Ansturm auf Rechtspfleger-Studium
Ausbildung beginnt im Herbst in Ulm – Ein Ziel: den Personalmangel beseitigen
- Sie stehen oft im Schatten von Richtern und Staatsanwälten. Ohne Rechtspfleger würde das Justizsystem aber kollabieren. Damit es nicht so weit kommt, richtet Baden-Württemberg in Ulm nun eine Außenstelle der Hochschule für Rechtspflege Schwetzingen ein. Das Interesse an dem Diplom-Studiengang ist riesig. 600 Bewerber konkurrieren um die 60 neuen Plätze.
Justizminister Guido Wolf (CDU) macht sich trotzdem Sorgen. Es herrsche „erheblicher Mangel“an Rechtspflegern im Land. 1700 sind derzeit zwischen Friedrichshafen und Mannheim im Einsatz, aber auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zieht Personal ab. Als „Rückgrat“der Justiz bezeichnet Wolf Rechtspfleger. „Ohne sie würde nichts funktionieren.“Wolf sagt, er wolle den Beruf attraktiver machen. Offen denkt er bei einem Besuch am Ulmer Landgericht am Montag über eine Umbenennung der Berufsbezeichnung nach. Fürs Erste weitet das Land die Studienkapazitäten aus. Zum 1. September eröffnet in Ulm eine Außenstelle der Hochschule für Rechtspflege Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis).
In zwei Kursen sollen in Ulm ab Herbst 60 Studenten drei Jahre lang auf ihr Wirken in der Justiz vorbereitet werden. Weil immer ein Jahrgang zwölf Monate Praxisluft schnuppert, werden in Ulm ab 2022 jeweils 120 Studenten unterrichtet. Das Studium lockt von Beginn an mit einer Verbeamtung (auf Widerruf) sowie einem Nettogehalt von 1285 Euro. Für viele offenbar attraktiv: 600 Bewerbungen liegen vor, die Bewerbungsfrist für die 60 ersten Plätze der Außenstelle ist noch gar nicht abgelaufen.
Was für viele nach Assistenzdienst unter den Fittichen eines Richters klingt, sei ein „unglaublich vielseitiger“Beruf, erklärt Frank Haarer, Rektor der Hochschule für Rechtspflege. Er wie auch Guido Wolf loben die Unabhängigkeit, die Rechtspfleger genießen. Auch Richtern gegenüber. Rechtspfleger besäßen „viel Entscheidungsfreiheit“.
Für Ulm hat sich das Justizministerium nach Wolfs Worten wegen seiner zentralen Lage in Ost-Württemberg und seiner guten Erreichbarkeit entschieden. Der Findungsprozess sei ergebnisoffen gestartet. Zudem wartet Ulm mit nahezu allen Gerichtsbarkeiten auf, mit Landes-, Amts-, Sozial- oder Arbeitsgericht und Staatsanwaltschaft. Hier sollen die Studenten Praxiserfahrung sammeln. Auch die Dozenten kommen aus diesen Einrichtungen.
Untergebracht ist die neue Hochschul-Außenstelle in einem angemieteten Gebäude in der Söflinger Straße. Es entstehen vier Hörsäle, eine Cafeteria und eine Bibliothek. Eine
Erweiterung an der Hochschule selbst komme nicht infrage, so Rektor Frank Haarer.
Die Stellung des deutschen Rechtspflegers ist in Europa einzigartig. Er ist an keinerlei Weisungen gebunden, sondern nur an Recht und Gesetz – wie auch Richter. Schwerpunkte sind Familien-, Grundbuch-, Insolvenz- und Betreuungsverfahren, Zwangsversteigerungen sowie Nachlassangelegenheiten. Nicht zu verwechseln sind Rechtspfleger mit den bei Gericht Angestellten, die beispielsweise das Protokoll von Verhandlungen führen.
Vielleicht erwächst aus der Ulmer Außenstelle mehr. Justizminister Wolf schloss auf Nachfrage nicht aus, dass die Ulmer Dependance eigenständig und damit zur zweiten Rechtspflege-Hochschule des Landes werden könnte. Hinter vorgehaltener Hand äußern lokale Verantwortliche genau diese Hoffnung. Wolf sagt aber, zunächst müsse man das auf fünf Jahre ausgelegte Pilotprojekt erfolgreich gestalten.