Ein geborener Komödiant
Peter Sattmann, der in Friedrichshafen aufwuchs, ist bekannt für seine Rollen in Herzschmerzfilmen – Dabei ist das Leben des Schauspielers auch von Tragödie und Drama geprägt
Peter Sattmann vermag die Menschen auch mit den dunklen Momenten seines Lebens zum Lachen zu bringen. Wie an diesem Abend in der Buchhandlung Rupprecht in Ellwangen, als der 72-Jährige auf der kleinen Bühne sein schauspielerisches Können präsentiert. Mal hebt seine Stimme an, mal ebbt sie ab, mal wiegt er den Kopf nach links oder rechts, ballt die Faust oder zeigt mit dem Finger ins Publikum, um die Betonung seiner Wörter gestisch zu untermalen. Eher leise beginnt er die Erzählung aus seiner Kindheit, als er eines Tages in der heimischen Wohnung in Zwickau den Vater ertappt, wie dieser auf einem Hocker steht – mit einem Seil um den Hals. Um tränenreich zu gestehen: „Ich will nicht mehr leben.“Der kleine Peter ist damals überzeugt, dass man einem Weinenden keinen Wunsch abschlagen darf, also schiebt er die zu Hilfe eilende Mutter weg mit den Worten: „Lass ihn!“„Bist du verrückt, Junge, er will sich umbringen!“„Aber du siehst doch, er weint, lass ihn!“, bettelt Peter. Worauf Vater und Mutter unweigerlich lachen müssen. Und Jahrzehnte später das Publikum in Ellwangen auch.
Peter Sattmann zählte lange zu den beliebtesten deutschen Schauspielern. Durch Kinorollen in „Im Inneren des Wals“von Doris Dörrie oder „Abgeschminkt“von Katja von Garnier, vor allem aber durch Utta Danella-, Rosamunde-Pilcher- oder Inga-Lindström-Filme im Fernsehen besitzt er noch heute eine Fangemeinde. Mit „Mein Leben ist kein Drehbuch“hat er nun aber eine Autobiografie geschrieben, die ein bisher für die Öffentlichkeit unbekanntes Bild des Schauspielers zeigt. Das gleichermaßen von einem lebensfrohen wie verletzlichen Menschen zeugt, von einem Leben voller Höhen wie auch Abgründe.
„Ich bin gefährdet, wohl durch meinen Vater“, sagt der 72-Jährige im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Gefährdet, den Schattenseiten des Lebens zu viel Raum zu geben, war der Vater doch ein Melancholiker, um den sich die Familie stets sorgte, er könne sich etwas antun. „Wahrscheinlich habe ich das geerbt“, sagt Sattmann, der mit den Jahren aber einen Weg findet, auch mit diesen Momenten umzugehen.
So weit ist er aber noch nicht, als der Familie Ende der 1950er-Jahre die Übersiedlung von der damaligen DDR in den Westen gelingt, nach Friedrichshafen. Wo der Zehnjährige am ersten Tag lernt: „Die Banane schält man nur zur Hälfte, damit die Hände nicht klebrig werden, und die Apfelsine schält und isst man am besten über einem Waschbecken.“Wo der schneebedeckte Gipfel des Säntis den Jungen ebenso in seinen Bann schlägt wie der Bodensee. Wo er seine bis heute anhaltende Lust auf eine Butterbrezel entdeckt. Und wo er dennoch eine so traumatische Schulzeit erlebt.
Der Vater arbeitet als Heizer bei ZF und die Mutter in einer Glühbirnenfabrik, als der Sohn von der Volksschule auf das Graf-ZeppelinGymnasium wechselt – wo er auf den „Schwarzen Mann“trifft, wie er ihn bis heute nennt. Ein Pfarrer, der am Gymnasium Religion unterrichtet – und laut Sattmann die Kinder brutal züchtigt. Sie zudem auf perfide Weise für seine Fantasien missbraucht.
Schon in seiner ersten Schulstunde wird der Junge, weil er ungefragt etwas sagt, erst mit dem Lineal auf die Hand geschlagen und später mit dem Rohrstock auf den nackten Hintern, zwanzigmal. In seinem Buch schreibt Sattmann: „Ich höre keinen Schmerzenslaut von mir. Ich verdrücke keine Träne. Ich bin längst gebrochen.“
Im Ministrantenunterricht geht der Horror weiter. Auf dem Dachboden lässt der Pfarrer die Schüler regelmäßig Blinde Kuh spielen, mit verbundenen Augen müssen sie auf den Knien über den Boden kriechen. Irgendwann rutscht Sattmann die Binde von den Augen und er sieht den Pfarrer, wie dieser auf einem Stuhl sitzt und sich selbst befriedigt.
Seinen Eltern hat er nie von den Vorfällen erzählt, zu groß waren Scham und Schuldgefühle. Die seelischen Schmerzen bereiten ihm viele Jahre Alpträume, und nicht nur ihm: „Unter dem ,Schwarzen Mann‘“, sagt Sattmann, „haben Generationen von Jungs gelitten.“
Trotz der Pein lernt er den Südwesten lieben, sagt heute über sich: „Aus dem Sachsen wurde ein Schwabe.“Der sogar eifrig Schwäbisch lernt, Vokabeln und Sätze samt Übersetzung aufschreibt wie: „Vielen Dank für die Hefte“= „Fiele Dank fir de Heftle“. Irgendwann stellt er stolz fest: „Ich kann meine erste Fremdsprache.“Außerdem lernt er Bassspielen, covert mit der Band Shooting Stars die Lieder von den Beatles und den Stones, womit sie im Studio B in Friedrichshafen das Publikum in
Scharen anlocken, genauso in Lindau, Meersburg, Bregenz, Dornbirn, Meckenbeuren, Ulm und Ravensburg. In Ravensburg findet der jugendliche Musiker auch seine erste Freundin. „Da bin ich dann von Friedrichshafen jeden zweiten Tag mit dem Fahrrad hingefahren“, erzählt er und lächelt so verschmitzt wie ein frisch Verliebter.
Peter Sattmann war und ist ein Charmeur. In Ellwangen wechselt er spielerisch vom Sächsischen ins Schwäbische und auch ins Berlinerische, singt ein Lied oder erzählt einen Witz, zieht so Applaus und Lacher des mehrheitlich weiblichen Publikums auf sich, und genießt sichtlich die dahintersteckende Zuwendung. Drei Kinder von drei verschiedenen Frauen hat er, darunter Tochter Paula von der Schauspielerin Katja Riemann, seiner großen Liebe.
Bei den Dreharbeiten zu dem Film „Von Gewalt keine Rede“lernen sich beide kennen, in dem Sattmann ausgerechnet und ausnahmsweise einen Schurken spielt. Die Anziehungskraft im wirklichen Leben ist aber größer als die Rolle. Das Paar lässt sich von einem indischen Priester vermählen, verbringt „herrliche Jahre“(Sattmann) miteinander, bis Katja Riemann genug von ihm gehabt habe. „Z u Recht, wie ich schon damals fand.“Weil er im Grunde seines Wesens schon immer eine Zumutung für den jeweils anderen gewesen sei. Ein, wie er sagt, unzumutbarer Eigenbrötler.
Nicht wegen seines Wesens, sondern wegen schlechter Noten fliegt er nach der zehnten Klasse von der Schule. Und beginnt in München ein Gammlerleben auf der Straße. Verdient etwas Geld als Straßenmusiker und nächtigt im Englischen Garten. Bis ihn einmal mehr Melancholie und dunkle Gedanken einholen: „Ich habe in der Schule, ich habe im bürgerlichen Leben versagt, und ich versage auch jetzt. Ich will nicht mehr leben.“In der Not reift eine alte Sehnsucht in ihm: Schauspieler. An der Neuen Münchner Schauspielschule bescheinigt ihm Leiterin Ali Wunsch-König jedoch: „Lieber Peter Sattmann, es haben dieses Jahr hundertachtundzwanzig Mädchen und Jungen vorgesprochen, und ich muss dir sagen, du bist bei Weitem der Schlechteste.“Pause. „Aber! Irgendetwas hast du, irgendetwas ist mit dir, denn sonst hätten wir uns nicht eine halbe Stunde köstlich amüsiert.“Sattmann darf bleiben, erhält später sein erstes Engagement am Deutschen Theater in Göttingen, geht ans Württembergische Staatstheater nach Stuttgart, wo er elf Jahre bleibt und zweimal Schauspieler des Jahres wird unter Claus Peymann, mit dem er auch an das Schauspielhaus Bochum wechselt. Um danach im Fernsehen tatsächlich die eher seichten Stoffe zu spielen?
„Ich habe es auch für meine Mutter gemacht“, sagt Sattmann. „Sie wollte mich immer im Traumschiff sehen.“Und sie sieht ihren Sohn in See stechen. Und in Verfilmungen von Utta Danella und Rosamunde Pilcher. Schlecht ist das nicht, mit seinem Theaterhintergrund hätte er aber auch auf der Leinwand das Charakterfach besetzen können. Wer jedoch einmal in der Herzkino-Schublade stecke, so Sattmann zum „Spiegel“, komme da nicht mehr raus. Die gute Bezahlung beim Fernsehen war sicher auch kein Argument für einen Rollenwechsel. Und irgendwann ist es sowieso zu spät, für das eine wie das andere.
„2017 war es so weit; keine einzige Rolle, kein einziger Drehtag, kein einziger Cent, um die Rente aufzubessern.“Der Dispokredit ist ausgereizt, die Miete fällig. Die Folge: „Panik.“Auch aus dieser Misere schafft es der Schauspieler, dank Lesungen von „Die Schöpfung“von Sebastian Sailer, einem Prediger, der das Werk 1743 im Kloster Schussenried zur Uraufführung brachte. „Das Stück ist von überbordendem Witz“, so Sattmann, der sich ohnehin als geborenen Komödianten sieht und daher weiß: „Gute Komödien sind durch die Bank Tragödien.“Wie im richtigen Leben.
So mag ihn Geldknappheit auch heute drücken, dazu kommen Bluthochdruck, Altersdiabetes und Vorhofflimmern. Doch Peter Sattmann hat gelernt, mit seinen persönlichen Tragödien Frieden zu schließen. Den Besuchern in Ellwangen gibt er mit: „Lachen ist nicht das Gegenteil von Weinen. Es kommt danach. Wenn die Tränen nicht mehr ausreichen, den Wahnsinn zu meistern, dann setzt das Lachen ein.“Applaus – und Gelächter.
„Sie wollte mich immer im Traumschiff sehen.“Peter Sattmann über seine Mutter