Missbrauchsopfer kritisieren Bischöfe
Kirche bietet Schmerzensgeld von bis zu 50 000 Euro an – Verbände wollen höheren Schadenersatz
- Die katholische Kirche will Missbrauchsopfern „in Anerkennung des erlittenen Leids“ein Schmerzensgeld in Höhe zwischen 5000 und 50 000 Euro pro Fall zahlen, in Härtefällen auch mehr. Im neuen Regelwerk, das die katholischen deutschen Bischöfe zum Abschluss ihrer Frühjahrsvollversammlung am Donnerstag in Mainz vorlegten, orientieren sich die Oberhirten künftig an der geltenden zivilrechtlichen Schmerzensgeld-Tabelle und entsprechenden Gerichtsurteilen. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der Bischöfe, sagte, man wolle dabei aber am „am oberen Ende des Ermessensspielraums“zahlen. Aktuell seien noch Verfahrensfragen zu klären; Zu ersten Auszahlungen könne es voraussichtlich am Jahresende kommen. Opferverbände wie der „Eckige Tisch“kritisierten die Regelung umgehend.
Nach der MHG-Studie zu Missbrauch in der katholischen Kirche wurden von 1946 bis 2014 mindestens 3677 minderjährige Opfer sexueller Gewalt von mindestens 1670 Klerikern.
Die Bistümer hatten nach Bekanntwerden des Missbrauchskandals vor zehn Jahren bisher keine gemeinsame Linie bei Geldleistungen. Etwa 2200 Opfer erhielten Geld, im Schnitt 5000 Euro. Lediglich das Erzbistum Freiburg führte eine Opferrente von bis zu 800 Euro pro Monat ein. Insgesamt kommen auf die katholische Kirche in Deutschland Zahlungen von bis zu 100 Millionen Euro zu. Die Höhe soll fallweise von einer unabhängigen Kommission festgelegt werden.
Mit der Neuregelung bleiben die Bischöfe deutlich hinter einem Vorschlag vom Herbst 2019 zurück, künftig Entschädigungssummen von bis zu 400 000 Euro pro Fall zu zahlen. Diese Summen – insgesamt war von bis zu einer Milliarde Euro die Rede – hätten bei Weitem das übertroffen, was im deutschen Rechtssystem üblich ist, und sie hätten einige ärmere Bistümer und Ordensgemeinschaften vor erhebliche finanzielle Probleme gestellt.
„Das ist eine Unverschämtheit“, sagt Klaus Nadler. Der heute 70-Jährige lebt im oberschwäbischen Weingarten. Der gelernte Zahntechniker war als Jugendlicher jahrelang im Priesterseminar Collegium Borromäum der Erzdiözese Freiburg oder in Zeltlagern sexuell missbraucht worden und musste um Anerkennung und Entschädigung hart kämpfen. Als er am Donnerstag von der „Schwäbischen Zeitung“erfährt, dass er jetzt mit 50 000 Euro rechnen darf, sagt er: „Man fühlt sich immer noch als Bittsteller.“Denn er will für finanzielle Nachteile aus entgangenem Lohn entschädigt werden: „Ich musste mit 48 Jahren meinen Beruf als Zahntechniker aufgeben, konnte nicht mehr arbeiten und lebe jetzt von Sozialhilfe.“
An Fälle wie Nadler denkt auch Matthias Katsch vom Opferverband „Eckiger Tisch“: „Die Kirche in Deutschland ist nicht bereit, für ihre Verbrechen die Verantwortung zu übernehmen und ihren Opfern eine Entschädigung anzubieten“, sagt Katsch am Donnerstag, nachdem er von der Neuregelung gehört hatte. Die Kirche müsse echten Schadensersatz leisten – ausgehend von dem Gedanken, dass viele Opfer aufgrund der seelischen Schäden dauerhaft gehandicapt und zum Beispiel im Beruf weniger erfolgreich seien als Menschen ohne solch eine Vorgeschichte. Katsch fordert als Sprecher des „Eckigen Tischs“indirekt zum Kirchenaustritt
auf. Die jetzige Entscheidung der Bischofskonferenz müsse auch Konsequenzen für Katholikinnen und Katholiken haben, erklärt er. „Wollen sie auch weiterhin eine Kirchenstruktur unterstützen mit ihren Beiträgen, die so offensichtlich am Geld klebt und ihre Opfer missachtet? Wollen sie auch weiterhin für das moralische Versagen ihrer Hirten in Mithaftung genommen werden?“, fragt Katsch.
Zuvor hatte Bischof Ackermann deutlich gemacht, dass die Kirche das, was Hunderte ihrer Priester in den vergangenen 70 Jahren Kindern und Jugendlichen angetan haben, durch eine materielle Leistung wenigstens symbolisch wieder gutmachen will – und das auch dann, wenn aufgrund von Verjährung die Opfer keinen juristischen Anspruch mehr darauf haben. Eine Entschädigung erfordere den Nachweis der Taten, ein Schmerzensgeld dagegen nicht, sagte Ackermann auf Nachfrage. Außerdem werde die Neuregelung von allen Bistümern mitgetragen, sie sei transparent und einheitlich. Die Zahlungen hätten weiter den Vorteil, dass die Opfer das Geld nicht versteuern müssen und dass es nicht mit anderen Leistungen verrechnet wird.
Ob die Zahlungen aus direkten Kirchensteuermitteln oder dem angesparten Vermögen der Diözesen geleistet werden, wird unterschiedlich geregelt. „Letztlich ist es immer das Geld, das uns die Gläubigen gegeben haben“, sagt der Bischof von Essen, Franz-Josef Overbeck, der „Schwäbischen Zeitung“am Donnerstag.