Warum ich inzwischen Angst habe
Der rassistisch motivierte Anschlag von Hanau schafft Furcht und Unsicherheit – Perspektive eines Deutschen, der einen indischen Vater hat
Vor zwei Wochen wurden in Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln von einem 43-jährigen Deutschen erschossen. Der rassistisch motivierte Anschlag macht Angst. Der Autor hat eine deutsche Mutter, wurde getauft und wird doch immer über den „fremden“Elternteil definiert, seinen indischen Vater. Das Versprechen, nach Hanau für mehr Sicherheit zu sorgen, reicht ihm nicht aus. Der Blick eines Menschen, für den Rassismus in Deutschland keine abstrakte Floskel ist, sondern Alltag.
Es war eine spontane Regung, am Morgen nach dem Anschlag von Hanau, meinen Gefühlen in einem Facebook-Post Ausdruck zu verleihen. Ich hatte kurz nach dem Aufwachen die Nachricht von dem Attentat gelesen. Noch bevor ich Kaffee getrunken hatte und klar denken konnte, teilte ich auf dem sozialen Medium mit, dass niemand ohne Migrationshintergrund sich anmaßen sollte, sich vorzustellen, wie es „uns“heute geht. Also jenen Menschen, die ihr Leben mit der sperrigen Umschreibung „mit Migrationshintergrund“verbringen. Einige zeigten Verständnis. Andere warfen mir Spaltung vor. Sie fühlten in Abrede gestellt, dass auch Menschen ohne Migrationshintergrund genügend Gründe haben, sich vor Rechtsextremen zu fürchten.
Die Annahme, wer äußerlich den Vorstellungen von gewaltbereiten Rassisten genehm ist, der könne sich im Angesicht des rechten Terrors entspannt zurücklehnen, ist natürlich Unsinn. Die beiden Opfer des Anschlags auf die Synagoge von Halle waren weder Juden, noch Muslime. Die lange Liste der Opfer von Rechtsextremisten seit 1990 legen aber nahe, dass Halle nicht die Regel ist. Rechtsextremisten suchen sich Gruppen aus, die für sie „Geschwüre am gesunden Volkskörper“sind. Auf der Liste der weltweit auszumerzenden Nationalitäten, die der mutmaßliche Täter von Hanau der Welt hinterlassen hat, ist diejenige vermerkt, die in der Geburtsurkunde meines Vaters stand. Er kam in Indien zur Welt. Der mutmaßliche Täter formulierte auch das Bestreben, die deutsche Bevölkerung von jenen zu reinigen, die er nicht als „reinrassig“betrachtet. Ich kann mir ausrechnen, wie gering meine Überlebenschance gewesen wäre, hätte ich dem Attentäter gegenübergestanden.
Es mag müßig erscheinen, sich mit dem Gedanken eines wohl psychisch Kranken zu befassen. Das Manifest von Tobias R. klingt so wirr wie die Erklärungen der Attentäter, die 1990 versuchten Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble zu ermorden. Einen Resonanzboden, der den Verfolgungswahn eines Einzelnen nicht zum ersten Mal in diesem Land auf eine Minderheit lenkt, gab es bei diesen beiden Verbrechen allerdings nicht.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier adressierte die Angst „migrantischer“Menschen nach Hanau mit den richtigen Worten. Der CDU-Politiker äußerte Verständnis für die Sorge um die eigene Sicherheit. Er sicherte zu, dass der Staat alles tun werde, damit Migranten und Menschen, die als Migranten erscheinen, ohne sie leben können. Dafür verdient Bouffier Respekt. Aber ein Leben ohne Angst um Leib und Leben zu garantieren, dürfte derzeit nicht nur ein schwer zu erfüllendes Versprechen sein. Es kann für Bürger dieses Landes auch nicht mehr sein als eine Mindestvoraussetzung, ihre Zukunft in diesem Land mit Optimismus zu sehen. Sie verlangen, dass gesellschaftliche Versprechen von Leistungsgerechtigkeit und Chancengleichheit auch für sie ohne Einschränkung gelten.
Der Soziologe Aladin El-Mafaalani geht von der These aus, dass die Konflikte zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Migranten-Communitys ansteigen, weil die dritte Generation sich in ihrem Selbstverständnis längst als deutsch sieht und sich nicht mehr mit einem Platz am Katzentisch der Gesellschaft begnügen will. Sie beruft sich auf die historische Tatsache, dass ihre Eltern und Großeltern ihren Anteil haben am Wiederaufbau Deutschlands. Deutsche mit Migrationshintergrund in der dritten Generation wollen es nicht mehr hinnehmen, dass sie bei Jobbewerbungen besser fahren, wenn diese anonymisiert sind und sie ihre nicht-deutsch klingenden Namen verschweigen können. Sie sind es leid, dass sie beim Kampf um den knappen Wohnraum in Großstädten den längeren Geduldsfaden brauchen. Sie sind müde davon, dass sie sich ein Leben lang erklären müssen. Fragen nach der Herkunft oder der Religiosität werden Menschen in der Regel nicht gestellt, die von der Gesellschaft nach äußeren Merkmalen in die Schublade „deutsch“einsortiert werden. Alle anderen müssen damit leben, dass schon der Sprachgebrauch ihnen mit Begriffen wie „Mensch mit Migrationshintergrund“eine Rolle jenseits der Norm zuweist. Fleißig werden Beschreibungen formuliert, die bei allem Bemühen um politische Korrektheit doch nur umschreiben, dass manche deutscher sind als andere.
All das mag banal klingen angesichts der monströsen Tat von Hanau. Der Alltagsrassismus in Deutschland ist aber der Nährboden, auf dem eine Debatte um mehr oder weniger offene Grenzen nach der Flüchtlingskrise 2015 in der Tonlage verrutschen konnte zu einer von manchen als existenzbedrohend empfundenen Stigmatisierung von Menschen. Die immer hasserfülltere Sprache, mit der Menschen, die mir äußerlich gleichen, zunehmend zum Problem dieses Landes erklärt wurden, hat bei mir zum Nachdenken über meine Privilegierung geführt. Ich habe eine deutsche Mutter und einen muslimischen Vater, wurde aber getauft. Ich wuchs in einer bürgerlichen Familie mit zwei akademisch gebildeten Elternteilen auf. Sie sprachen deutsch miteinander. Meine Eltern vermittelten mir die Codes, die wichtig sind, um in der Bildungsschicht dieses Landes nicht als „fremd“aufzufallen. Ich gehöre soziologisch betrachtet nun zu einem urbanen Milieu, das ein höheres Einkommen hat, in einem Kreativjob arbeitet und seinen Status etwa durch das Erledigen von Einkäufen im Bio-Supermarkt zeigt.
Nur selten treffe ich dort aber jemanden an, der mir äußerlich gleicht. Ich bewege mich privat, wie der „Zeit“-Autor Mohamed Amjahid schreibt, meist „allein unter Weißen“. Nicht lange ist es her, da rollte ich die Augen über anti-rassistische Identitätsdiskurse. Ich vertraute lange darauf, dass Deutschland ein post-modernes Land geworden ist. Dass Identität in Deutschland etwas individuell Formbares geworden ist nach dem Motto „heute bin ich dies und morgen das“. Die vergangenen Jahre ließen mein Seifenblasenbild von unbegrenzten Möglichkeiten der Selbstwahrnehmung platzen.
Die jüngere Vergangenheit hat mich misstrauisch gemacht gegenüber dem Blick der Anderen. Der Journalist Malcolm Ohanwe benutzt den Begriff der „als muslimisch gelesenen Menschen“. In meinem Fall habe ich ein Stück weit das Aussehen, aber nicht den Glauben meines Vaters geerbt. Das Problem ist: Meine Umwelt kann das nicht erkennen.
Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, genau hinzuschauen, was sich jenseits der eigenen Filterblase tut. Der Wunsch, sich durch Abgrenzung von anderen zu definieren, scheint nach der Finanzkrise 2008 weltweit die Kehrseite der Globalisierung geworden zu sein.
Wenn wir von Rassismus reden, können wir ohne Verharmlosung der Verhältnisse in Deutschland von einer globalen Heimsuchung sprechen. Der Terror des IS, der seinen Anhängern empfiehlt, „Ungläubige“mit allen vorhandenen Mitteln zu töten, bildete die erste Verkörperung eines gruppenbezogenen Menschenhasses im 21. Jahrhundert. Auch das ist Faschismus.
Alles in allem sieht es so aus, als müssten wir alle uns damit abfinden, dass irgendeine extremistische Gesinnung uns das Lebensrecht abspricht. Und dass es Menschen gibt, die sich, vielleicht aufgrund psychischer Vorbelastung, immer wieder als williges Werkzeug in den Dienst einer Mordideologie stellen.
Was Menschen mit Migrationshintergrund und ohne in diesem Land vielleicht eint, ist, dass wir in Fragen des politischen Anstands und der Wahrung der menschlichen Würde hohe Maßstäbe an Deutschland legen. Wir wissen, dass Attentate vorkommen und Rechtspopulisten an die Macht kommen können. In anderen europäischen Ländern ist dies bereits geschehen. Aber wir sind so „deutsch“, dass wir das Trauma der Geschichte dieses Landes teilen. Wir verknüpfen unsere Ängste mit Auschwitz als Blaupause dafür, wo Rassismus in Deutschland hingeführt hat. Selbst wenn die ganze Welt den Verstand verlieren sollte – wir erwarten, dass Deutschland es besser macht.