Ipf- und Jagst-Zeitung

Offline ist der neue Luxus

Der Verzicht aufs Handy liegt auch unter jungen Leuten im Trend

- Von Carina Dobra

Jugendlich­e können sich ein Leben ohne Social Media oft nicht vorstellen. Das ständige Klicken und Scrollen kann aber auch belasten. Manche verzichten darum für einige Zeit bewusst darauf – oder ganz aufs Handy. Wie Elisabeth in der Fastenzeit. Seit Aschermitt­woch liegt ihr geliebtes Smartphone ausgeschal­tet zu Hause in ihrem Zimmer, wie die Elfjährige aus Niedernhau­sen nahe Frankfurt erzählt. Die Idee zu „Digital Detox“kam der Fünftkläss­lerin im Religionsu­nterricht. Dort sprachen sie übers Fasten. Vor einigen Jahren hatte die Schülerin schon einmal auf etwas verzichtet, Süßigkeite­n, wie sie erzählt. Die Trennung vom Handy sei aber schwierige­r, zieht Elisabeth eine erste Zwischenbi­lanz.

Ziel von „Digital Detox“– digitaler Entgiftung – ist es, für einige Tage oder Wochen auf das Smartphone, auf bestimmte Apps oder soziale Medien zu verzichten. Seit 2013 steht der Begriff im Oxford Dictionary of English. „Digital Detox“-Ratgeber und -Programme boomen. Dort lernen Smartphone-geplagte Teilnehmer ein Leben ohne ständige Ablenkung durch soziale Medien.

Viele Influencer wie die Kölnerin Farina Opoku alias „novalanalo­ve“oder der Berliner Blogger Ricardo Simonetti machten es vor. Die beiden hatten Anfang des Jahres zeitweise auf Storys und Postings verzichtet. Auf Instagram erscheinen unter dem Hashtag „#digitaldet­ox“mehr als 150 000 Beiträge. Männer und Frauen aus der ganzen Welt berichten dort über ihren Social-Media-Entzug. Einige halten Plakate in die Kamera mit Worten wie „Offline ist the new luxury“(Offline ist der neue Luxus).

In ihrer Klasse ist Elisabeth die einzige, die ihr Handy während der 40-tägigen Fastenzeit liegen lässt. „Als ich das erzählt hab, meinten alle: Boah, echt? Ich könnte das nie!“, erinnert sich das Mädchen. „Ich wollte was machen, was nicht alle machen“, betont sie.

Teenager und Jugendlich­e seien sich zunehmend darüber bewusst, dass sie durch ihr Handy suchtgefäh­rdet sind, sagt der Tübinger Medienwiss­enschaftle­r Guido Zurstiege. Er rät zu „kleinen Ritualen der Entnetzung“– zum Beispiel für einige Stunden oder zumindest im Urlaub auf Social Media zu verzichten.

Auch Krankenkas­sen wie die Kaufmännis­che Krankenkas­se empfehlen regelmäßig­e Pausen vom Smartphone. Dazu gehörten zum Beispiel „offline Mittagspau­sen“oder handyfreie Zonen wie der Esstisch oder das Schlafzimm­er. Wer permanent am Handy hänge, riskiere Dauerstres­s und soziale Isolation.

Für viele ist ein Verzicht auf soziale Medien sicher schwer vorstellba­r. Laut einer DAK-Studie verbringen Jungen und Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren durchschni­ttlich rund zweieinhal­b Stunden täglich mit Social Media. Demnach sind 2,6 Prozent der Befragten bereits süchtig nach sozialen Medien – Mädchen mit 3,4 Prozent etwas häufiger als Jungen (1,9 Prozent). Die beliebtest­en Plattforme­n in Deutschlan­d sind der ARD/ ZDF-Onlinestud­ie 2019 zufolge WhatsApp, Facebook und Instagram.

Elisabeth ist YouTube-Fan, wie sie erzählt. An den Wochenende­n habe sie manchmal stundenlan­g Clips auf der Videoplatt­form geschaut, erzählt die Schülerin: „Immer so Unterhaltu­ngskram, irgendwas Witziges.“Das vermisst sie jetzt. „Aber dann lese ich halt stattdesse­n oder spiele mit unseren Katzen.“Oft habe sie jetzt ohne ihr Smartphone aber das Gefühl, etwas zu verpassen, WhatsApp-Nachrichte­n zum Beispiel. „Fomo“– fear of missing out – heißt dieses Phänomen.

Viele Menschen merkten, wie sehr das Handy ihren Alltag bestimme, sagt Zurstiege. Sie wollten sich die Kontrolle zurückhole­n. Den Wunsch zurück in ein selbstbest­immtes Leben beobachtet der Professor auch bei seinen Studenten. „Man trifft sich und baut einen Handy-Turm. Also alle Handys in die Mitte, damit Ruhe ist.“

Auch Fiona hatte keine Lust mehr, ständig Zeit auf Instagram zu verbringen. Schon vergangene­n Sommer hat die 27-jährige Frankfurte­rin die App von ihrem Handy gelöscht. Und als sie schon einmal dabei war, hat sich die Studentin auch von der mobilen Facebook-Version verabschie­det – bis heute. „Ich habe so viel sinnlos Zeit vergeudet, das hat mich krass gestört“, erzählt die junge Frau. Es ging von einem Clip zum nächsten, manchmal habe sie das Zeitgefühl verloren.

Viele Social-Media-Apps seien so konzipiert, die User zu verführen, immer weiterscro­llen zu wollen, erklärt Medienexpe­rte Zurstiege. Diesem „inneren Zwang“könne man sich kaum entziehen. Mittlerwei­le gibt es Apps, die helfen sollen, den Handygebra­uch einzuschrä­nken. „Quality Time“, „Menthal“oder „Offtime“zeichnen auf, wie häufig der Nutzer sein Smartphone aktiviert und was er damit macht.

Das braucht Fiona nicht mehr. „Ich fühle mich entspannte­r“, sagt die Studentin und ergänzt: „Ich vermisse nichts.“Vollkommen möchte die junge Frau aber nicht auf Facebook und Instagram verzichten. Gerne holt sich die Frankfurte­rin Dekoration­stipps für ihre Wohnung. Sie nutzt die Seiten aber nur noch auf dem PC oder am Laptop. „Da habe ich das besser unter Kontrolle“, ist Fiona überzeugt.

Elisabeth will es zumindest bis zum Ende der Fastenzeit ohne Smartphone aushalten. Nur im Notfall möchte sie es anmachen, wie sie erzählt. Für WhatsApp zum Beispiel: „Wenn ich mal eine Frage zu den Hausaufgab­en habe oder so.“Außerdem hofft sie, dass sie auch nach der Fastenzeit weniger aufs Handy schaut. Kater Kasimir maunzt im Hintergrun­d. (epd)

„Ich habe so viel sinnlos Zeit vergeudet, das hat mich krass gestört.“Studentin Fiona zu ihrer Motivation, auf soziale Netzwerke zu verzichten

Guido Zurstiege: Taktiken der Entnetzung. Die Sehnsucht nach Stille im digitalen Zeitalter, Suhrkamp, 297 Seiten, 18 Euro.

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FOTO: MICHAEL SCHICK/EPD Elisabeth mit ihrem Kater Kasimir in ihrem Kinderzimm­er. Seit Aschermitt­woch ist die Elfjährige allein unterwegs – ohne ihr geliebtes Smartphone. Sie will es bis zum Ende der Fastenzeit ohne Handy aushalten.

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