„Wir wollen nicht mit dem Finger auf andere zeigen“
Itchy machen sich stark für den Umweltschutz und gegen antidemokratische Kräfte
Gutgelaunter Punkrock ist das Markenzeichen von Itchy aus Eislingen/Fils. Mit „Ja Als Ob“haben Sibbi, Panzer und Max am Freitag ihr achtes Album veröffentlicht. Nach 18 Jahren mit englischen Texten probiert es das Trio nun auf Deutsch und singt über alte Helden („Wo seid ihr denn alle“), den Rechtsruck („Nicht weg“) und drei Minuten Zuversicht („Beyoncé & Jay-Z“). Christiane Wohlhaupter hat mit Sibbi über die Rettung des Planeten und die Entstehung des Albums gesprochen. „Null Disziplin. Pressetermin. Interviews dicht“heißt es in eurem neuen Song „Ja als ob“. Erwische ich dich morgens um 9 Uhr nüchtern zu unserem Gespräch?
Ja, ich hab eher noch ein bisschen Jetlag. Wir waren in Thailand an der Andamanensee und auf verschiedenen Inseln. Wie kann man Reisen in Zeiten von Fridays For Future rechtfertigen?
Ich glaube, man kann mit sich im Reinen sein, wenn man sich sonst einsetzt und engagiert und auf die Umwelt achtet. Reisen hat mir so viel geholfen zu verstehen, was sich zu schützen lohnt. Ich bin nicht der Meinung, dass man alles verteufeln muss. Ich finde, es ist wichtig, dass sich jeder einen Kopf macht und mit offenen Augen durchs Leben geht. Kann mit so einer Argumentation auch der SUV-Fahrer, der im Unverpackt-Laden einkauft, sein Verhalten rechtfertigen?
Ich denke, wenn jeder ein bisschen herumgekommen wäre, wären viele nicht so ignorant. Natürlich kann man das eine nicht mit dem anderen rechtfertigen. Ich tue nicht so, als wäre Fliegen völlig egal. Aber es bringt mich dazu, in vielen anderen Bereichen auf die Umwelt zu achten. Ihr helft immer wieder mit, Strände und die Unterwasserwelt von Müll zu befreien. Was ist das für eine Erfahrung?
Das ist schlimm zu sehen, in welchem schlechten Zustand die Natur da teilweise ist. Wenn wir dann darauf aufmerksam machen können, und andere dann auch etwas dafür tun, ist das eine gute Sache. Zum Glück ist die Plastikmüll-Debatte inzwischen allgegenwärtig. Ihr singt auch gegen den Rechtsruck an. Hören das denn die richtigen Menschen?
Das hoffe ich. Solange die Menschen, die es hören, bei den Guten bleiben, ist auch viel gewonnen. Und vielleicht hören das ja auch Menschen, die nicht genau wissen, wen sie wähoder len sollen. Wir wollen nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern Augen öffnen. Wenn wir das Bedürfnis haben, etwas zu sagen, dann ist die Musik ja auch gewissermaßen ein Ventil. Und bei der tagesaktuellen Lage, muss man oft etwas sagen. Auf dem neuen Album heißt es: „Wir sind noch immer hier“. Hättest du dir das vor 18 Jahren vorstellen können?
Mit 18 denkt man nicht darüber nach, was man mit Ende 30 macht. Wenn ich es gemacht hätte, hätte ich mir gewünscht, dass wir dann immer noch da sind. Und wenn du heute 20 Jahre in die Zukunft blickst?
Die bisherigen 20 Jahre gingen wie im Flug vorbei. Das ist vollkommen irre. Dadurch habe ich auch kein Problem mir vorzustellen, das mit Mitte 50 immer noch zu machen. Gibt es einen Plan B zur Musik?
Nein, wir haben uns darauf geeinigt uns mit voller Kraft auf Plan A zu konzentrieren und keinen Gedanken an Plan B zu verschwenden. Das können wir machen, falls Plan A nicht mehr funktioniert. Hat denn das Englische nicht mehr funktioniert? Ihr habt jetzt nach 18 Jahren von englischen Texten zu deutschen gewechselt.
Wir hatten kein konkretes Bedürfnis einen Grund zu wechseln, aber als wir mit Songschreiben angefangen haben, kam Panzer irgendwann an und sagte: „Sollen wir nicht mal versuchen, einen Song auf Deutsch zu schreiben?“Das haben wir dann ausprobiert. Es war aber ganz klar, falls sich das für uns nicht authentisch anfühlt, dann lassen wir das. Es hat aber direkt erstaunlich gut funktioniert. Wir haben einen richtig kreativen Anfall bekommen. Lustigerweise hat es sich nach ein paar Wochen gar nicht mehr wie etwas Neues angefühlt, sondern als würden wir es schon länger machen. Durch den Wechsel eröffnen sich so viele neue Türen, was das Songwriting angeht. Das war wie eine Frischzellenkur. Uns ist aber auch klar, dass man als gestandene Band genau beäugt wird, ob wir das mit dem Wechsel der Sprache können. Da haben wir uns dann natürlich auch entsprechenden Druck gemacht, ein super Album abzuliefern. Ich denke, es tut gut, sich neuen Herausforderungen zu stellen und seine Komfortzone zu verlassen. Bands wie die Donots haben den Wechsel vom Englischen ins Deutsche auch vollzogen.
Die Donots sind ganz enge Freunde. Wir haben seit zehn Jahren fast täglich Kontakt. Ich bin da als Musikfan aber natürlich auch erst einmal skeptisch, wenn eine Band so einen Wechsel vollzieht. Da müssen sie mich auch erst einmal wieder überzeugen. Sebastian Madsen unterstützt euch beim Song „Ich wollte noch“. Hatte er Tipps für euch?
Mit Sebastian habe ich viel gesprochen – auch über das deutsche Texten, auch mit Ingo von den Donots. Da schwirren auch Tipps und Ideen durch den Raum. Das kann einen nur weiterbringen. Was war sonst noch eine Herausforderung bei den deutschen Texten?
Wir haben es vermutlich hinbekommen, keinen schwäbischen Dialekt auf dem Album durchklingen zu lassen. Das war eine große Herausforderung und tut mir als Schwabe natürlich ein wenig im Herzen weh. Aber dann muss ich privat eben noch breiter schwäbisch schwätzen. Ihr habt 50 Demosongs gehabt und 13 auf das Album gepackt. Tut es euch weh um den Ausschuss?
Bei manchen Songs ist es einfacher. Bei anderen hat man sein Herz ausgeschüttet und denkt, es ist der persönlichste, intimste Text, den man jemals geschrieben hat und dann merkt man, dass er vielleicht musikalisch nicht aufs Album passt oder andere Songs stärker sind. Das kann schon herzzerreißend sein, wenn da ein Song auf der Strecke bleibt. Schlimmer wäre es aber bestimmt, wenn man es gerade mal auf 13 Songs schaffen würde. Im Video zu „Ja als ob“sieht man euch in allerlei unvorteilhaften Situationen. Welche schlechte Angewohnheit hast du?
Ich bin so ein Zappelphilipp und kann nicht ruhig sein und bin total ungeduldig. Im Studio frage ich alle drei Minuten: Was ist jetzt der Plan? Wie geht es weiter? Ich kann nicht ruhig dasitzen, ich brauche immer etwas zu tun. „Beyoncé & Jay-Z“spricht davon, sich kurzzeitig von allem Übel der Welt zu lösen. Hat sich seit dem Erscheinen vom ähnlich gelagerten „Why Still Bother“vor zehn Jahren etwas geändert?
Ich bin natürlich vorsichtig, so etwas wie „früher war alles besser“zu sagen. Das hat mich bei meinen Großeltern schon immer aufgeregt. Aber natürlich muss man fairerweise sagen, dass aktuell viel im Argen liegt. Wahrscheinlich war immer viel im Argen, aber wir befinden uns nun mal im Jetzt. Ich kann nicht sagen, dass es in den letzten zehn Jahren besser geworden ist. Aber in solchen Zeiten wollen wir – zumindest im Refrain – den Menschen drei Minuten Zuversicht versprechen. Live: 17.4. München, Backstage; 25.4. Stuttgart, LKA Longhorn