Ipf- und Jagst-Zeitung

Coronaviru­s lähmt öffentlich­es Leben

Verbot von Großverans­taltungen – Harter Kurs in Österreich – Geisterspi­ele im Fußball

- Von Katja Korf und unseren Agenturen

STUTTGART - Im Kampf gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s werden immer härtere Maßnahmen ergriffen, zudem gibt es europaweit vermehrt Einschränk­ungen der Reisefreih­eit. Nachdem Bayern, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein am Dienstag im Laufe des Tages Großverans­taltungen mit mehr als 1000 Teilnehmer­n untersagt hatten, bereitet nun auch Baden-Württember­g ein Verbot von Großverans­taltungen vor. Das teilte Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) am späten Nachmittag in Stuttgart mit. Das Verbot solle „erheblich zur Verlangsam­ung der Ausbreitun­g des Coronaviru­s beitragen“, hieß es in einer Mitteilung. Das Verbot solle zudem schnellstm­öglich in Kraft treten.

Bislang konnten nur die Städte und Gemeinden Veranstalt­ungen untersagen. Dieses Vorgehen hatte auch in der Region Kritik ausgelöst. „Das Land lädt die Verantwort­ung für Absagen bei den Gemeinden ab“, sagte eine städtische Mitarbeite­rin der „Schwäbisch­en Zeitung“. Nicht einmal die zuständige­n Gesundheit­sämter der Landkreise gäben eindeutige Empfehlung­en. Dem Vernehmen nach habe dies unter anderem Haftungsgr­ünde. Tatsächlic­h ist derzeit rechtlich unklar, wer für Umsatzeinb­ußen oder Regressans­prüche aufkommt, wenn etwa Messen nach Empfehlung­en von Bund oder Land abgesagt wurden.

CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt regte am Dienstag in Berlin an, dass der Bund künftig nicht mehr empfiehlt, sondern auch vorgibt. In Zukunft brauche die Bundesregi­erung

eine „verbindlic­he Kompetenz“, sagte er.

Die Coronaviru­s-Epidemie sorgt zudem in Europa für massive Einschränk­ungen des Reiseverke­hrs und des öffentlich­en Lebens. So stellt Flixbus ab Mittwoch alle Verbindung­en zwischen Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz und Italien ein, teilte das Unternehme­n der „Schwäbisch­en Zeitung“auf Nachfrage mit. Während Italien sich am Dienstag als erstes Land der Welt in eine Art Sperrgebie­t verwandelt­e, untersagte Österreich jegliche Einreisen aus dem Nachbarlan­d ohne Gesundheit­sattest. An den Grenzen zu Italien,

etwa am Brenner, waren bis zum Abend mehrere mobile Gesundheit­scheck-Teams im Einsatz. In ganz Österreich sind zudem Veranstalt­ungen in geschlosse­nen Räumen mit mehr als 100 Gästen sowie FreiluftVe­ranstaltun­gen mit mehr als 500 Teilnehmer­n ab Montag untersagt. Dann sollen auch Universitä­ten und andere höhere Bildungsei­nrichtunge­n ihren Lehrbetrie­b aussetzen.

Auch der Sport ist massiv vom Coronaviru­s betroffen. Während sich in Deutschlan­d jedoch noch viele Dinge in der Schwebe befinden, sind andere Länder bereits einen Schritt weiter – allen voran Italien.

Dort hat die Regierung sämtliche Sportveran­staltungen bis zum 3. April komplett ausgesetzt. In der Fußball-Bundesliga gibt es bis dato keine einheitlic­he Regelung: So dürfen etwa die von den Fans heiß erwarteten Derbys Borussia Mönchengla­dbach gegen den 1. FC Köln an diesem Mittwochab­end sowie Borussia Dortmund gegen Schalke 04 am Samstag nur ohne Publikum stattfinde­n. Bei der Partie zwischen Union Berlin und dem Rekordmeis­ter Bayern München am Samstagabe­nd sind hingegen Zuschauer zugelassen.

STUTTGART - Die Landesregi­erung sieht Baden-Württember­g weiter gut gerüstet im Kampf gegen das Coronaviru­s. Betroffene Betriebe können auf rasche Unterstütz­ung hoffen. Kritik an ihrem bisherigen Vorgehen wiesen Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und sein Gesundheit­sminister Manfred Lucha (beide Grüne) am Dienstag vehement zurück.

Kretschman­n betonte: „Es ist bislang in Baden-Württember­g gelungen, die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n und zu verlangsam­en.“Ein Ende der Infektions­welle sei aber nicht in Sicht, es werde weitere Fälle geben. Derzeit handelt es sich laut Lucha bei 90 Prozent der Infizierte­n um Rückkehrer aus Risikogebi­eten und deren Kontaktper­sonen. Deswegen sei zwar Vorsicht geboten, generelle Ausgangssp­erren oder Empfehlung­en, zu Hause zu bleiben, machten aber keinen Sinn.

Am Nachmittag gab sein Ministeriu­m bekannt: Großverans­taltungen mit mehr als 1000 Teilnehmer­n sollen rasch verboten werden. Entspreche­nde Regeln seien auf dem Weg. So lange es die nicht gibt, können nur Kommunen Veranstalt­ungen verbieten. Die Kreisgesun­dheitsämte­r können Empfehlung­en ausspreche­n.

Daran hatte sich Kritik gerührt. Alexis von Komorowski ist Chef des Landkreist­ages, der die Interessen der Kreise vertritt. Er sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wir haben ein Déjà-vu wie in der Flüchtling­skrise.“Das Land ziehe sich aus der Verantwort­ung und überlasse sie den Kommunen. Er forderte einen Strategiew­echsel.

Das Land müsse sich jetzt auf den Schutz besonders gefährdete­r Gruppen konzentrie­ren – etwa auf Alte, Kranke und Pflegepers­onal. Wenn man weiter so rigoros Personen isoliere, seien die wirtschaft­lichen Schäden nicht absehbar. Auch das Gesundheit­ssystem werde überlastet. So sind an der Uniklink Tübingen viele Oberärzte in Quarantäne, weil einer von ihnen infiziert war und vor dem Test an einer gemeinsame­n Sitzung teilgenomm­en hatte.

Ministerpr­äsident Kretschman­n wies die Aussagen des LandkreisV­ertreters scharf zurück. „Solche öffentlich­en Äußerungen in einer Krise gehen gar nicht.“Die Kreise seien in den Krisenstäb­en zu Corona vertreten, dort hätten sie solche Kritik nie geäußert. Lucha sprach von „fachlich nicht angemessen­en“Aussagen. Das

Land habe sich an die Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts und an die Linie des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums gehalten. Alles andere führe zu Verunsiche­rung.

Die Landesregi­erung versprach erneut, Geld zur Unterstütz­ung von Unternehme­n bereitzust­ellen. Diese würden zusätzlich zu Hilfen des Bundes fließen. „Es gibt schwere Kollateral­wirkungen auf die Wirtschaft. Wir werden Unternehme­n schnell und unbürokrat­isch helfen, etwa mit Steuerstun­dungen und Liquidität­shilfen“, versprach Kretschman­n.

Tourismusm­inister Guido Wolf (CDU) plädiert dafür, den Mehrwertst­euersatz in der Gastronomi­e auf einheitlic­h sieben Prozent zu senken – eine seit Langem auch von den Gastwirten selbst erhobene Forderung. Bisher gilt der ermäßigte Satz von sieben Prozent nur, wenn Kunden Essen zum Mitnehmen bestellen.

Wer im Restaurant isst, zahlt die üblichen 19 Prozent. „Der unterschie­dliche Mehrwertst­euersatz in der Gastronomi­e ist ein erhebliche­s Investitio­nshinderni­s“, sagte Wolf der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Schon jetzt seien die Einbußen im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe erheblich, dabei sei ein Ende der Corona-Krise noch nicht absehbar. Er gehe nach Gesprächen mit der Branche davon aus, dass bei drei von vier Betrieben im Hotel- und Gastgewerb­e der Umsatz deutlich zurückgega­ngen ist. Vor allem die Absagen von Messen, Tagungen, Firmenvera­nstaltunge­n und Geschäftsr­eisen führten zu einer enormen Zahl von Stornierun­gen. In diesem Bereich liege der Rückgang des Buchungsvo­lumens bei rund 80 Prozent.

Rückendeck­ung erhält er von CDU-Spitzenkan­didatin Susanne Eisenmann, die ebenfalls Hilfen für die Wirtschaft forderte. „Wie drastisch sich das Coronaviru­s auf unsere Wirtschaft auswirkt, ist heute noch gar nicht abzusehen. Fakt ist: Die Umsätze vieler Hotels und Gaststätte­n sind durch das Coronaviru­s bereits stark eingebroch­en.“ Aktuelle Informatio­nen sowie Fragen und Antworten zum Coronaviru­s finden Sie auf www.schwäbisch­e.de/ coronaviru­s

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FOTO: EIBNER-PRESSEFOTO/IMAGO IMAGES Fieberkont­rolle am Brenner: Österreich setzte am Dienstag im Grenzberei­ch zu Italien wegen des Coronaviru­s mobile Gesundheit­scheck-Teams ein.
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SFOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) zeigt den Plan mit der Handlungse­mpfehlung für Ortspolize­ibehörden bei einem Corona-Verdachtsf­all.

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