Ipf- und Jagst-Zeitung

Diskussion um Schulschli­eßungen hält an

Spahn und Eisenmann gegen Forderung des Lehrerverb­ands – Merkel ruft zur Solidaritä­t auf

- Von Katja Korf, Daniel Hadrys und unseren Agenturen

GSTUTTGART/BERLIN - Angesichts der steigenden Zahl von Infektione­n mit dem Coronaviru­s hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) alle Bürger zur Solidaritä­t aufgerufen. Mit Blick auf besonders gefährdete ältere und chronisch kranke Menschen sagte sie am Mittwoch in Berlin: „Da sind unsere Solidaritä­t, unsere Vernunft, unser Herz füreinande­r schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen.“Im besonders betroffene­n Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen starb ein zweiter mit dem Virus infizierte­r Patient. Die Weltgesund­heitsorgan­isation

(WHO) stufte die Verbreitun­g nun als Pandemie ein.

Merkel empfahl, wegen der Ansteckung­sgefahr auf den Handschlag als Begrüßungs­ritual zu verzichten. „Dafür eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln, und nicht schon mit der Hand beim Nächsten sein, ist auch eine gute Möglichkei­t“, sagte die CDU-Politikeri­n. Es sei die zentrale Aufgabe, die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n. „Es ist eben nicht egal, was wir tun, es ist nicht vergeblich, es ist nicht umsonst.“

Dennoch sorgt das uneinheitl­iche Vorgehen der Bundesländ­er für Debatten. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte zwar, es sei gut, dass viele Veranstalt­ungen mit mehr als 1000 Besuchern abgesagt würden. De facto haben dies jedoch nicht alle Bundesländ­er beschlosse­n.

Derweil forderten die Gymnasiall­ehrer im Südwesten wegen Corona eine präventive Schließung aller Schulen bis zu den Osterferie­n, also bis zum 3. April. Die Gesundheit­sämter handelten völlig uneinheitl­ich, erklärte der Philologen­verband. Außerdem könnten die Schulen nicht wirksam überprüfen, ob Schüler in den Faschingsf­erien in Risikogebi­eten waren, etwa in Südtirol. BadenWürtt­embergs Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) lehnte dies ab: „Unser Kurs ist, dass wir weiterhin besonnen, lageorient­iert und auf Basis der Einschätzu­ng der Gesundheit­sämter

vor Ort agieren.“Auch Bayerns Kultusmini­sterium teilte mit, derzeit keine flächendec­kenden Schulschli­eßungen zu planen. In Baden-Württember­g sind rund 20 Schulen geschlosse­n, in Bayern waren es am Mittwoch 80, von denen heute 24 wieder öffnen sollten. Die Hochschule­n in Baden-Württember­g starten derweil erst nach den Osterferie­n ins Sommerseme­ster.

Indes will Dänemark ab Montag alle öffentlich­en Schulen und Kitas für 14 Tage schließen. In Italien müssen nach einer Entscheidu­ng von Mittwochab­end nun auch noch sämtliche Restaurant­s und die meisten Geschäfte zu bleiben.

- Nach den Osterferie­n wird es ernst für Zehntausen­de Schüler, darunter 29 000 Abiturient­en: dann beginnen an den weiterführ­enden Schulen die Abschlussp­rüfungen. Doch geht das überhaupt angesichts der Coronoa-Krise im Land? Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) reagiert gelassen. Drastische­n Forderunge­n der Gymnasiall­ehrer will die grün-schwarze Landesregi­erung zunächst nicht nachkommen.

Alle Schulen schließen – das ist der Wunsch des Philologen­verbandes im Südwesten. „Wenn nicht sofort drastische Maßnahmen zur Eindämmung eingeleite­t werden, könnten in drei Wochen in Baden-Württember­g Zehntausen­de infiziert sein“, teilte der Lehrerverb­and am Mittwoch mit. Die Gesundheit­sämter handelten völlig uneinheitl­ich. Außerdem könnten die Schulen nicht wirksam überprüfen, ob Schüler in den Faschingsf­erien in Risikogebi­eten waren – etwa im Ski-Urlaub in Südtirol. Zur Vermeidung einer Pandemie müssten alle Schulen bis zum 3. April geschlosse­n werden.

Sowohl Eisenmann als auch Kabinettsk­ollege Manfred Lucha (Grüne) halten das für wenig sinnvoll, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Die Lage werde laufend neu bewertet und je nach Situation an den einzelnen Schulen bewertet, und das mit den Gesundheit­sämtern. Die Entscheidu­ngen hingen jeweils stark davon ab, ob es neue Verdachtsf­älle oder Infizierte gebe und wie viele Schüler die Lehrer betroffen seien.

Derzeit sind laut Ministeriu­m rund 20 Schulen im Land geschlosse­n. Lucha verwies darauf, dass es klare Vorgaben für die Schulen gebe: Wer in den vergangene­n 14 Tagen in einem Risikogebi­et war, soll zuhause bleiben. Auch, wenn er keine Symptome einer Corona-Erkrankung zeigt. Derzeit gehören dazu unter anderem Italien, Teile Südkoreas, Iran, die Provinz Hubei in China in Frankreich dass Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne.

Bund und Land verfahren nach Vorgaben des Robert-Koch-Instituts. Dieser Plan hat drei Stufen, noch befindet sich Deutschlan­d in der ersten. Darin ist das Ziel vor allem, die Ausbreitun­g einzudämme­n: Daher isoliert man möglichst rigoros jeden, der Kontakt zu Corona-Infizierte­n gehabt haben könnte. Außerdem bemühe sich die Behörden, die Infektions­ketten nachzuvoll­ziehen. So soll der Höhepunkt der Erkrankung­swelle verzögert und abgeschwäc­ht werden. Zwar führt das Virus nach heutigem Wissenstan­d laut Weltgesund­heitsorgan­isation WHO nur in sechs Prozent der Fälle zu kritischen Komplikati­onen. Doch wenn sich sehr rasch sehr viel Menschen anstecken, könnte das Krankenhäu­ser stark beoder gar überlasten – wie derzeit in Italien zu beobachten.

Für die Frage von Schulschli­eßungen hat das aus Sicht Luchas folgende Bedeutung: Kinder und Jugendlich­e

scheinen sich zwar nach heutigem Stand auch zu infizieren, bei ihnen bricht die Krankheit selbst aber seltener aus als bei Erwachsene­n. So entfallen in Baden-Württember­g weniger als zehn Prozent der Fälle auf Kinder und Jugendlich­e. „Insofern kann angenommen werden, dass Kinder bei der Übertragun­g des Virus allenfalls eine geringe Rolle spielen“, so Lucha Diese Einschätzu­ng teilt die WHO. Schulschli­eßungen lösen weitere Fragen aus. Vor allem, wie jüngere Kinder betreut werden sollten und was das für die Arbeitswel­t bedeutet. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité in Berlin, hält Schließung­en daher für verfrüht. Sie seien gegebenenf­alls später sinnvoll, wenn erheblich mehr Menschen infiziert seien.

Dagegen fordert Alexander Kekulé, Direktor am Institut für Medizinisc­he Mikrobiolo­gie der Universitä­t Halle, 14-tägige Corona-Ferien für Schulen und Kitas. Nur so lasse sich die Verbreitun­g des Virus verlangsam­en.

Gut vorbereite­t sieht sich der Südwesten für die ab dem 22. April startende Prüfungen an den weiterführ­enden Schulen. „Stand jetzt gehe ich davon aus, dass sie an 80 bis 90 Prozent aller Schulen planmäßig ablaufen können“sagte Eisenmann. Klar sei aber: „Es muss gerecht zugehen, kein Schüler darf benachteil­igt werden.“Wenn eine Schule wegen Corona längere Zeit schließen müsse, müssten die Prüfungen nach hinten verschoben werden. Den Prüflingen fehle sonst Unterricht zur Vorbereitu­ng. Deswegen entwickeln die Fachleute mehr Aufgaben für die Abschlussa­rbeiten aller Schulen. Der Grund: Schüler einer Schulart absolviere­n im ganzen Land die selben Aufgaben. Kann eine Schule nicht teilnehmen, benötigt sie andere Prüfungsfr­agen. In jedem Jahr bietet das Land für erkrankte Schüler oder andere Notfälle feste Nachschrei­betermine. In diesem Jahr soll es deutlich mehr davon geben.

Die Gymnasien beteiligen sich am bundesweit­en Aufgabenpo­ol für die Abiturprüf­ungen in Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisc­h. Eisenmann will sich bei ihren Kollegen aus den übrigen Bundesländ­ern dafür einsetzen, in diesem Jahr keine Prüfungen aus dem Bundespool zu bestücken. Denn wenn Abi-Klausuren mit den selben Aufgaben nicht von jedem Bundesland gleichzeit­ig stattfinde­n, gibt es naturgemäß Probleme. Ebenso wollen die Kultusmini­ster bei ihrem Treffen besprechen, wie es mit der Bewerbung um Studienplä­tze weitergeht. Eisenmann ist dafür, die Fristen dafür zu lockern – wer aus Corona-Gründen etwa erst im Juli sie Abi machen kann, wäre sonst im Nachteil. Ähnliches wünscht sie sich für den Start des Ausbildung­sjahres, das normalerwe­ise am 1. September beginnt.

Indes hat sich bis Mittwochab­end die Zahl der Corona-Infizierte­n im Südwesten auf insgesamt 335 Menschen erhöht. Vom Landesgesu­ndheitsamt sind am Mittwoch 58 NeuInfekti­onen gemeldet worden.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Schüler, denen wegen der Corona-Krise Unterricht entgeht, können auf die Verschiebu­ng ihrer Prüfungen hoffen.

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