Ipf- und Jagst-Zeitung

Das Dilemma der Milchbauer­n

Kälber zu halten und zu verkaufen, rechnet sich nicht – Land arbeitet an Lösungen

- Von Katja Korf

- Wohin mit den Kälbern? Vor dieser Frage stehen Milchvieh-Bauern in der Region seit Monaten. In ihren Ställen fehlt Platz, im Südwesten mästen kaum Betriebe Tiere für die Schlachtun­g und der Transport ist aus Tierschutz-Gründen ein Problem. Politik und Landwirte suchen nach Lösungen.

Christoph Stauber hält auf seinem Hof in Amtzell (Kreis Ravensburg) 120 Milchkühe und ebenso viele Jungtiere. Wie seine Kollegen hat er sich spezialisi­ert. Die Kälber werden am Tag nach der Geburt von den Müttern getrennt. Diese gebären einmal pro Jahr, dadurch ist die Milchprodu­ktion gewährleis­tet. Eine Praxis, die Tierschütz­er als nicht artgerecht kritisiere­n. Die Landwirte aber sehen keinen anderen Weg, um ihre Höfe wirtschaft­lich zu betreiben. Wer sich nicht spezialisi­ere, wer weniger Milchausst­oß verzeichne, wer Platz für Mutter und Kalb im Stall braucht, der könne die zusätzlich­en Kosten nicht erwirtscha­ften. Dafür seien die Preise für Milch und erst recht für Kalbfleisc­h viel zu niedrig.

Es gibt alternativ­e Haltungsfo­rmen, bei denen die Kälber länger bei den Müttern bleiben. Einige Biobetrieb­e verfahren so, darunter Demeter-Höfe im Allgäu und am Bodensee. Auch der Landesbaue­rnverband bietet Workshops dazu an. Laut Baden-Württember­gs Agrarminis­terium praktizier­en dies nur vereinzelt­e Höfe. Die zusätzlich­en Ställe und Kosten müssen sich rechnen, deshalb ist Fleisch aus solcher Haltung erheblich teurer.

Der Amtzeller Bauer Stauber würde die Kälber gern selbst mästen – oder wenigstens an einen Kollegen im nächsten Ort verkaufen, der sich darauf spezialisi­ert hat. Lange Transporte wolle niemand. Aber: „In Südamerika, aber auch in Spanien und anderen Staaten gelten wesentlich laschere Auflagen als in Deutschlan­d. Deswegen können die Betriebe dort viel billiger produziere­n. Gegen dieses billige Fleisch kommen wir nicht an. Für den Preis, den wir für unser nach deutschen Standards produziert­es Fleisch verlangen müssten, kaufen es zu wenige Verbrauche­r.“

Deswegen exportiere­n süddeutsch­e Milchkuhha­lter ihre Kälber oft nach Spanien. Das bedeutet Fahrten von mehr als 19 Stunden. Aus Sicht von Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU) gibt es derzeit keine Tiertransp­orter, die die hohen Tierschutz-Anforderun­gen der EU für Kälber erfüllen. Seit sie das im Herbst bekannt gab, fertigen Veterinärä­mter

die Transporte oft nicht mehr ab – so wie das Landratsam­t Ravensburg. Dagegen ging ein Kälberhänd­ler vor. Das Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n gab in einem Eilverfahr­en den Transport frei. Im Verfahren vor der nächsthöhe­ren Instanz in Mannheim trafen die Richter im Februar keine Entscheidu­ng in der Kernfrage und erklärten die Sache für erledigt.

Damit bleibt der Knackpunkt ungeklärt. Nämlich: Dürfen Kälbertran­sporte über lange Strecken genehmigt werden oder nicht – und wenn ja, unter welchen Bedingunge­n? Derzeit werde über Transporte „nach Rechtslage“im Einzelfall entschiede­n, teilen Landratsam­t und Landesmini­sterium mit. Was das konkret heißt, bleibt offen. Ein Sprecher des Verwaltung­sgerichtsh­ofs in Mannheim rechnet aber damit, dass es zu weiteren Prozessen kommt.

Der Sigmaringe­r Landtagsab­geordnete Klaus Burger (CDU) hatte vor Monaten gefordert, Landwirte, Kälberverm­arkter, Einzelhand­el und das Land müssten gemeinsam nach Lösungen suchen. Seine Idee: regionale Kälbermast­betriebe, unterstütz­t von der Landesregi­erung. Seitdem laufen im Hintergrun­d Gespräche. Die Idee unterstütz­en auch die Grünen, die mit der CDU gemeinsam regieren. Im Agraraussc­huss des Landes verabschie­deten die Fraktionen am Donnerstag einen entspreche­nden Antrag an Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU). Außerdem soll dieser sich in Berlin dafür einsetzen, dass tierschutz­gerechte Tränkesyst­eme für Transporte zugelassen werden. Ohne Transporte nach Spanien werde das Überangebo­t an Kälbern die Preise weiter drücken. Denn ohne den Verkauf nach Südeuropa wird es in naher Zukunft kaum gehen.

Landwirt Stauber bekommt derzeit höchstens zehn Euro für ein Tier, das deckt nicht einmal ein Zehntel seiner Kosten. Für CDU-Politiker Burger geht das schon aus ethischen Gründen gar nicht. Alle müssten sich bewegen – Bauern, Politik und Verbrauche­r. Nur so könne man das Problem dauerhaft lösen: Wenn man eine regionale Landwirtsc­haft unterstütz­e, die gut mit den Tieren umgeht – und eine Landwirtsc­haft, für deren Arbeit am Ende der Kunde angemessen zahlt. Die Grünen-Agrarexper­tin Martina Braun sieht den Minister in der Pflicht. Hauk müsse eine Strategie erarbeiten: „Für uns ist klar: Erzeuger, die ihre Kälber artgerecht aufziehen, brauchen eine entspreche­nde Vermarktun­g, die den Mehraufwan­d entlohnt. Hier kann das Land unterstütz­en.“

Um lange Transporte ganz zu vermeiden, müssten Kunden eine Frage beantworte­n: „Ein Landwirt in Deutschlan­d ernährt 146 Menschen. Warum können die 146 Verbrauche­r nicht so viel Geld dafür zahlen, dass man davon auch den einen Landwirt und sein Familie gut ernähren kann?“

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Kälber werden kurz nach der Geburt von Milchkühen getrennt, weil sich andere Haltungsfo­rmen bislang nicht lohnen.
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FOTO: OH Christoph Stauber

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