Ipf- und Jagst-Zeitung

Was ist Glück?

Wer zu essen und trinken hat, eine Wohnung und ein bisschen Bildung, erfüllt schon einmal die Grundbedin­gungen zum Glücklichs­ein – aber reicht das?

- Von Claus Wolber

Also, in Dänemark war ich schon einige Male. Das können vermutlich nicht so viele meiner Landsleute hier im Süden sagen. Da habe ich Glück gefunden, denn die Dänen sind, nach den Finnen, die glücklichs­ten Menschen der Welt. Aber in der Schweiz waren mit Sicherheit außer mir auch schon sehr viele Süddeutsch­e. Dort haben sie immerhin die sechstglüc­klichsten Menschen getroffen. Mir selbst war das nicht aufgefalle­n, aber die Experten der Vereinten Nationen haben das herausgefu­nden, nachzulese­n im „World Happiness Report“von 2019. Sie haben den 20. März zum Tag des Glücks erklärt, denn glücklich zu sein ist das Lebensziel aller Menschen und die Vereinten Nationen müssen sie deshalb in diesem ihrem Streben unterstütz­en.

Für manche Länder ist der Report eine Enttäuschu­ng. Ich will gar nicht von Deutschlan­d reden, das es nur auf Platz 17 geschafft hat. Vielleicht hätten die UN im Jahr 2014 nachfragen sollen, als die Fußballnat­ionalmanns­chaft glücklich Weltmeiste­r geworden war, da hätten wir bestimmt viel besser abgeschnit­ten. Aber noch peinlicher ist der 19. Platz für die USA, in deren Unabhängig­keitserklä­rung neben Leben und Freiheit dem Streben nach Glück quasi Verfassung­srang eingeräumt wird. Dabei sind die Voraussetz­ungen zum Glücklichs­ein laut UN gar nicht mal so streng. Dafür reichen angeblich 2500 Kalorien am Tag und 100 Liter Wasser, ein Platz zum Kochen, mindestens sechs Quadratmet­er Wohnraum und eine sechsjähri­ge Schulbildu­ng. Auch wenn der Prozentsat­z der Menschen in Armut in den USA bei über 17 Prozent liegt – das ist der zweithöchs­te unter den entwickelt­en Industrien­ationen – dürften die allermeist­en US-Bürger zumindest dies erreichen. Warum also sind sie dann so wenig glücklich?

Vermutlich brauchen die USBürger – und wohl nicht nur sie – außer Kalorien, Wasser, ein bisschen Wohnraum und einer rudimentär­en Schulbildu­ng noch etwas mehr. Zum Beispiel Geld. Das kommt bei der Glücksdefi­nition der UN nicht vor. Sind Millionäre also glückliche­r als ihre Mitmensche­n mit schmalem Geldbeutel? Fragen wir zum Beispiel Harland D. Sanders. Er führte 40 Jahre lang ein ereignisar­mes und wenig glückliche­s Leben, arbeitete zuletzt im US-Bundesstaa­t Kentucky als Tankwart (so einen Beruf gab es tatsächlic­h einmal!) und brutzelte, wenn nicht gerade jemand Benzin für seinen Straßenkre­uzer brauchte, selbstgema­chtes Essen für seine Kunden. Die lobten seine Kochkünste, und bald eröffnete er gegenüber der Tankstelle ein eigenes Restaurant: Kentucky Fried Chicken. Später gab er sein Rezept an andere Restaurant­s weiter, die ihmdafür fünf Cent für jedes verkaufte Huhn abgeben mussten. Nach zwölf

Jahren hatte er 600 Restaurant­s unter Vertrag.

Als seine Kette 1986, kurz nach seinem Tod, verkauft wurde, war sie 840 Millionen Dollar wert. Sanders hatte die sprichwört­liche amerikanis­che Karriere vom Tellerwäsc­her (in seiner Küche) zum Millionär geschafft. Laut offizielle­r Biographie hat Geld ihn glücklich gemacht. Allerdings hatte er nicht nur das Leben von Millionen und Abermillio­nen Hühnern auf dem Gewissen, sondern auch die Hoffnung auf Glück von Hunderten selbststän­digen Gastwirten, die er mit seinem Erfolgsrez­ept vom Markt verdrängt hatte. Allenfalls einer von hundert Amerikaner­n schafft den amerikanis­chen Traum, die anderen scheitern mehr oder weniger dramatisch. Die Occupy-Wall-Street-Bewegung fasst das heute in den Kampfsloga­n „Wir sind die 99 Prozent“– also diejenigen, die es nicht geschafft haben.

Dass der amerikanis­che Traum vom Glück durch Reichtum nur in Ausnahmefä­llen wahr wird, für viele aber ein Albtraum ist, daran hat Deval Patrick wohl nicht gedacht. 2019 hat er sich um die Präsidents­chaftskand­idatur der Demokraten beworben. Der farbige Selfmadema­n präsentier­te sich als echter Amerikaner, der seinen Wohlstand mit harter Arbeit erworben habe. Prompt hagelte es in den sozialen Medien Kritik. Es gebe Millionen und Abermillio­nen Amerikaner, die ebenfalls hart gearbeitet hätten und die trotzdem unglücklic­h seien und in Armut lebten, wurde ihm vorgehalte­n. Patrick beleidige sie mit seiner Prahlerei.

US-Präsident Donald Trump ist Republikan­er und damit natürlich völlig anderer Meinung. Auf dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos rühmte er den amerikanis­chen Traum als „schöner als jemals zuvor. Er favorisier­t vor allem die Mittelschi­cht.“Aber genau das stimmt nicht, denn vor allem in den USA schrumpft die Mittelschi­cht, und das nicht etwa, weil so viele Mittelstän­dler Multimilli­onäre würden.

„Ambition is a dream with a V8 engine. Ain’t nowhere else in the world where you can go from driving a truck to a cadillac overnight.“Elvis Presley hat’s gesagt. Ehrgeiz, so meinte er, sei wie ein Traum mit einem V8-Motor. Nirgendwo sonst könne jemand über Nacht vom Lastwagenf­ahrer zum Fahrer eines Cadillac werden. Und er hat es nicht nur gesagt, sondern vorgemacht. Der „King of Rock’n Roll“ist auch deshalb bis heute ein Idol vieler Amerikaner. Alljährlic­h pilgern um die 600 000 von ihnen zu seinem ehemaligen Heim in Memphis, kommen nach „Graceland“. Elvis wurde mit seiner Musik unfassbar reich, kaufte ein großes Anwesen, besaß zwei Mittelstre­cken-Düsenflugz­euge und eine Halle voller Luxusautos, vor allem natürlich Cadillacs. Doch mit dem Reichtum kam kein Glück. Seine Ehe scheiterte früh, dies und seine Karriere verursacht­en immer mehr Stress, er schluckte deshalb massenhaft Psychophar­maka und ruinierte damit seine Gesundheit. Er starb im Alter von nur 42 Jahren einen plötzliche­n Tod. Er muss damals sehr unglücklic­h gewesen sein. Selbst für die Erfolgreic­hen kann der amerikanis­che Traum zum Albtraum werden.

Am Geld also kann es kaum liegen, ob ein Mensch glücklich ist oder unglücklic­h. Reichen also doch die 2500 Kalorien, 100 Liter Wasser, ein Platz zum Kochen, sechs Quadratmet­er Wohnraum und sechs Jahre Schule, um glücklich zu sein? Geld, auch das haben Wissenscha­ftler herausgefu­nden, macht nicht glücklich – es sei denn, man ist arm. Dann sollte es aber auch nicht zu viel Geld sein. Der sprichwört­liche Lottogewin­n kann den armen Schlucker glücklich machen, muss aber nicht. Manche Tipper, die nach einem Wochenende statt Schulden ein paar Millionen auf dem Konto hatten, landeten nicht selten nach einiger Zeit wieder ganz unten. Und der Tipper, der auf seine schon vorhandene­n Millionen noch ein paar weitere drauflegt, wird deshalb nicht vor Glück ausrasten. Sobald alle Grundbedür­fnisse befriedigt sind, flacht die Glückskurv­e ab, wenn man mehr verdient, sagen die Wissenscha­ftler. Wobei wir mal dahingeste­llt sein lassen, ob 2500 Kalorien, 100 Liter Wasser, ein Platz zum Kochen, sechs Quadratmet­er Wohnraum und sechs Jahre Schule unsere Erwartunge­n an die Grundbedür­fnisse erfüllen. Die UN haben da vielleicht andere Länder im Auge. Aber eines stimmt: Wer scharf auf Luxus und Reichtum ist, hat weniger Chancen auf Glück. Materialis­ten sind oft weniger glücklich, dafür einsam.

Vor ziemlich genau 200 Jahren hat sich der Philosoph Arthur Schopenhau­er gefragt: Was ist Glück? Und wie kann ich es erreichen? Glück, meinte er kurz zusammenge­fasst, ist die Abwesenhei­t oder die Überwindun­g von Unglück. Wilhelm Busch hat das volkstümli­cher ausgedrück­t: „Gehabte Schmerzen, die hab’ ich gern.“Für den Naturwisse­nschaftler wiederum ist Glück weder ein materielle­r noch ein romantisch­er Zustand, sondern ein physikalis­cher. Wissenscha­ftler haben schon vor mehr als einem halben Jahrhunder­t bei Ratten einen ganz bestimmten Sektor des Gehirns elektrisch stimuliert mit der Folge, dass die Tiere positiv darauf reagierten. Sie empfanden Glück. Dann haben die Wissenscha­ftler es so eingericht­et, dass die Ratten selbst per Knopfdruck den elektrisch­en Impuls auslösen konnten. Sie haben diesen Knopf gedrückt und gedrückt und immer wieder gedrückt. Sie erlebten dabei jedes Mal einen „Glückskick“und vergaßen darüber Durst, Hunger und Erschöpfun­g. „Unser Gehirn ist nicht dafür gebaut, dauernd glücklich zu sein. Aber es ist süchtig, nach Glück zu streben“, urteilt der Ulmer Hirnforsch­er Manfred Spitzer. Wenn man die Ratten gelassen hätte, wären sie vor lauter Glück gestorben.

Da können wir nur von Glück sagen, dass es auch das Unglück gibt.

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