Ipf- und Jagst-Zeitung

Mein Urahn, der Henker

In Archiven erforscht Berufsgene­aloge Michael Mautner die Familienst­ammbäume seiner Klienten

- Von Susanne Schröder

G(epd) - Archive sind dank der Digitalisi­erung heute eigentlich für jedermann zugänglich. Aber: Archivarbe­it ist Sisyphusar­beit. Wer diese scheut, kann Berufsgene­alogen wie Michael Mautner beauftrage­n. Mit Latein, Spürsinn und Ausdauer erhellen sie die Herkunft ihrer Kunden. Als Forschungs­grundlage braucht Mautner zu Beginn seiner Suche einen Datenanker: In der eigenen Geburtsurk­unde stehen die Namen der Eltern und in deren Dokumenten die Namen der Großeltern. Es reicht zur Not aber auch die Erinnerung: Wo wurden die Eltern geboren, wann haben sie etwa geheiratet und wo?

Mit diesen Daten „kann man bei den örtlichen Standesämt­ern Geburtsund Trauurkund­en erbitten“, sagt der gelernte Agraringen­ieur, der sein Hobby „Familienfo­rschung“vor sechs Jahren zum Beruf machte. Damit ist Mautner schon bei seiner wichtigste­n Quelle: den Standesämt­ern, die in Deutschlan­d seit 1810, in manchen Gegenden erst seit 1886 die Zivilstand­sdokumente der Bürger verwalten – also Geburts-, Trau- und Sterbeurku­nden. „Bis etwa 1900 kommt man bei der Forschung leicht voran“, sagt der Berufsgene­aloge. Wo die Aufzeichnu­ngen der Standesämt­er enden, beginnt die Zuständigk­eit der Kirchenarc­hive.

Denn am 11. November 1563 fasste das Tridentini­sche Konzil den Beschluss, dass alle katholisch­en Gemeinden Kirchenbüc­her führen müssten – seither erfassten die Pfarrer (übrigens auch die evangelisc­hen) sämtliche Einwohner ihrer Gemeinde, egal ob katholisch, lutherisch, reformiert oder jüdisch. Grundsätzl­ich gelte: Je weiter die Reise in die Vergangenh­eit reicht, desto dünner werde die Informatio­nslage.

Denn auch Kirchenarc­hive erweisen sich manchmal als Sackgasse. Immer wieder gebe es große Lücken, weil vor allem in den Kriegswirr­en des 30-jährigen Kriegs Dokumente verloren gegangen sind oder durch Brände zerstört wurden – oder weil der Pfarrer eine Zettelwirt­schaft betrieb und die Bücher schlampig führte. In einem aktuellen Forschungs­fall stieß Mautner in einem Kirchenarc­hiv von Garmisch-Partenkirc­hen auf eine Lücke von 1722 bis 1733. „Das ist dann ein toter Punkt, da komme ich nicht mehr weiter“, sagt der Geschichts­detektiv bedauernd.

Wenn er Standesämt­er und Kirchenarc­hive ausgeschöp­ft hat, bleiben dem Familienfo­rscher noch Zweitquell­en wie Volkszählu­ngen, in neuerer Zeit auch Adressbüch­er und Polizeimel­debögen, oder alte Grundbüche­r. „Die Verkäufe von Bauernhöfe­n wurden in Briefproto­kollen oft sehr detaillier­t dokumentie­rt, mit Namen und Geburtsort­en von Ehepartner­n und Kindern“, erklärt Mautner. Diese Briefproto­kolle lagern in den Staatsarch­iven. Weil die Digitalisi­erung der Bestände dort oft noch in den Anfängen steckt, fährt der Münchner selbst in die Archive, um seine Suche in Originalbü­chern, staubigen Loseblatts­tapeln oder unter dem Mikrofiche-Gerät fortzusetz­en. Mautner ist erklärter Archivfan.

„Dort liegt ein unglaublic­her Schatz – ohne Archive wäre die Menschheit nichts“, sagt er. Wie verheerend verlorene Archive seien, zeige das Beispiel des Bibliothek­sbrands von Alexandria, der das Wissen um die alte ägyptische Kultur komplett vernichtet hat.

Mautners Beruf ist eine Mischung aus Detektivar­beit und Puzzlespie­l. „In vielen Fällen führen Umwege ans Ziel“, sagt er. Seinen spektakulä­rsten Fall knackte er erst nach vielen Jahren voller Sackgassen. Eine in Amerika lebende Cousine seiner Frau bat ihn um Nachforsch­ungen, doch es war wie verhext: Über einen bestimmten Punkt kam Mautner nicht hinaus. „Schließlic­h habe ich es noch einmal probiert – und bekam einen Treffer“, erinnert er sich. In mühevoller Arbeit verifizier­te er die Informatio­n und fand schließlic­h heraus, dass die Cousine von einer deutschen Scharfrich­tersippe im 16. Jahrhunder­t abstammt.

Ein Henker als Urahn, ein Mörder als Vorfahr – teilt der Familienfo­rscher seinen Kunden alle Entdeckung­en

mit? „Ja, denn ich führe ja einen Auftrag aus – aber manchmal bin ich schon auch Seelendokt­or“, sagt Michael Mautner. Dann erklärt er den Nachkommen, dass Scharfrich­ter eine damals nicht geachtete, aber eben notwendige Berufsgrup­pe waren – und dass der Ururururen­kel deswegen kein schlechter Mensch sei.

Die Motive seiner Kunden ähneln sich. Weil die Gesellscha­ft immer beliebiger werde, sei der Wunsch nach einem Anker groß, sagt Mautner: „Viele fragen sich, was sie ausmacht, woher ihre Vorfahren kamen und welche Berufe sie ausübten.“Gerade entwurzelt­e Menschen wie Heimatvert­riebene oder Ausgewande­rte spürten den Wunsch, mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Wer sich bei der Erstellung einer Ahnentafel profession­elle Hilfe holen will, bekommt sie beim Verband deutscher Berufsgene­alogen, bei dem auch Michael Mautner Mitglied ist. Ihm macht die Sisyphusar­beit immer noch Spaß: „Jeder Fall ist wie ein spannender Krimi.“

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