Hilfe, die ankommt
Vom Zahnarztstuhl über Schulbusse bis zu Teppichen für die Zelte – In den nordirakischen Camps Mam Rashan, Sheikhan und Bardarash laufen die Projekte der Weihnachtsspendenaktion „Helfen bringt Freude“nach Plan
Khudiada Rasho Rafo Selo kann wieder lachen, kann wieder sprechen, kann sich wieder mit seiner Familie unterhalten: Der 52-jährige Jeside, der nach Flucht und Vertreibung seit 2014 im Flüchtlingscamp Mam Rashan im Nordirak lebt, war an Kehlkopfkrebs erkrankt, konnte nach einer Operation nicht mehr sprechen. Seit einer Woche lernt Selo, sich mit einer elektronischen Sprachhilfe zu verständigen. „Das Gerät hat ein Händler für Medizingeräte gespendet, als er vom Schicksal Selos erfuhr“, sagt Campleiter Shero Smo, „der Händler hat unsere neue Zahnarztpraxis eingerichtet und dann ganz spontan beschlossen, dem Kehlkopf-Patienten zu helfen.“
Smo hat in diesen Tagen viel zu tun: „Die Projekte, die aus der Weihnachtsspendenaktion ,Helfen bringt Freude’ 2019 der ,Schwäbischen Zeitung’ hier in Mam Rashan finanziert werden, setzen wir wie besprochen um.“Aus dem Gesamterlös von 644 071,10 Euro fließt die Hälfte nach Kurdistan. Im „Helfen bringt Freude“-Netzwerk engagieren sich mittlerweile neben der „Schwäbischen Zeitung“die CaritasFlüchtlingshilfe Essen, der Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart, Ehrenamtliche in Kurdistan und der Gouverneur der Provinz Dohuk. Bei einzelnen Projekten sind die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die baden-württembergische Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit als externe Partner dabei. Und seit Neuestem jener Händler für Medizingeräte, der auch Khudiada Rasho Rafo Selo helfen konnte.
Smo berichtet am Telefon und über WhatsApp sehr konkret, wo und wie die Hilfe ankommt. In den vergangenen Wochen ist in der Gesundheitsstation des Camps für die 12 000 Bewohner die schon erwähnte Zahnarztpraxis eingerichtet worden: „Wir müssen uns einfach darauf einrichten, dass die Jesiden dauerhaft nicht in ihre Heimat, das Shingal-Gebirge, zurückkehren können“, sagt Smo, „dort kämpfen immer noch iranische Milizen, die irakische Armee, türkische Streitkräfte und die Peschmerga, also die bewaffneten Einheiten Kurdistans.“Wie in einer kleinen Stadt sind in den vergangenen Jahren zwei Schulen, Ladenzeilen, ein Begegnungszentrum und ein Fußballplatz entstanden. „Dass jetzt auch für die Zahngesundheit gesorgt werden kann, ist wunderbar“, bedankt sich Smo, „die Zahnärzte, die Helferinnen und das Material werden von der kurdischen Autonomiebehörde bezahlt.“
Nach einem langen Winter, der erstmals seit vielen Jahren wieder Schnee und Eis mit sich brachte, sind in Mam Rashan die Vorbereitungen für zwei weitere Projekte angelaufen. Smo erklärt: „Wir bauen in den nächsten Wochen einen Volleyballplatz und dann, speziell für die Frauen, einen kleinen Park.“Gerade die Frauen, die sich oft um kinderreiche Familien kümmern müssen, brauchen nach Smos Worten Zuwendung: „Die Männer verdingen sich als Tagelöhner, kommen aus dem Camp raus“, sagt er, „aber die Frauen haben kaum soziale Kontakte, ihnen fällt die Decke auf den Kopf.“In dem kleinen Park können sie sich treffen, plaudern, die Sorgen eine Weile vergessen.
Den Kopf frei bekommen: Auf dem Fußballplatz, einem „Helfen bringt Freude“-Projekt aus dem Jahr 2017, wechseln sich Dutzende Teams ab. Jungen und Mädchen, junge Männer und junge Frauen wollen dem grauen Alltag entfliehen. Hier setzt im Sinne des Netzwerks Mareike Broermann an, die für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Irak und Jordanien das Projekt „Sport für Entwicklung“leitet. Sie spricht von „idealen Voraussetzungen, um aktiv zu werden“. Broermann beschreibt es so: „Das Projekt bildet hauptsächlich Sozialarbeiter, Lehrer oder Trainer darin aus, in Sport mehr zu sehen, als körperliche Fitness.“In Mam Rashan will Broermann 17 Teamleader bestehender Fußballmannschaften sowie die Sportlehrer der Camp-Schulen zu einem Lehrgang einladen. Das Ziel: „Im ersten Teil der Ausbildung lernen die Teamleader und Sportlehrer, wie sie ein qualitativ hochwertiges Fußballtraining gestalten und dabei Kompetenzen wie Fairness, Respekt, Teamwork, Selbstvertrauen und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft integrieren.“
Das zweite Ziel: Der „Schwabenpokal“, den die „Schwäbische Zeitung“gestiftet hat. Broermann erklärt: „Im Hinblick auf den Schwabenpokal werden die jungen Frauen und Männer zudem lernen, dass der Sieg des Pokals das Ziel eines jeden Turniers ist, Fairplay aber im Vordergrund stehen soll und der gesunde Umgang mit Frustration und Verlust zu persönlicher Stärke führen kann.
Freilich muss das für März geplante Turnier um den Schwabenpokal ausfallen, er wird später im Jahr nachgeholt: „Eine reine Vorsichtsmaßnahme wegen des Coronavirus“, erklärt Campleiter Shero Smo, „hier im Camp müssen wir angesichts der Enge besonders aufpassen, dass nichts passiert.“
Auch bleiben die Schulbusse, die angeschafft wurden, vorerst in der Garage: Denn die Schulen bleiben bis Ende März geschlossen, auch die Feiern zum kurdischen Neujahrsfest Newroz sind abgesagt.
Die Vorsicht ist begründet. Zwar ist bisher die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten in Kurdistan übersichtlich, sieben
Patienten wurden registriert, ein 70-Jähriger starb an den Folgen der Erkrankung. Etwa 3000 Menschen stehen unter Quarantäne. Im Zentralirak aber ist die Situation dramatischer: Die irakischen Behörden haben bisher 31 Coronavirus-Fälle gemeldet, dort starben bislang sechs Menschen. Größere Veranstaltungen wurden abgesagt. Der Irak pflegt enge Beziehungen zum benachbarten Iran, der von dem Sars-CoV-2 genannten Virus stark betroffen ist. Daher haben der Irak, die Türkei und Afghanistan vorübergehend die Grenzen zum Iran geschlossen, der Flugverkehr wurde eingeschränkt.
Aus dem benachbarten Camp Sheikhan, in dem knapp 5000 Jesiden leben, berichtet Thomas Shairzid, Irak-Beauftragter der CaritasFlüchtlingshilfe Essen, die als Partner der „Schwäbischen Zeitung“und mit Ehrenamtlichen in Kurdistan die Umsetzung vorantreibt. Shairzid war vor einigen Tagen vor Ort und schildert der „Schwäbischen Zeitung“seine Eindrücke:
„Auf der Baustelle der künftigen Bäckerei, die zwölf Frauen Arbeit bieten wird, ist in den vergangenen Wochen der Rohbau entstanden, der Backofen, die Einrichtung der Backstube und die Verkaufstheke folgen.“Shairzid betont: „Auch hier stehen Frauen im Mittelpunkt, mit der Bäckerei stärken wir auch hier ganz gezielt Frauen, die aus der IS-Gefangenschaft zurückgekehrt sind!“Sie werden Brot, Gebäck und Süßwaren sowohl im Camp als auch auf dem Basar der Kleinstadt Sheikhan verkaufen.
Wenige Meter weiter bereitet Khalaf Faruk sein Gewächshaus für die anstehende Pflanzzeit vor. Mit einer Motorhacke lockert er den Boden auf. Der 38-Jährige will mit Gurken, Paprika und Okraschoten den Lebensunterhalt für seine Familie sichern: „Und auf lange Sicht will ich in meine Heimat im Shingal-Gebirge zurück, daher spare ich jetzt jeden Dinar für den Wiederaufbau meines Hauses!“
Ein weiterer Ortswechsel, über den Shairzid berichtet: Im Camp Bardarash, für das erstmals bei „Helfen bringt Freude“um Spenden gebeten wurde, leben derzeit etwa 10 000 syrische Kurden, die nach der Invasion der Türkei in den Norden Syriens in den Nordirak geflohen waren. Nach den jüngsten Zahlen der kurdischen Autonomiebehörde sind in Kurdistan insgesamt 243 000 syrische Flüchtlinge angekommen. Jährlich werde fast eine Milliarde USDollar benötigt, um die Hilfe für die syrischen Flüchtlinge und zusätzlich für über eine Million Flüchtlinge und Binnenvertriebene in der Region Kurdistan aufrechtzuerhalten. Ein Sprecher der Flüchtlinge sagte der „Irish Times“: „Wenn es eine Chance gäbe, in unser altes Leben zurückzukehren, würden wir morgen zurückkehren. Aber wir haben unser Haus verloren. Wo sollen wir leben?“Eine Frage, auf die niemand eine Antwort weiß. Aufgeben will aber niemand: „Daher haben wir uns entschlossen, wenigstens als Zeichen der Solidarität im Camp Bardarash 300 Teppiche an Familien auszugeben, die bei Minusgraden in Zelten wohnen müssen, viele Kinder haben zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen“, sagt Thomas Shairzid von der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, „unsere Hoffnung ist jetzt der Frühlingsanfang.“ Ein Video zeigt, wie dem Kehlkopfkrebs-Patienten Khudiada Rasho Rafo Selo geholfen werden konnte: www.schwäbische.de/selo
„Wir müssen uns darauf einrichten, dass die Jesiden dauerhaft nicht in ihre Heimat, das Shingal-Gebirge, zurückkehren können.“Shero Smo, Leiter im Camp Mam Rashan