

Sobald dieser gefunden und gewählt ist – nach bisherigem Zeitplan bei einem Parteitag in Stuttgart im Dezember – will AKK auch das Parteichef­amt an diesen möglichen Merkel-Nachfolger abgeben. So ist zumindest ihr Plan.

Denn Kanzleramt und Parteivors­itz gehören aus Sicht der früheren saarländis­chen Ministerpr­äsidentin zwingend zusammen. Das derzeitige Modell, bei dem die beiden Funktionen auf zwei Personen aufgeteilt sind – Merkel als Kanzlerin hier, Kramp-Karrenbaue­r als Parteichef­in dort – hat sich demnach nicht bewährt. „Die ungeklärte Führungsfr­age“

der Kanzlerkan­didatur habe die Partei nicht zur Ruhe kommen lassen „und sollte nach dem Willen Einiger auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen“, sagt AKK. Die Entscheidu­ng, nicht anzutreten, sei „seit einer geraumen Zeit in mir gereift und gewachsen“. Beobachter glauben, dass die CDU-Chefin nicht enden wollte wie die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles, die im Juni 2019 ohne Perspektiv­e abtrat und eine monatelang führungslo­se Bundespart­ei hinterließ.

Und auch wenn das Wort „Thüringen“in ihrem knapp elfminütig­en Statement nur einmal fällt, hat der Abtritt doch viel mit der desaströse­n Ministerpr­äsidentenw­ahl im Land zu tun. Dort hatte die Landtags-CDU vergangene Woche zusammen mit AfD und FDP den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpr­äsidenten gewählt – und die Parteichef­in in Not gebracht. Durchs „Stahlbad gegangen“

Immer wieder hatte diese die Thüringer vor und nach der Wahl daran erinnert, dass es laut CDU-Parteitags­beschluss keine Zusammenar­beit mit AfD und Linksparte­i gebe. Doch das beeindruck­te die Landespoli­tiker kaum. Weder ließ sich die Fraktion davon abhalten, gegen Warnungen den FDP-Kandidaten zu wählen. Noch folgten sie der klaren Empfehlung aus Berlin, Neuwahlen anzustrebe­n. Mehr noch: kurz nach der Rücktritts­ankündigun­g AKKs forderten die ersten Thüringer ein Ende des Unvereinba­rkeitsbesc­hlusses. Denn ohne gibt es keine Machtpersp­ektive im Land.

Während AKK daran scheiterte, die Thüringer auf Linie zu bringen, schaffte die Kanzlerin Tatsachen: Von Afrika aus erklärte sie, die Kemmerichw­ahl müsse „rückgängig gemacht“werden. Und am Wochenende entließ sie den umstritten­en Ostbeauftr­agten der Bundesregi­erung, Christian Hirte. Anlass: Ein Glückwunsc­h-Tweet an Kemmerich.

Thüringen ist für AKK nur ein Symptom für die „starken Fliehkräft­e in unserer Gesellscha­ft und in unserer Volksparte­i CDU“, sagt sie. „Wir müssen stark sein. Stärker als heute“, erklärt sie. Tatsächlic­h war sie wohl nicht stark genug: Als sie vor zwei Jahren Generalsek­retärin geworden sei, habe sie gewusst, dass es hart wird, sagt AKK. „Und die letzten beiden Jahre haben dies bestätigt“, ergänzt sie.

„Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist in den letzten Monaten durch ein Stahlbad gegangen. Von Anfang an war sie immer wieder auch Anfechtung­en auch in der Partei ausgesetzt“, sagt Annette Widmann-Mauz. Die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung und Chefin der Frauen-Union spricht von einem „bitteren Zermürbung­sprozess“für die Parteichef­in. Im angekündig­ten Rückzug sieht sie nun die Chance, dass sich die Partei auf die Sacharbeit konzentrie­rt. Jetzt komme es auf jeden Einzelnen und jede Einzelne an, zur Sacharbeit zurückzufi­nden.

„Ruhe entsteht nicht durch Verordnung von oben, sondern ist die Verantwort­ung jedes einzelnen Mitglieds“, ergänzt sie. Es sind Beschwörun­gsformeln, wie man sie immer wieder bei der SPD gehört hat. Tatsächlic­h ist der Frust über die Dauerdemon­tage der Parteichef­in mit den Händen zu greifen. Ihm sei „schlecht“, sagt ein sichtlich empörter Elmar Brok.

Bei der Vorstandss­itzung hinter verschloss­enen Türen wird er deutlich und spricht Teilnehmer­n zufolge vom „Krebsgesch­wür“Werteunion. Die sieht sich als „konservati­ve Basisbeweg­ung“der Unionspart­eien und wirbt für die Annäherung an die AfD. Beim CDU-Arbeitnehm­erflügel ist hingegen die Rede von „AfDHilfstr­uppen in unseren Reihen“, die teils nicht mal CDU-Mitglied sind.

Die Wortwahl vom „Krebsgesch­wür“will zwar keiner offiziell teilen. Doch intern wird geschimpft über die „Spielchens­pieler“, die die Suche nach einem Kanzlerkan­didaten und die Grenze zur AfD (und auch zur Linksparte­i) immer wieder infrage gestellt haben. Gleich mehrere CDU-Spitzenleu­te fordern klare Kante zur Werteunion, auch ein Unvereinba­rkeitsbesc­hluss ist im Gespräch. Noch-Parteichef­in KrampKarre­nbauer macht nochmal klar, dass es keine Zusammenar­beit zwischen Union und AfD geben könne. „Die AfD steht gegen alles, was uns als CDU ausmacht. Jede Annäherung an die AfD schwächt die CDU“, sagt sie. Teilnehmer berichten, dass Präsidium und Vorstand der BundesCDU weiter zur klaren Abgrenzung zur AfD stehen. In Sachen Unvereinba­rkeit stehe man „noch nicht am Ende“, sagt ein Präsidiums­mitglied. Kandidaten stehen bereit

Wieder am Anfang steht man hingegen bei der Kanzlerkan­didaten- und Parteichef­suche. Dass die CDU diese bis in den Dezember verschlepp­en kann, wie es AKK an diesem Morgen vorschlägt, glaubt in Berlin kaum jemand. Zumal schon sehr genau geschaut wird, wie die möglichen Bewerber sich an diesem Tag schlagen.

Es fallen neben Bayerns CSU-Ministerpr­äsidenten Markus Söder, der eine grundsätzl­iche „inhaltlich­e und personelle Aufstellun­g“der Schwesterp­artei fordert, die Namen nordrhein-westfälisc­her CDU-Männer: Ministerpr­äsident Armin Laschet, der wegen des Sturms „Sabine“an diesem Tag nicht in Berlin ist. Der 2018 bei der Wahl gegen Kramp-Karrenbaue­r unterlegen­e Friedrich Merz, der AKK per Twitter Unterstütz­ung bei der Nachfolger­suche verspricht. Gesundheit­sminister Jens Spahn, der den Zusammenha­lt der Partei beschwört und Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus, der die Hilfe der Bundestags­abgeordnet­en dazu verspricht.

Mag sein, dass AKK erstmal Parteivors­itzende bleibt. Doch der Abschied steht bereits fest. Es hat sich viel geändert an diesem Tag in Berlin. Auch wenn AKK anderes sagt.

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