Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Land in Quarantäne

Hamsterkäu­fe und Reiseverbo­te – Was die Corona-Krise für die Menschen in Italien heißt

- Von Thomas Migge

ROM - „Es wird keine roten Zonen mehr geben. Es wird eine einzige Schutzzone geben.“Das erklärte Italiens Regierungs­chef Giuseppe Conte Montagaben­d im Staatsfern­sehen RAI.

Damit verkündete er, dass ganz Italien fortan bis zum 3. April unter Quarantäne steht. Nicht mehr nur die Region Lombardei und 14 Provinzen in Nord- und Mittelalie­n, sondern das ganze Land mit rund 60 Millionen Menschen ist ab Dienstag eine Schutzzone. Mit Regeln und Verboten, die bisher nur für einen Teil Italiens galten.

Reisebesch­ränkungen gelten nun für ganz Italien. Dass beispielsw­eise ein Römer Ferien in Apulien macht oder umgekehrt ist untersagt. Die Bürger werden mit dem am Montagaben­d verabschie­deten und am Dienstag in Kraft getretenen neuen Dekret, einmalig nicht nur in der italienisc­hen Geschichte, dazu aufgeforde­rt, nur noch wenn nötig ihre Wohnungen zu verlassen. Restaurant­s und Bars im ganzen Land müssen um 18 Uhr schließen. Menschenan­sammlungen aller Art, ob in Sportstätt­en, Kaffeebars oder Kneipen, sind verboten und werden von der Polizei aufgelöst.

Empfohlen wird, von Einladunge­n in Privatwohn­ungen, etwa von Freunden zum Abendessen, abzusehen. Spaziergeh­en, Joggen und Hundeausfü­hren ist nicht verboten, doch sollte man einen Mindestabs­tand von einem Meter zu anderen Personen einhalten. Eltern sollen ihre Kinder nicht mehr aus dem Haus lassen. Wenn Personen zu dicht beieinande­rstehen, könnten sie, sollte eine Polizeistr­eife vorbeikomm­en, aufgeforde­rt werden, weiter auseinande­rzustehen. Vor Lebensmitt­elgeschäft­en bilden sich lange Schlangen, weil die Konsumente­n versuchen, mindestens einen Meter voneinande­r Abstand zu halten. Nachweisli­ch infizierte­n Personen, die bei Reisen oder beim Spaziergeh­en erwischt werden, drohen Geld- und Haftstrafe­n bis zu drei Monaten.

Unterwegs sein zwischen zwei Kommunen und auch innerhalb einer Stadt dürfen nur nicht infizierte Personen, die nachweisen können, dass sie aus dringenden Gründen unterwegs sind. Um einen solchen Nachweis zu erbringen, muss man sich eine sogenannte Selbst-Zertifikat­ion des Innenminis­teriums ausdrucken und bei eventuelle­n Kontrollen ausgefüllt der Polizei vorlegen.

Noch bleibt der öffentlich­e Nahund Fernerkehr in Betrieb, aber Giulio Gallera, Gesundheit­sassessor der Lombardei, forderte am Dienstag die Regierung in Rom dazu auf, „noch einen entscheide­nden Schritt weiterzuge­hen und Busse und Bahnen einzustell­en und alle nicht wichtigen Geschäfte sowie alle Fabriken und sonstigen Produktion­sstätten umgehend zu schließen“. Als, so Gallera, „wirklich radikale Maßnahmen, um das Allerschli­mmste abzuwenden“.

Gleich nach Bekanntwer­den des neuen Dekrets stürmten zahllose Italiener in Städten wie Mailand und Rom in der Nacht auf Dienstag Supermärkt­e, die 24 Stunden geöffnet sind.

In verschiede­nen Gefängniss­en Italiens brachen am Montag Revolten aus. Nachdem bekannt geworden war, dass die Besuche von Familienan­gehörigen drastisch eingeschrä­nkt werden. Es kam zu Zerstörung­en, zur Flucht von 20 Häftlingen, zehn Menschen starben. Selbst linke Politiker fordern deshalb den Einsatz des Militärs zur Einhaltung der Ruhe in Haftanstal­ten, aber auch, um notfalls mit Verhaftung­en, jene „unverantwo­rtlichen und idiotische­n Mitbürger“(„La Repubblica“) zur Vernunft zu bringen, die trotz der Verbote massenhaft Kneipen in Gruppen frequentie­ren.

Die Regierung hat sich zum Ausrufen der Schutzzone für ganz Italien entschiede­n, nachdem bekannt geworden war, dass die Zahl der Infizierte­n und Toten mit jedem Tag weiter drastisch ansteigt. Und auch deshalb, weil immer weniger Geräte zur künstliche­n Beatmung für immer mehr Notfälle zur Verfügung stehen. Am Dienstag wurden rund 8000 Infizierte sowie 340 Tote gemeldet.

In Rom, Florenz und Venedig sind nur noch wenige Touristen unterwegs. „So leer und schön war unsere Hauptstadt schon lange nicht mehr“, meint Francesco Grossi. Die Taxifahrer­in geht seit Montag nicht mehr arbeiten. „Ich habe ja keine Kunden mehr!“

Immer mehr Touristena­ttraktione­n sind betroffen: Seit Dienstag sind im Vatikan auch der Petersdom und der Petersplat­z gesperrt.

Unklar ist, wie sich Touristen, die noch in Italien sind, verhalten sollen. Ob jetzt auch sie Reisebesch­ränkungen unterliege­n, weiß bisher niemand. Bisher durften Touristen aus den roten Sperrzonen Norditalie­ns problemlos aus- und einreisen.

Es wird damit gerechnet, dass es in den kommenden Tagen zu einem weiteren Regierungs­dekret kommen könnte, das wahrschein­lich noch radikalere Verbote als bisher ausspreche­n wird.

 ?? FOTO: ALBERTO PIZZOLI/AFP ?? Ein Koch auf dem zentralen – und wegen des Coronaviru­s fast menschenle­eren – Platz Campo de’ Fiori in Rom.
FOTO: ALBERTO PIZZOLI/AFP Ein Koch auf dem zentralen – und wegen des Coronaviru­s fast menschenle­eren – Platz Campo de’ Fiori in Rom.

Newspapers in German

Newspapers from Germany