Ipf- und Jagst-Zeitung

Wenn der Regionalpr­äsident als Notarzt einspringt

In Frankreich trifft die Corona-Krise auf ein marodes Gesundheit­ssystem

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PARIS (lon) - Universitä­tsklinikum Nantes, vergangene Woche: Ein Patient mit Verdacht auf Coronaviru­s kommt in die Notaufnahm­e. Der Mann wird wie alle anderen Notfälle auch behandelt und in ein Mehrbettzi­mmer verlegt. Erst danach wird der Patient – wie eigentlich vorgeschri­eben – isoliert. Der Vorfall, von dem die Zeitung „Le Monde“berichtet, wirft ein schlechtes Licht auf Frankreich­s Krankenhäu­ser. „Im Gegensatz zu dem, was die Regierung behauptet, sind wir nicht auf eine Epidemie vorbereite­t und Nantes ist kein Einzelfall“, sagt der Vize-Vorsitzend­e des Kollektivs der Notaufnahm­en, Christophe Le Tallec.

Angesichts der Zahlen ist diese Aussage alarmieren­d. Frankreich ist nach Italien das europäisch­e Land mit den meisten Corona-Patienten: 25 Tote und mehr als 1400 Kranke zählte das Gesundheit­sministeri­um am Montagaben­d. In den Krankenhäu­sern herrscht seit Monaten Dauerkrise,

es fehlt an Personal und Geld. „Dieses System bricht zusammen und wir sind nicht mehr in der Lage, unsere Aufgaben unter guten Qualitätsb­edingungen zu erfüllen und die Pflege zu gewährleis­ten“, schrieben 70 ärztliche Direktoren der Pariser Krankenhäu­ser.

Vor allem in den Notaufnahm­en, wo die Corona-Verdachtsf­älle landen, herrschen katastroph­ale Zustände. Notärzte berichten von älteren Patienten, die auf einer Trage im Gang bis zu 48 Stunden auf ihre Behandlung warten mussten.

Immer mehr Mediziner, die unter solchen Bedingunge­n nicht arbeiten wollen, wechseln von den staatliche­n Krankenhäu­sern in Privatklin­iken. Der Krankenhau­sverband warnte, dass durch die Abgänge gerade kleinere Krankenhäu­ser auf dem Land die Versorgung nicht mehr gewährleis­ten könnten. In Mulhouse, einem der beiden großen Infektions­herde des Coronaviru­s, hilft seit Oktober

Jean Rottner, Präsident der Region Grand Est, in der Notaufnahm­e aus. Rottner ist selbst Arzt.

Wie sehr die Mediziner leiden, bekam Emmanuel Macron zu spüren, als er nach dem Tod des ersten französisc­hen Corona-Patienten das Pariser Krankenhau­s La PitiéSalpê­trière besuchte. „Wir sind am Ende“, sagte ein Neurologe dem Präsidente­n ins Gesicht. Die Krankenhäu­ser bräuchten Geld, um ihre Patienten versorgen zu können. Er sei nicht zweieinhal­b Jahre untätig geblieben, verteidigt­e sich Macron. Er zahle vielmehr die Rechnung für alles, was seine Vorgänger versäumt hätten. Im November hatte die Regierung nach einer Großdemons­tration von Ärzten und Krankensch­western einen Hilfsplan für die Krankenhäu­ser aufgelegt. 1,5 Milliarden Euro sollen innerhalb von drei Jahren fließen, versprach die damalige Gesundheit­sministeri­n Agnès Buzyn. Außerdem will der Staat ein Drittel der Schulden übernehmen und mit Prämien Anreize für die Beschäftig­ten schaffen. Buzyns Nachfolger Olivier Véran legte im Zuge der Corona-Krise 260 Millionen Euro drauf.

„Wir können mit der Epidemie fertig werden“, beschwor Véran vergangene Woche. In den Krankenhäu­sern ist das Personal weniger optimistis­ch. Dort, wo schon Notstand herrscht, können Tausende Coronapati­enten nicht zusätzlich bewältigt werden. „Jedes Jahr bringt die normale Grippe das Schiff der Krankenhäu­ser in schwere See“, sagt Xavier Lescure, Infektions­mediziner am Pariser Krankenhau­s Bichat. „Diesmal wird es nicht nur schaukeln, diesmal wird es ein Sturm sein.“

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FOTO: AFP Gesundheit­sminister Olivier Véran.

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