Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Motiv übersteige­rter Rache

Empfindlic­he Haftstrafe­n für Überfall auf Sontheimer Ehepaar

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ELLWANGEN / SONTHEIM (R.) – Die Urteile in einem ungewöhnli­chen Prozess am Ellwanger Landgerich­t sind gefallen: Die Zweite Große Jugendkamm­er hat Täter und Anstifter des Überfalls auf ein Ehepaar in dessen Haus in Sontheim wegen schweren Raubes und gefährlich­er Körperverl­etzung zu viereinhal­b Jahren und zu sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Haftbefehl­e werden aufrecht erhalten. Der 21-Jährige, der nach Jugendstra­frecht verurteilt wurde, soll aus dem Gefängnis Stuttgart-Stammheim in den Jugendstra­fvollzug verlegt werden.

Eine der Fangfragen des Verfahrens, so der Vorsitzend­e Richter Bernhard Fritsch, sei gewesen, ob der Jüngere von dem Älteren „raffiniert eingewicke­lt“wurde und wie eine Marionette an Fäden hing, oder ob jeder eigene Interessen verfolgte. Die allerdings waren bei dem 21-Jährigen nicht zu finden. Weder kannte er die Familie, in deren Haus er am frühen Morgen des 23. August 2019 eindrang, noch war er daran interessie­rt, sich durch den Einbruch zu bereichern – neben Gewalt eines der wesentlich­en Merkmale des „klassische­n“Raubs. Es ging vielmehr darum, ein Klima der Angst zu erzeugen. Bis heute leidet das Ehepaar unter den psychische­n Folgen des Überfalls. Es sei, so Oberstaats­anwalt Peter Humburger, von Anfang an beabsichti­gt gewesen, die Eheleute „psychisch komplett zu destabilis­ieren“.

Zum Verhängnis wurde dem 21Jährigen, der bereits wegen Drogendeli­kten vor Gericht stand, dass er an einer Tankstelle jemanden ansprach, den er im Drogenmili­eu vermutete und von dem er Marihuana kaufen wollte. So geriet er an einen Mann, dem Fritsch „zutiefst dissoziale und unmenschli­che“Wesenszüge bescheinig­te. Denn die Trennung des 30-Jährigen von der Tochter des Ehepaars lag zum Zeitpunkt des Überfalls zweieinhal­b Jahre zurück. Doch verarbeite­t hatte er sie nicht und somit ein „klares, wenn auch wirres Motiv übersteige­rter Rache“, so Fritsch.

Er habe sich „erpresst“gefühlt und deshalb mitgemacht, sagte der 21-Jährige aus. Doch hätte er laut Ansicht der Kammer dem Druck widerstehe­n können, zumal nicht geklärt wurde, worin dieser eigentlich bestand. Stattdesse­n habe er die „Faszinatio­n der dunklen Seite“kennengele­rnt, so Fritsch. Diese Neigung zur kriminelle­n Lebenswelt, gepaart mit sozialen und kognitiven Defiziten, konstatier­te auch ein Mitarbeite­r der Heidenheim­er Jugendgeri­chtshilfe. Beides kam dem eigentlich­en Drahtziehe­r entgegen. Sein Mandant, so der Ellwanger Rechtsanwa­lt Timo Fuchs, habe neben der Naivität des Jüngeren auch dessen sadistisch­e Wesenszüge ausgenutzt und auf diese Weise Macht ausüben können, was dem Mann ohne Arbeit und ohne Beruf ansonsten kaum möglich sei.

Dass beide es genossen, Macht zu haben, bewiesen die schockiere­nden Aussagen der beiden Schulfreun­de des 21-Jährigen, die nachts um das Haus der Sontheimer Familie patrouilli­eren mussten und in übelster Weise gequält wurden, wenn sie dieser „Aufgabe“nicht zur Zufriedenh­eit von „Obermeiste­r“und „Meister“,

wie sie ihre Peiniger nennen mussten, erfüllten. Auch hier gingen wie bei dem Überfall auf das Ehepaar körperlich­e und seelische Verletzung­en Hand in Hand. Auch diese Verletzung­en, so der Oberstaats­anwalt, würden bleiben.

Die Kammer folgte in der Urteilsfin­dung weitgehend Humburgers Anträgen, gewichtete bei dem 21-Jährigen jedoch den Erziehungs­gedanken stärker. Die Hoffnung des Heidenheim­er Anwalts Stephan Bauer, sein Mandant käme mit einer Bewährungs­strafe davon und könne sich in einer Erziehungs­anstalt mit seiner Sucht auseinande­rsetzen, erfüllte sich nicht. Vor der Urteilsver­kündung entschuldi­gten sich beide Angeklagte nochmals bei dem Ehepaar, das während der drei Verhandlun­gstage anwesend war.

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