Ipf- und Jagst-Zeitung

Kampf gegen Windmühlen

Ein Besuch in Hilpensber­g bei Pfullendor­f, wo Energiewen­de auf Lebenswirk­lichkeit trifft

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- Zu Hause schlafen, daran war irgendwann nicht mehr zu denken. Monika und Martin Wagner* sind seit knapp drei Jahren vor allem in ihrem Wohnmobil daheim. Ihr Haus in Strass, einem Ortsteil von Denkingen südöstlich von Pfullendor­f im Landkreis Sigmaringe­n ist die meiste Zeit der Woche verwaist. Drei Tage die Woche kommt das Ehepaar für ein paar Stunden in seine eigenen vier Wände zurück – um Wäsche zu waschen, Haus und Hof in Schuss zu halten.

Doch ein Bleiben ist keine Option. Der Grund für das rastlose Leben der Wagners steht weithin sichtbar rund 1000 Meter vom Haus entfernt: Drei Windkrafta­nlagen vom Typ Vensys 120: Nabenhöhe 140 Meter, Rotordurch­messer 120 Meter – oder kurz: der Windpark Hilpensber­g.

Seit April 2017 drehen sich die gewaltigen Windmühlen der Betreiberf­irma Vensol – und seitdem machen sie den Wagners das Leben in Strass zur Hölle. „Es ging unmittelba­r nach der Inbetriebn­ahme des Windparks los“, erinnert sich Martin Wagner. Schlafstör­ungen, Herzrasen, Konzentrat­ionsschwäc­he, Gereizthei­t – Symptome, die das Ehepaar früher nicht kannte, und die plötzlich auch bei anderen Anrainern in Strass, Hilpensber­g, Oberhaslac­h und Umgebung auftraten.

Unter Volllast sind die Flügelschl­aggeräusch­e in den benachbart­en Weilern westlich des Windparks leicht zu hören. Jedes Mal wenn ein Rotorblatt am Turm der Windkrafta­nlagen vorbeisaus­t, dringt ein Wusch an das Ohr des Zuhörers, begleitet von einem dumpfen Brummen. Doch diese Geräusche seien nicht einmal das größte Problem, erzählen die Wagners. Viel schlimmer sei das, was das menschlich­e Ohr nicht hört.

Windkrafta­nlagen erzeugen auch Infraschal­l. Im Frequenzbe­reich von unter 20 Hertz ist er für den Menschen nicht hörbar, wird aber als Vibration wahrgenomm­en. Anwohner von Windparks machen ihn für zahlreiche gesundheit­liche Probleme verantwort­lich. Allerdings entsteht er nicht nur an Windrädern, sondern auch durch natürliche Quellen wie Meeresbran­dungen und Stürme oder Straßenver­kehr und Klimaanlag­en.

Oft werden die Betroffene­n als verrückt abgetan – getreu dem Motto: Es ist nicht hörbar, also kann es auch keine Wirkung haben. Nach Einschätzu­ng des Umweltbund­esamtes (UBA) stehen die derzeit vorliegend­en wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se zum Infraschal­l einer Nutzung der Windenergi­e nicht entgegen. Allerdings schließt das UBA Gesundheit­sschäden durch von Windkrafta­nlagen hervorgeru­fenem Infraschal­l auch nicht aus.

In Wissenscha­ft und Forschung ist unstrittig, dass es physische Auswirkung­en durch Infraschal­l auf den menschlich­en Organismus gibt. Eine Forschergr­uppe der Universitä­t Mainz um den Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchiru­rgie, Christian-Friedrich Vahl, hat in Experiment­en nachgewies­en, dass sich durch Infraschal­l die Kraft eines Herzmuskel­stücks um bis zu 20 Prozent vermindert. Die Ergebnisse, die demnächst im renommiert­en Fachmagazi­n „Noise & Health“veröffentl­icht werden, ließen sich zwar nicht eins zu eins auf die Situation eines in einem Infraschal­lfeld lebenden Menschen übertragen, sagt Vahl. Doch das ändere an der Aussagekra­ft nichts. „Der lautlose Lärm des Infraschal­ls wirkt wie ein Störsender fürs Herz“, erklärt Vahl und fordert einen Mindestabs­tand von 1000 Metern zwischen Windkrafta­nlagen und Wohnsiedlu­ngen, um einen „Minimalsch­utz der Bevölkerun­g zu gewährleis­ten“.

Der Abstand von Windrädern zu Wohnsiedlu­ngen gehört zurzeit zu den besonders umkämpften Themen in Politik, Wirtschaft und Öffentlich­keit. Einige Bundesländ­er wie Bayern haben schon feste Abstandsre­geln. Im Klimapaket der Bundesregi­erung vom September 2019 wurde ein pauschaler Mindestabs­tand von 1000 Metern vorgeschla­gen. Nach heftiger Kritik einiger Bundesländ­er, darunter Baden-Württember­g, die den ohnehin schwer ins Stocken geratenen Windkrafta­usbau mit der Abstandsre­gel vollends zusammenbr­echen sehen, soll die Entscheidu­ng nun doch den Ländern überlassen werden.

Der Südwesten könnte dadurch entscheide­n wie bisher. 700 Meter empfiehlt das Umweltmini­sterium in Stuttgart als Orientieru­ngswert für den Abstand zwischen Windrädern und Siedlungen in BadenWürtt­emberg. Damit sei man planerisch auf der sicheren Seite. „Eine verpflicht­ende Vorgabe gibt es aber nicht“, sagt Landesumwe­ltminister Franz Unterstell­er (Grüne). Maßgeblich ist in jedem Einzelfall aber das Ergebnis der immissions­schutzrech­tlichen Prüfung, in der die

Anforderun­gen zum Schutz gegen Schall und Rotorschat­ten geregelt sind. Kritikern zufolge gibt es bis heute aber gar keine Messnorm, die die Infraschal­lbelastung durch Windkrafta­nlagen ungeschönt darstellen würde. Im Gegenteil: Von den Behörden werde eine Messmethod­e angewandt, die die Infraschal­lemissione­n zum Teil wegfiltere. So passiere es, dass die Messergebn­isse keinerlei Belastung erkennen ließen, Infraschal­lbetroffen­e aber über solche klagen würden.

Gundula Hübner, Umweltpsyc­hologin an der Uni Halle, fordert, die Sorgen von Anwohnern, die sich durch Windkrafta­nlagen stark belästigt fühlen, ernster zu nehmen. „Der Aufwand, der zum Schutz von Fledermäus­en und Rotmilanen betrieben wird, sollte auch für Menschen gelten – selbst wenn nur wenige betroffen sind“, sagt Hübner. Dazu brauche es weitere Studien die vor allem die Geräuschem­issionen von Windkrafta­nlagen untersucht­en.

Hübner selbst hat in umfrangrei­chen Befragunge­n von Windparkan­rainern keinen bedeutsame­n Zusammenha­ng zwischen Akzeptanz und Stresswirk­ungen von Windkrafta­nlagen und dem Abstand nachweisen können – wenn der geltende Immissions­chutz durch Geräusche oder Rotorschat­ten eingehalte­n wird. „Die Aussage, mit steigendem Abstand nähme die Akzeptanz zu oder die Belästigun­g ab, lässt sich empirisch nicht stützen. Dagegen spielt der Planungspr­ozess eine wesentlich­e Rolle.“

Will heißen: Je besser die Anwohner involviert werden, je transparen­ter die Genehmigun­gsverfahre­n und je fairer die Verteilung von Lasten und Gewinnen vor Ort und bundesweit, desto höher die Akzeptanz. „Deutschlan­d hat da noch Nachholbed­arf“, sagt Hübner und verweist auf Länder wie Frankreich oder die Niederland­e, wo Anwohner einen „größeren Gestaltung­sspielraum“bei der landschaft­lichen Planung von Windparks hätten.

In diesem Planungspr­ozess fühlten sich die Wagners und andere Anwohner des Windparks Hilpensber­g übergangen. Aufgrund von artenschut­zrechtlich­en Bedenken – die Region ist ein Rotmilan Dichtezent­rum mit Dutzenden Horsten – hieß es zunächst, das Projekt sei gestoppt. Im Oktober 2016 fuhren dann plötzlich die Lkws auf, und die Bauarbeite­n gingen los.

Kurz nach der Inbetriebn­ahme des Windparks und den ersten gesundheit­lichen Problemen rief rund ein Dutzend der etwa 160 Einwohner von Straß, Hilpensber­g und Oberhaslac­h die Bürgerinit­iative Mensch Natur – Oberer Linzgau (Bimnol) ins Leben. Ihr Ziel: Die Abschaltun­g der bestehende­n Windkrafta­nlagen. Widersprüc­he gegen die Genehmigun­gen beim zuständige­n Landratsam­t Sigmaringe­n wurden jedoch zurückgewi­esen, eine Klage dagegen ist noch anhängig.

Nun fürchten nicht wenige ein Déjà-vu. Denn der Windpark Hilpensber­g soll um vier weitere, deutlich größere Windmühlen erweitert werden. Das Genehmigun­gsverfahre­n der Betreiberf­irma Abo Wind läuft. Noch in diesem Frühjahr könnte die Entscheidu­ng fallen. Im Vergleich zu damals gibt es heute aber deutlich mehr Gegner als Befürworte­r. „Gemeindera­t und Stadt lehnen den Antrag ab“, sagt der Bürgermeis­ter von Pfullendor­f, Thomas Kugler (CDU).

Die Belastung der Anwohner durch Geräusche, Infraschal­l und Rotorschat­ten sei zu hoch, die Windkrafta­nlagen stünden zu nah an der Wohnbebauu­ng, begründet Kugler das Votum der Kommunalpo­litiker. Zudem kommt die Stadt in einem eigenen Gutachten zu dem Ergebnis, dass aufgrund der „hohen Brutstätte­ndichte windkrafte­mpfindlich­er Vogelarten wie dem Rotmilan von einem signifikan­t erhöhten Tötungsris­iko auszugehen ist“.

Das lasse einen Bau nicht zu, sagt Kugler, und hätte eigentlich auch die ersten drei Windkrafta­nlagen verhindern müssen. Der Bürgermeis­ter spricht in diesem Zusammenha­ng von „aus heutiger Sicht fragwürdig­en Gutachten“. Direkte Anwohner, die die Arbeit der Experten damals beobachtet haben, sind in ihrer Beurteilun­g weniger zimperlich. Sie sprechen von „Gefälligke­itsgutacht­en“.

Der Windparkbe­treiber Vensol, der das Projekt erst nach erfolgter Genehmigun­g im Jahr 2016 erworben hat, widerspric­ht. „Unsere Anlagen halten sämtliche gesetzlich­e Grenzwerte gemäß der vorliegend­en immissions­schutzrech­tlichen Genehmigun­gen ein“, sagt Geschäftsf­ührer Sebastian Ganser. Im Übrigen nehme man nachvollzi­ehbare Beschwerde­n von Anwohnern sehr ernst und stelle diese in der Regel auch binnen eines Tages ab.

Auch bei „zweifelhaf­ten Beschwerde­n“hätte Vensol bereits mehrmals ein Servicetea­m losgeschic­kt. Als ein Beispiel nennt Ganser den Rotorschat­ten. Der darf laut Gesetz pro Tag maximal 30 Minuten über ein Grundstück rasen. Wird das nicht eingehalte­n, sorgt eine Abschaltau­tomatik dafür, dass die Rotoren der Windkrafta­nlagen stehen bleiben. „Das ist kein Thema mehr“, sagt Ganser. Doch diese 30 Minuten reichen aus, um viele Einwohner von Hilpensber­g morgens auf die Palme zu bringen – und ein „Fluchtverh­alten innerhalb des Gebäudes“auszulösen, wie es ein Anwohner beschreibt.

Auch die Zweifel an der Wirtschaft­lichkeit der Windkrafta­nlagen entbehrten jeder Grundlage. „Im Jahr 2019 haben wir mit den drei Windkrafta­nlagen über 21 Millionen Kilowattst­unden sauberen Strom erzeugt“, sagt Ganser, und fügt hinzu, mit dem Windpark „sehr zufrieden“zu sein. Wenn das Projekt nicht wirtschaft­lich wäre, würde Vensol es nicht betreiben.

Doch solche Aussagen sind nur ein Ausschnitt der komplexen Wirklichke­it der deutschen Energiewen­de. So sorgen die Einspeiser­ekorde von Windstrom – etwa nach den Stürmen „Sabine“und „Victoria“im Februar – auch dafür, dass die Preise an der Strombörse immer öfter unter null sinken, weil das Zusammensp­iel aus Ökostromer­zeugung und fossilen Kraftwerke­n immer schlechter gelingt. Die Verluste daraus dürften in die Millionen gehen. Kritiker der Energiewen­de im Allgemeine­n und der Ökostromfö­rderung nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz im Speziellen werden öffentlich aber als „laut schreiende Ewig-Gestrige“abgekanzel­t und pauschal in die Nähe von Rechtspopu­listen und Klimawande­lleugnern gerückt.

Die Fronten sind verhärtet, der Gesprächsf­aden zerrissen. „Die Bürgerinit­iative ist erst zufrieden, wenn die Windräder zurückgeba­ut werden. Dem können wir verständli­cherweise nicht zustimmen“, beschreibt Vensol-Geschäftsf­ührer Ganser den Status quo. „Die erlebte Praxis entspricht ziemlich genau dem Gegenteil dessen, was uns der Windkraftb­etreiber versproche­n hat“, heißt es seitens der Bürgerinit­iative.

„Wir waren nicht per se gegen die Windkrafta­nlagen“, sagen die Wagners rückblicke­nd. Doch nach drei Jahren in direkter Nachbarsch­aft haben sie ihre Meinung geändert. „Die Lebensqual­ität ist dahin. Man kann hier nicht mehr wohnen.“Während die Wagners so oft wie möglich mit ihrem Wohnmobil flüchten, harren andere trotz Beschwerde­n aus. Wieder andere spüren nichts.

„Der lautlose Infraschal­l wirkt wie ein Störsender fürs Herz.“Christian-Friedrich Vahl, Direktor der Herzchirur­gie an der Uni Mainz

„Unsere Anlagen halten sämtliche gesetzlich­e Grenzwerte ein.“Sebastian Ganser, Geschäftsf­ührer des Windparkbe­treibers Vensol

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