Ipf- und Jagst-Zeitung

Nur noch kurz die Welt retten

Das Stuttgarte­r Europa Ensemble zeigt in „The Clickworke­rs“die schöne neue Arbeitswel­t

- Von Jürgen Berger

GSTUTTGART - Das Schauspiel des Staatsthea­ters Stuttgart hat Ernst gemacht und zusammen mit dem Nowy Teatr in Warschau, Zagreb Youth Theatre und Nationalth­eater Athen ein Europa Ensemble gegründet. Man entwickelt gemeinsam europäisch­es Theater. Am vergangene­n Wochenende gab es in Stuttgart nun eine furiose Uraufführu­ng zu der Frage, wie die zukünftige Arbeitswel­t aussehen könnte. Sechs Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er aus Kroatien, Bosnien, Polen und Deutschlan­d stehen als Clickworke­r auf der Bühne und führen vor, wie das ist, wenn eine Arbeitskra­ft sich nur noch am Computer verausgabt.

Ganz im Innersten, also dort wo die Welt und wir Menschen vielleicht ja doch noch zusammenge­halten werden, geht es um den derzeit so inflationä­r gebrauchte­n Begriff der Authentizi­tät und natürlich auch um den Begriff der Arbeit. Das mit der Authentizi­tät ist ein Verspreche­n und besagt, dass alles gut wird, wenn du nur immer ganz ehrlich du selbst sein willst. Das mit der Arbeit versteht sich eh von selbst: Der Mensch muss irgendwie Geld verdienen; Arbeit ist aber auch unerlässli­ch für das Selbstwert­gefühl.

Die Stuttgarte­r Clickworke­r würden das doppelt unterstrei­chen und sogar noch einen Schritt weiter gehen. Bei ihnen soll alles moralisch absolut sauber ablaufen. Der einzige

Mensch, auf den ein mit dem Mausclick arbeitende­r PC-Netzwerker keine Rücksicht nimmt, ist er selbst.

Im Prinzip kann er arbeiten, bis er tot vom Stuhl fällt, der PC flackert weiter. Das ist das eigentlich­e Thema der bosnischen Regisseuri­n Selma

Spahic und des Autors Dino Pešut: die entgrenzte Selbstausb­eutung unter dem Diktat der politische­n Korrekthei­t.

Spahic und Pešut präsentier­en uns nicht Menschen alleine daheim am Bildschirm. „The Clickworke­rs“ spielt an einem jener Arbeitsplä­tze, an denen Menschen angeblich völlig selbstbest­immt in Gruppen werkeln, es keine Hierarchie­n mehr geben soll und man sich derart neidlos gegenseiti­g hilft, dass das fast schon unmenschli­ch ist. Ob sowas tatsächlic­h funktionie­ren kann, wird wie in einer Versuchsan­ordnung mit ganz unterschie­dlichen Temperamen­ten durchgespi­elt.

Tenzin Kolsch (Deutschlan­d) ist ein eher entspannte­r PC-Akteur, Adrian Pezdirc (Kroatien) dagegen ein sensibler Schlacks, der mit einer Zimmerplan­ze die guten Schwingung­en des Tages teilt. Jasmina Polak (Polen) spielt eine eiserne Lady, die sich überall durchbeiss­t, während Andela Ramljak (Bosnien) unter dem brutalen Dauerstres­s wohl zusammenbr­echen wird. Ein Arbeitspar­adies ist das nicht wirklich, schließlic­h ist da auch noch Claudia Korneev (Deutschlan­d) und spielt eine jener Chefinnen, die sich ganz kollegial geben, aber immer das Gefühl vermitteln, sowieso am längeren Hebel zu sitzen.

Um ins Zentrum der aktuellen Authentizi­tätsdebatt­e zielen zu können, arbeiten die Stuttgarte­r Selbstausb­euter für einen großen Konzern, verkaufen T-Shirts und retten mit dem Erlös Rehe. Anders gesagt: Die Live-Work-Balance ist dann optimal, wenn der einzelne Clickworke­r mit seiner Arbeitskra­ft Schindlude­r treibt und möglichst viel für die Umwelt tut. Hinzu kommt: Jeder muss absolut glaubwürdi­g wirken, tut er das nicht, wird er mit allergrößt­em Mitgefühl gemobbt.

Selma Spahic inszeniert diesen Arbeitspla­tz der globalisie­rten Moderne, als würden Finanzjong­leure der Deutschen Bank in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Wertpapier­e an möglichst ahnungslos­e Kunden verkaufen, dabei aber wie Mutter Teresa aus der Wäsche gucken. Einem Online-Broker kann man ja immer unterstell­en, es sei ihm völlig egal, dass er zum Zwecke der Selbstbere­icherung mit dem Geld anderer zockt. Bei den Stuttgarte­r Netzwerker­n fällt das nicht so leicht, sollte man doch davon ausgehen, dass sie bis in die letzte Faser ihres Daseins davon beseelt sind, die Welt zu retten. Spahic inszeniert aber eine derart ironisch überzeichn­etes „Wir sind ja alle so lieb und korrekt“, das man das Gefühl nicht los wird, das alles sei eine einzige Lüge.

Nicht gelogen ist dagegen, dass dem Europa Ensemble mit seiner neuesten Arbeit ein bemerkensw­ertes Stück Theater gelungen ist. Gespielt wird übrigens in englischer Sprache mit Übertitelu­ng – aber nicht um verzweifel­te Brexiteers zurück aufs europäisch­e Festland zu locken, sondern weil internatio­nales Theater nur so funktionie­ren kann. Weitere Vorstellun­gen am 11. und 12. März. Karten unter:

www.staatsthea­ter-stuttgart.de

 ?? FOTO: BJÖRN KLEIN ?? Alles andere als ein Arbeitspar­adies: Die PC-Netzwerker Andela Ramljak (Bosnien), Adrian Pezdirc (Kroatien) und Jasmina Polak (Polen) arbeiten im Stück „The Clickworke­rs“bis zum Umfallen.
FOTO: BJÖRN KLEIN Alles andere als ein Arbeitspar­adies: Die PC-Netzwerker Andela Ramljak (Bosnien), Adrian Pezdirc (Kroatien) und Jasmina Polak (Polen) arbeiten im Stück „The Clickworke­rs“bis zum Umfallen.

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