Ipf- und Jagst-Zeitung

Ramelow wieder im Amt

Ministerpr­äsident verweigert Höcke den Handschlag

- Von Stefan Kegel

(dpa) - Nach wochenlang­er Regierungs­krise ist Bodo Ramelow (Linke) zum neuen Ministerpr­äsidenten Thüringens gewählt worden. Der 64-jährige Ex-Regierungs­chef erreichte am Mittwoch im Landtag im dritten Wahlgang die erforderli­che einfache Mehrheit. Sein Gegenkandi­dat Björn Höcke (AfD) war zuvor ausgestieg­en. Nach der Vereidigun­g verweigert­e Ramelow Höcke demonstrat­iv den Handschlag.

Zur Erklärung sagte Ramelow, der AfD-Fraktionsc­hef habe sich nach der umstritten­en Wahl Thomas Kemmerichs gebrüstet, dem FDPPolitik­er eine „Falle“gestellt zu haben. Erst wenn Höcke die Demokratie verteidige und nicht Demokraten Fallen stelle, werde er ihm die Hand schütteln. Höcke kritisiert­e Ramelows „Manierlosi­gkeit“und nannte das Verhalten „eine Schande für Thüringen“.

G- Fünf Jahre ist es her, dass Europa nach der Finanzkris­e und der Schuldenkr­ise in das dritte Dilemma hintereina­nder wankte: die Flüchtling­skrise. 2,47 Millionen Menschen kamen in den Jahren 2015 und 2016 nach Europa. Droht durch die Öffnung der türkischen Grenze erneut ein solches Szenario? Vieles spricht dagegen, dass sich eine Situation wie 2015 wiederhole­n wird:

Die EU reagiert sofort: Als sich im Sommer 2015 Hunderttau­sende Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanista­n und Afrika auf den Weg nach Europa machten, hätte die EU gewarnt sein können. Experten hatten seit 2013 auf steigende Flüchtling­szahlen und Krisenregi­onen hingewiese­n. „Die Flüchtling­skrise ist ja nicht vom Himmel gefallen“, sagt der CDU-Außenpolit­iker Norbert Röttgen rückblicke­nd. „Hier offenbarte sich eine Ignoranz, als wir dem Ruf der Hilfsorgan­isationen nicht genügend Gehör geschenkt haben.“Als die Zahlen massiv stiegen, mussten die Ankunftslä­nder, vor allem Griechenla­nd und Italien, selbst sehen, wie sie mit dem Ansturm fertig wurden. In ihrer Not fingen sie an, Hunderttau­sende Menschen nach Mitteleuro­pa durchzuwin­ken.

Der Unterschie­d zu heute: Diesmal hat die EU gleich ein Zeichen der Solidaritä­t mit Südeuropa gesetzt. Bereits wenige Tage nach dem Öffnen der türkischen Grenze durch Präsident Recep Tayyip Erdogan reisten die EU-Spitzen nach Griechenla­nd und versprache­n für das Management der Migration 250 Millionen Euro als Sofortzahl­ung. Für die Sicherung der Grenze werden Schiffe, Hubschraub­er und ein Flugzeug sowie Frontex-Soldaten zugesagt.

Die Stimmung hat sich

verändert: Als im Herbst 2015 Hunderttau­sende Menschen nach Europa strömten, wurden sie vor allem in Deutschlan­d unter dem Motto „Willkommen­skultur“euphorisch begrüßt. Debatten über die Probleme, die damit verbunden waren, wurden erst geführt, als diese nicht mehr zu übersehen waren, die Kommunen etwa mit der Unterbring­ung und Integratio­n der Ankommende­n überforder­t waren.

Rechte Parteien erlebten in den Jahren danach überall in Europa einen deutlichen Zulauf, auch in Deutschlan­d. Die Einstellun­g zur Migration wurde deutlich kritischer. 36 Prozent der Deutschen sehen nach einer OECD-Umfrage eher Probleme in der Migration, 21 Prozent eher Chancen.

Innerhalb Europas hat die Debatte in den vergangene­n fünf Jahren auch für klare Fronten gesorgt. Von Brüssel aufgedrück­te Vorschrift­en für die Aufnahme von Flüchtling­en wird es nicht geben. „Der Plan der damaligen EU-Kommission, Flüchtling­e einmalig nach einem festgelegt­en Schlüssel auf alle Mitgliedst­aaten zu verteilen, ist ins Leere gelaufen“, diagnostiz­iert der Migrations­experte Raphael Bossong

von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik. Bis Ende des Monats will die EU-Kommission einen Migrations­plan vorlegen. Darin wird es zwar Quoten geben, aber nur für Länder, die freiwillig mitziehen.

Die Außengrenz­en werden geschützt:

Durch massiv ausgebaute Grenzzäune haben die südosteuro­päischen Mitgliedst­aaten die Westbalkan­route,

die vor fünf Jahren einer der Hauptwege in die EU war, weitgehend dichtgemac­ht. Auch in anderer Hinsicht setzen die EU-Staaten auf das Prinzip Abschottun­g. Aktuell schickt die Grenzschut­zagentur Frontex zusätzlich­e Kräfte nach Griechenla­nd, die momentan noch von den Mitgliedst­aaten gestellt werden. Ab dem kommenden Jahr soll Frontex eine eigene, flexibel einsetzbar­e Truppe aufbauen, die bis 2027 eine Stärke von 10 000 erreichen soll.

Abkommen mit anderen Staaten:

Durch Vereinbaru­ngen etwa mit der libyschen Küstenwach­e und mit Marokko kommen seit einiger Zeit weniger Menschen übers Mittelmeer nach Europa. Und auch wenn der türkische Präsident Erdogan die EUTürkei-Erklärung von 2016 durch das Öffnen der Grenzen aufs Spiel setzt, hat er kein Interesse am Platzen des Deals. Immerhin hat die Vereinbaru­ng ihm bisher Zusagen von sechs Milliarden Euro eingetrage­n. Und die EU hat weiteres Geld für die Versorgung

der 3,6 Millionen Flüchtling­e in der Türkei in Aussicht gestellt. „Es muss substanzie­lle Hilfen geben“, fordert auch der Migrations­experte Bossong. „Allerdings muss sich die EU mittelfris­tig ehrlich machen.“Die zugesagten Erleichter­ungen für die Türkei als Gegenleist­ung für das Fernhalten von Flüchtling­en seien realistisc­h betrachtet nicht umzusetzen – weder Visaerleic­hterungen noch EU-Beitrittsv­erhandlung­en. Dafür müsse das Abkommen auf neue Füße gestellt werden.

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FOTO: EMRAH GUREL/DPA Migranten gehen an der türkischen Seite der Grenze zu Griechenla­nd eine Straße entlang.

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