Ipf- und Jagst-Zeitung

Hanau trauert um die Anschlagso­pfer

Zwei Wochen, nachdem ein Rassist neun Menschen erschossen hat, findet in der Stadt eine bewegende Trauerfeie­r statt

- Von Carolin Eckenfels, Eva Krafczyk und Jörn Perske

G(dpa) - Völlig unerwartet wurde ihr Bruder „aus der Mitte unserer Familie gerissen“, sagt Ajla Kurtovic mit stockender Stimme. Die junge Frau steht auf der Bühne vor hochrangig­en Politikern und weiteren Angehörige­n der Opfer des Anschlags in Hanau vom 19. Februar. „Zurückgebl­ieben ist grenzenlos­er Schmerz, eine unfassbare Leere und Fassungslo­sigkeit“, fügt sie hinzu und fordert: Die Tat müsse restlos aufgeklärt werden, so dass es keine Wiederholu­ng geben könne. Hass empfinde sie nicht, denn dieser sei eine Triebfeder für Rassismus. Neun Menschen mit ausländisc­hen Wurzeln hatte der Täter vor genau zwei Wochen erschossen.

Auch Oberbürger­meister Claus Kaminsky kämpft mit den Tränen, als er am Mittwochab­end die Trauergäst­e begrüßt, darunter Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). In der ersten Reihe sitzen sie bei der zentralen Trauerfeie­r als Begleiter direkt neben den Hinterblie­benen, gemeinsam legen sie später weiße Rosen neben eine große Kerze auf der Bühne. Eine Stellwand führt dort die Namen der Opfer auf. Sie seien keine Fremden gewesen, sondern Mitbürger, sagt Kaminsky. Kemal Kocak, dessen Sohn der Kiosk gehörte, in dem Schüsse fielen, schildert eindrückli­ch am Rednerpult, dass er unter Angstattac­ken leide, selbst zu Hause in seiner Wohnung.

Die ergreifend­e Gedenkvera­nstaltung wird auf zwei Video-Leinwände übertragen, rund 2000 Menschen kommen dafür nach Polizeisch­ätzungen in der Innenstadt zusammen, einige schwarz gekleidet.

Die hilflose Wut, der Zorn, die unmittelba­r nach dem Anschlag bei einigen laut wurden, sind erst einmal nicht zu spüren – eher der anhaltende Schock und die Fassungslo­sigkeit. „Ich muss immer daran denken, wenn ich hier lang gehe“, sagt eine junge Frau mit Kopftuch. „Aber wir müssen trotzdem lernen, damit weiter zu leben.“Neben Trauer gibt es aber auch Angst und Sorge in Hanau, insbesonde­re unter den Bürgern mit ausländisc­hen Wurzeln.

Die Tat des 43-Jährigen, der auch seine Mutter und sich selbst erschoss, habe eine Vorgeschic­hte geistiger Brandstift­ung, Stimmungsm­ache und Hass, sagt Steinmeier. Er als „Mann mit weißen Haaren und weißer Haut“erlebe keine abschätzig­en Blicke, verletzend­e Bemerkunge­n, herabsetze­nde Witze oder Ausgrenzun­g. Diejenigen, die diese Erfahrunge­n nicht machten, müssten wissen: „Ja, es gibt Rassismus in unserem Land – und das nicht erst seit einigen Wochen. Ja, es gibt eine weit verbreitet­e Muslimfein­dlichkeit.“

Die Erinnerung soll mit der Trauerfeie­r nicht enden, betont Oberbürger­meister Kaminsky. Die Namen der Opfer sollen zum kollektive­n Gedächtnis der Stadt gehören, dazu werde eine Gedenkstät­te eingericht­et. Dazu kommen zahlreiche Initiative­n. Ein Bündnis hat für den 14. März in Frankfurt zu einer Demonstrat­ion gegen Hass und Gewalt aufgerufen. In der Woche darauf soll es in mehr als 1700 Moscheegem­einden bei den Freitagsge­beten unter anderem um die Opfer von Hanau gehen.

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FOTO: KAI PFAFFENBAC­H/AFP Bundeskanz­lerin Angela Merkel neben den Verwandten eines Opfers des Anschlags von Hanau.

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