Biden gewinnt Duell der alten Männer
Der Ex-US-Vizepräsident zieht seinem Rivalen Sanders in den Vorwahlen davon
G- An dem Abend, an dem Joe Biden das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur vielleicht schon für sich entschieden hat, redet er in einem halbleeren Saal. Im National Constitution Center in Philadelphia, einem Museum, das allein der amerikanischen Verfassung gewidmet ist, spricht er vor wenigen, handverlesenen Gästen. Die CoronaKrise gebietet Vorsicht, es ist eine Siegesparty ohne Jubelkulisse. Und das ausgerechnet an einem Abend, an dem Biden bereits wie der sichere Sieger des Wettlaufs gegen Bernie Sanders aussieht.
In Mississippi, wo Afroamerikaner, seine verlässlichste Stütze, zwei Drittel der Parteibasis bilden, besiegt Biden den Rivalen so klar, dass es einer Demütigung gleichkommt. In Missouri, einem Staat mit ähnlicher Bevölkerungsstruktur, liegt er deutlich vorn. In Washington am Pazifik – dort galt Sanders als haushoher Favorit – gelingt ihm nach vorläufigem Stand ein Remis. Den eigentlichen Triumph feiert Biden in Michigan, wo er 53 Prozent der Stimmen holt.
Sanders hat alle seine Hoffnungen in den Autostaat gesetzt, anderswo Auftritte abgesagt, um sich ganz auf ihn zu konzentrieren. Vor vier Jahren gewann er dort die Vorwahlen gegen Hillary Clinton. Es war ein Coup, der ihm, dem Außenseiter, unverhofften Schwung verlieh. Diesmal wollte er Biden, der sich am „Super Tuesday“leicht von ihm abgesetzt hatte, so etwas wie ein Stoppzeichen in den Weg stellen. Und da Michigan zu den Rust-Belt-Staaten gehört, in denen die Demokraten das Blatt wenden müssen, wollen sie das Weiße Haus nach der Niederlage des Jahres 2016 von Donald Trump zurückerobern, wuchs der Vorwahl hier eine symbolische Bedeutung zu.
Gerade in Michigan offenbarte sich, wo Sanders’ Schwachstellen liegen. Zwar kann er sich auf begeisterte junge Anhänger verlassen, die ihn verehren wie einen Rockstar. Doch schon die weiße, männliche Arbeiterschaft hat sich längst nicht als so stabile Stütze erwiesen, wie er es sich mit seiner Polemik gegen Freihandelsabkommen zum Nachteil des Rostgürtels der alten Industrie ausgerechnet hatte. Frauen gaben Biden ebenso eindeutig den Zuschlag wie schwarze Wähler.
Wie enttäuscht Sanders angesichts der Schlappe war, ließ sich schon daran erkennen, dass er sich in der Nacht zum Mittwoch auf keiner Bühne mehr blicken ließ. Daheim in Vermont hüllte er sich in untypisches Schweigen, ohne auch nur ein dürres Statement abzugeben. An seiner Stelle sprach Alexandria OcasioCortez, die linke Kongressabgeordnete, mit der er von Kundgebung zu Kundgebung gezogen war. Es gebe nichts schönzureden, räumte die New Yorkerin ein, „das ist ein harter Abend, ein harter Abend für unsere gesamte Bewegung“. Eine Massenbewegung, so hatte es sich Sanders ausgemalt, sollte Leute mitreißen, die mit Politik bislang nichts am Hut hatten. Sie sollte das Establishment der Demokraten in die Defensive zwingen. Hinter der versprochenen Mobilisierungsoffensive steht nun ein dickes Fragezeichen. Nicht einmal Elizabeth Warren, von den Programmen her Sanders’ Verbündete, hat ihren Anhängern nach ihrem Ausscheiden empfohlen, ins Lager des Senators zu wechseln.
Kein Wunder, dass der Druck auf ihn wächst, dass ihm Parteigranden raten, schon das Handtuch zu werfen, um ein de facto entschiedenes Duell nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Doch am Sonntag steht in Phoenix die nächste Kandidatendebatte an, die erste, bei der nur Biden und Sanders diskutieren. Sanders, 78, wirkt frischer, munterer als sein 77-jähriger Kontrahent, der auf der Fernsehbühne an einen überforderten, kauzigen Greis denken lässt und sich bisweilen blamable Ausrutscher leistet. Es könnte sein, dass er den Wortstreit abwartet, bevor er Entscheidungen trifft.
Biden wiederum klingt in der Geisterkulisse des Verfassungsmuseums in Philadelphia schon so, als wäre der Rest nur noch Formsache. Allerdings weiß er auch, auf welch schmalem Grat er wandert: Er darf die jugendlichen Fans seines Rivalen nicht verprellen, weil sie sonst, wie 2016 geschehen, am Wahltag im Herbst aus Protest zu Hause bleiben könnten. Er wolle Bernie Sanders und dessen Anhängern danken, für ihre nie nachlassende Energie wie für ihre Leidenschaft, ruft Joe Biden in den halbleeren Saal. „Wir haben ein gemeinsames Ziel, und gemeinsam werden wir Donald Trump schlagen.“