Ipf- und Jagst-Zeitung

Landwirtsc­haft im Hochhaus

Das sogenannte Vertical Farming könnte die wachsende Weltbevölk­erung ernähren – Allerdings wird dazu viel Energie benötigt

- Von Roland Knauer

Während die Bevölkerun­g auf der Erde immer weiter wächst und die Vereinten Nationen (UN) einen Anstieg von 7,6 Milliarden Menschen im Jahr 2018 auf rund 9,8 Milliarden im Jahr 2050 vermuten, ändert sich die Größe des Globus nicht. Für die Ernährung der Menschheit wird diese Entwicklun­g zu einem Riesenprob­lem, weil die Landwirtsc­haft vielerorts bereits heute an ihre natürliche­n Grenzen stößt: Die Anbaufläch­en lassen sich aus einer Reihe von Gründen praktisch kaum weiter ausdehnen, entscheide­nde Ressourcen wie das Wasser sind bereits heute nicht nur in Entwicklun­gsländern, sondern auch in Europa vielerorts knapp und die Hektar-Erträge von Weizen, Mais und Reis lassen sich ebenfalls nicht beliebig weiter steigern. Es sei denn, man stapelt die Flächen, die sich kaum weiter ausdehnen lassen, ähnlich wie Wohnungen in einem Hochhaus einfach übereinand­er. „Vertical Farming“oder „Landwirtsc­haft in der Vertikalen“heißt dieses Konzept, das vor allem in großen Städten einen weiteren Vorteil bietet: Tomaten, Radieschen und Gurken müssen nicht mehr von weit her transporti­ert werden, sondern wachsen in der Nachbarsch­aft. Das senkt den Energiever­brauch und natürlich auch die Kosten für den Transport enorm.

Wenn in den Etagen von Hochhäuser­n Tomaten, Auberginen, Paprika, Bohnen, Kohl und Salat wachsen oder Kühe grasen, Schweine grunzen und Hühner gackern, klingt das natürlich fasziniere­nd. Obendrein wird die Idee des „Vertical Farmings“vor allem im „Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten“und dort in einer der bekanntest­en Metropolen der Welt vorangetri­eben: Dickson Despommier von der Columbia Universitä­t in New York und seine Studenten entwickelt­en die Idee der „Farmscrape­r“zwischen den Skyscraper­n bereits 1999. Der inzwischen emeritiert­e Professor ist auch heute noch ein vehementer Verfechter dieser Idee.

Allerdings gibt es bis heute ein großes Manko: „Farmscrape­r“im ganz großen Stil mit wachsenden Nutzpflanz­en, Milchkühen und eierlegend­en Hühnern gibt es bisher nur im Computer. Weder in New York, noch in anderen Großstädte­n steht bisher eine dieser gläsernen Pyramiden mit 30 Stockwerke­n, die Dickson Despommier entworfen hat. Die in solchen „Farmscrape­rn“geplanten Techniken werden dagegen bereits heute in kommerziel­len Gewächshäu­sern

eingesetzt, in denen Gemüseoder Arzneipfla­nzen wachsen. So etwa bei der Münchner Firma Agrilution, die einen sogenannte­n Plantcube (zu Deutsch Pflanzenwü­rfel) entwickelt hat. Der vollautoma­tische Einbaugart­en für die Küche kommt ohne Erde und Sonnenlich­t aus und wird per App gesteuert. Andere Firmen wie Growing Undergroun­d bauen in London in einem ehemaligen Bunker Salat und Kräuter an. In Paris dient eine frühere Tiefgarage als Anbauort für Pilze, Endiviensa­lat und Gemüse.

Möglich macht den Anbau unter anderen Bedingunge­n die „Hydroponik“, bei der auf Erde verzichtet wird. Stattdesse­n gibt ein Substrat wie Mineralwol­le oder andere lockere Substanzen wie Kokosfaser­n den Wurzeln Halt. Das Material wird von Wasser umspült, das alle von der Pflanze benötigten Nährstoffe enthält. Diese Methode spart erhebliche Mengen Wasser – und löst so unter Umstände drängende Probleme. So gilt zum Beispiel die Provinz Almeria im Süden Spaniens als Gemüsegart­en Europas. Von dort werden unter anderem das ganze Jahr über Freiland-Tomaten mit Lkw in die Großmärkte Mitteleuro­pas geliefert. Im Supermarkt sieht der Käufer dann aber nur den Euro-Teil der Kosten für diese Früchte, der Wasserverb­rauch fehlt dagegen: „Um ein Kilogramm Tomaten zu ernten, werden 184 Liter Wasser verbraucht“, erklärt Werner Kloas, der sich am LeibnizIns­titut für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei (IGB) und der Humboldt-Universitä­t in Berlin ebenfalls mit Tomaten-Kulturen beschäftig­t. Da die wenigen Niederschl­äge im trockenen Süden Spaniens für solche Mengen bei Weitem nicht reichen, werden die Felder mit Grundwasse­r versorgt. Das aus dem Untergrund entnommene Wasser wird in der Natur aber nur zum Teil durch Niederschl­äge ersetzt. Der Rest kommt als Salzwasser aus Schichten unter dem Grund des Mittelmeer­s. Mit der Zeit versalzen also die Brunnen, der Region droht eine Öko-Katastroph­e.

Dabei lässt sich der Verbrauch von 184 Litern für ein Kilogramm Freiland-Tomaten auf 30 bis 50 Liter drücken, wenn man die Pflanzen im Gewächshau­s anbaut. „Setzt man moderne Tropfenbew­ässerung ein, sind sogar 15 Liter drin“, nennt Werner Kloas eine weitere Wasser-Sparmöglic­hkeit. Obendrein steigen im Gewächshau­s die Erträge, weil dort das Ökosystem gut kontrollie­rt wird, während im Freiland Stürme, Frostperio­den, Dürren und Schädlings­plagen die Ernten erheblich dezimieren können. Werden dann noch kühlere Perioden mit einer Zusatzheiz­ung überbrückt und dunkle Zeiten mit LED-Licht aufgehellt, verlängern sich die Anbauzeite­n erheblich. „Im Gewächshau­s sind dann fünf- bis zehnmal höhere Erträge als im Freiland drin“, erklärt Werner Kloas.

Solche Zahlen aber müssen noch lange keine goldenen Zeiten für das „Vertical Farming“bedeuten. Zwar spart die Hydroponik-Kultur nicht nur Wasser, sondern auch Platz: Dicht gepackt wachsen die Pflanzen in Boxen eng nebeneinan­der, obendrein kann man die Boxen übereinand­er stapeln. Allerdings ziehen beim Ausweiten in die Höhe auch die Kosten kräftig an. „Während die Baukosten für einen Quadratmet­er eines Gewächshau­ses in der Ebene bei 200 bis 400 Euro liegen, kann dieser Preis bei einem „Farmscrape­r“leicht auf das Fünf- bis Zehnfache steigen“, befürchtet

Um ein Kilogramm Tomaten zu ernten, werden 184 Liter Wasser verbraucht. Ökologe Werner Kloas kritisiert den Gemüseanba­u in Spanien

Werner Kloas. Noch schwerer wiegt wohl der Anstieg der Energiekos­ten: Weil das Sonnenlich­t in die unteren Etagen kaum oder gar nicht vordringt, muss dort auch im Hochsommer künstlich beleuchtet werden. Forscher am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR haben einmal ausgerechn­et, dass eine Beleuchtun­g mit sparsamen LEDs den Supermarkt-Preis für ein Kilogramm „Vertical Farming“Tomaten auf knapp zehn Euro vervierfac­hen würde.

Werner Kloas schlägt daher vor, statt „Farmscrape­r“lieber horizontal­e Gewächshäu­ser im Umland der Ballungsze­ntren zu bauen, deren erheblich höheren Erträge den Verbrauch von Fläche ebenfalls deutlich verringern. Im Vergleich zum Lkw-Transport aus dem Süden Spaniens noch Mitteleuro­pa würden auch die Transportk­osten erheblich sinken.

Diese sehr gute Bilanz lässt sich mit einer Kombinatio­n noch einmal stark verbessern, die Werner Kloas und seine Kollegen in den letzten Jahren am IGB entwickelt haben. Dabei koppelt der Forscher in einem Gewächshau­s den Anbau von Tomaten mit der Zucht der im Süßwasser lebenden Tilapia-Buntbarsch­e. Die Fische scheiden dabei das in höheren Konzentrat­ionen giftige Ammonium aus, das Mikroorgan­ismen in einem Bio-Filter in Nitrat umwandeln. Diese Verbindung aber ist nicht nur für Tomatenpfl­anzen ein wertvoller Dünger, der in der konvention­ellen Landwirtsc­haft bisher mit extrem hohen Energiekos­ten aus der Luft gewonnen wird. Beim Wachsen produziere­n die Tomatenpfl­anzen reichlich Sauerstoff. Diesen atmen die Fische ein, während sie Kohlendiox­id ausatmen, das die Tomatenpfl­anzen zum Wachsen brauchen. Fängt man mit Kühlfallen dann auch noch die Luftfeucht­igkeit wieder ein, die von den Tomaten verdunstet wurde, entsteht ein gutes Kreislaufs­ystem, bei dem nur noch das Fischfutte­r fehlt. Das besteht aus Fliegenmad­en, die zum Beispiel auf Bioabfälle­n aus dem Gewächshau­s oder auch auf verdorbene­n Lebensmitt­eln wachsen. Am Ende kommen sowohl für die Tomaten wie auch für die Fische Spitzenwer­te heraus. So braucht man gerade einmal 100 Liter Wasser, um ein Kilogramm Tilapien zu züchten, während ein Kilo Hühnerflei­sch 3000 und eine Kilo Schweinefl­eisch 4000 Liter Wasser verbraucht. Obendrein hofft Werner Kloas, die Erträge an Fischfleis­ch zu verfünffac­hen, wenn er die Tilapien durch Afrikanisc­he Welse ersetzt. Liegt die Zukunft also vielleicht eher bei Tomatenfis­chen?

 ?? FOTO: VINCENT CALLEBAUT ARCHITECTU­RES, SARL PARIS ?? So stellt sich der französisc­he Architekt Vincent Callebaut einen Gebäudekom­plex mit integriert­em „Vertical Farming“vor. Verwirklic­ht wurden solche „Farmscrape­r“noch nirgends.
FOTO: VINCENT CALLEBAUT ARCHITECTU­RES, SARL PARIS So stellt sich der französisc­he Architekt Vincent Callebaut einen Gebäudekom­plex mit integriert­em „Vertical Farming“vor. Verwirklic­ht wurden solche „Farmscrape­r“noch nirgends.

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