Königsmacher und möglicher König
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet wäre stark genug, Kanzlerkandidat der Union zu werden
Als Annegret Kramp-Karrenbauer zur Parteichefin der CDU gewählt worden war, da kursierte bei ihren nordrhein-westfälischen Parteifreunden die „Verschleiß-Theorie“: In überschaubarer Zeit werde sich AKK innerhalb der Großen Koalition und an der Union verschleißen. Sie werde dann aufgeben – und das Feld würde frei für den eigenen Mann: Armin Laschet. Aus der anfangs belächelten Theorie ist nun Praxis geworden.
In der Union gibt es jetzt zwei Königsmacher, und jeder von ihnen könnte auch zum König werden. Armin Laschet führt im bevölkerungsreichsten Bundesland den auf Bundesebene einflussreichsten CDULandesverband, der auf jedem Parteitag ein Drittel der Delegierten stellt. Und Markus Söder führt die CSU, die ein Vetorecht über den Kanzlerkandidaten der Union besitzt. Beide sind entschlossen, ihren Einfluss zu nutzen. Beide wären stark genug, Kanzlerkandidat der Union zu werden.
Was für jeden von ihnen spricht: Beide sind Ministerpräsidenten und damit regierungserfahren. Das ist das Eine. Das Andere: Die Union ist eine föderale Partei, anders als SPD und Grüne, die zentralistisch aufgestellt sind. Wie wichtig das ist, kann man gerade an der Thüringen-Krise studieren. Die thüringische CDU weigert sich standhaft, den Direktiven aus der Berliner Parteizentrale zu folgen. Dabei hat sie die Parteigeschichte auf ihrer Seite. Die CDU stellte im Nachkriegsdeutschland fünf Kanzler – Konrad Adenauer war Oberbürgermeister (von Köln), Kurt
Georg Kiesinger Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz. Ludwig Erhard war als Wirtschaftsminister grandios, als Kanzler eine Fehlbesetzung – ihm fehlte die Verankerung in Stadt oder Land. Prominenteste Ausnahme von der Regel: Angela Merkel – es ist kein Zufall, dass bis heute viele CDU-Anhänger mit der politischen Seiteneinsteigern aus Ostdeutschland fremdeln.
Armin Laschet ist der am meisten unterschätzte deutsche Spitzenpolitiker – inzwischen muss man wohl sagen: war. Der erste, der ihm die Kanzlerfähigkeit bescheinigte, war Gerhard Schröder. Das war vor zwei Jahren, just, als Laschets Leute die Verschleiß-Theorie ausbrüteten. Am Montag riefen wieder sozialdemokratische Politiker Laschet zum Kanzlerkandidaten der Union aus.
Laschet war nie das, was die Amerikaner einen „Frontrunner“nennen. Wenn er nach vorne kam, dann von unten, nicht von oben. Der Erfolg aus der zweiten Reihe, das entspricht seinem Naturell. Laschet verursacht keine Bugwelle, dazu fehlt ihm allein die körperliche Präsenz. Laschet ist 1,72 Meter groß, ein gut gelaunter Rheinländer. Stefan Willeke von der „Zeit“hat Laschet einen „Experten auf dem Gebiet der Verfröhlichung“genannt. Sein langjähriger Weggefährte Herbert Reul, jetzt in Laschets Kabinett als Clan-Jäger in der Rolle des Schwarzen Sheriffs, nennt Laschet den Repräsentanten eines versöhnlichen „Kumpel-Konservatismus“.
Wer Armin Laschet verstehen will, sollte analysieren, wie er mit Niederlagen umgeht. Er ist ein großartiger Verlierer. Mal verlor er im Kampf um den Fraktionsvorsitz der Düsseldorfer CDU, mal in der Auseinandersetzung um den Landesvorsitz. Entscheidend war, dass Laschet sich nie schmollend zurückzog, sondern nach dem Hinfallen immer wieder aufstand. So lange, bis seine Zeit gekommen war.
Kaum jemand traute ihm den Sieg gegen die dominante NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft zu. Ein entscheidender Grund für Krafts Niederlage war ihre Selbstverzwergung: Sie wollte „nie, nie“nach Berlin, um Kanzlerin zu werden. Laschet weiß, dass der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen immer Bundeskanzler werden wollen muss.
Laschet sagen viele nach, er sei ein profilloser Politiker. Was stimmt: Laschet ist kein Profilpolitiker. Das unterscheidet ihn von seinen Konkurrenten, von Friedrich Merz, Jens Spahn und auch von Söder: Laschet ist stilistisch der einzige Nicht-Frontrunner. Man könnte annehmen, das sei eine Schwäche. Aber gerade in Zeiten der Unruhe und Verunsicherung, der Polarisierung, der wachsenden Gegensätze zwischen den politischen Lagern und auch innerhalb der Union, könnte genau das eine entscheidende Stärke sein. „Versöhnen,
statt Spalten“, hätte Laschets Vor-Vor-Vor-Vorgänger als Ministerpräsident und spätere Bundespräsident, Johannes Rau, es formuliert.
Das mit dem Profil sollte man noch einmal anders erklären. Die CDU Nordrhein-Westfalens war nie konservativ. Der erste gewählte Ministerpräsident, Karl Arnold, wollte NRW zum „sozialen Gewissen“der Republik machen. Arnolds härtester Gegenspieler kam nicht aus der SPD, sondern aus der eigenen Partei: Konrad Adenauer, der man nach heutigen Maßstäben als eine Mischung aus hochkonservativ und neoliberal bezeichnen würde.
Nordrhein-Westfalen war immer ein linkes Land, hier wurde die Montan-Mitbestimmung „erfunden“. Und: Als Grenzland zu den Niederlanden und Belgien war NordrheinWestfalen stets europäisch. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Vorläufer der heutigen Europäischen Union, begann hier (und im Saarland). Wenn es also nicht nur einen geografischen, sondern auch einen politischen „Westen“Deutschlands gibt, dann ist er hier. Und Laschet kommt aus der westlichsten Stadt des westlichsten Bundeslandes: aus Aachen, wo er heute noch lebt, dieser rheinische Katholik, der einmal Chefredakteur der Bistumszeitung war.
Der rheinische Singsang, das Rheinisch-Frohnatürliche: Laschet geht jegliche Schärfe ab. Das Versöhnende hat er in allen Ämtern gelebt, vor allem als erster Integrationsminister in Deutschland. Hier ging es um die Aussöhnung der deutschen
Mehrheitsgesellschaft mit der Eingewanderten, und Nordrhein-Westfalen war ohnehin DAS Einwanderungsland Deutschlands. Konservative Spötter hingen Laschet den Spitznamen „Türken-Armin“an. Der verfolgt ihn bis heute, in gewisser Weise zu Recht.
Niemand hat Merkels Flüchtlingspolitik von 2015 so verteidigt wie Laschet. Dies, wie das dezidiert „Westliche“und seine versöhnende Art haben ihn mit den Jahren zum wichtigsten Vorreiter für SchwarzGrün werden lassen. Und das, obwohl Laschet in Düsseldorf Deutschlands einzige schwarz-gelbe Koalition führt, und obwohl er, etwa in der Schlacht um den Hambacher Forst, die Interessen der Braunkohle vertreten hat – nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch der Arbeitnehmer.
Laschet hat also ein Profil – vielleicht ist er der letzte, auf alle Fälle aber der wichtigste Vertreter der alten, republikanischen West-CDU. Seine konservativen Seiten liegen in seinem Christentum und in seinem Staatsverständnis – Laschet hat bei Staatsbesuchen rote Teppiche wieder eingeführt und lässt Kapellen aufspielen. Und umgezogen ist er aus einem modernistischen Glaspalast in eine trutzige Retro-Villa direkt am Rhein. Aachen, das Katholische, das Liberale, das Versöhnende, der Westen: Damit ist Laschets größter Vorzug beschrieben. Und sein vielleicht größter Nachteil. Aber nach Merkel könnte Laschet einen alten Slogan von Willy Brandt, leicht abgewandelt, zu seiner Devise machen: Wir müssen wieder mehr Westen wagen!