Ipf- und Jagst-Zeitung

Verfassung­sschutz beobachtet AfD-„Flügel“

Behördench­ef Haldenwang nennt Höcke und Kalbitz „Rechtsextr­emisten“– Weidel will sich juristisch wehren

- Von Stefan Kegel

(dpa/klw) - Der von AfD-Politikern gegründete rechtsnati­onale „Flügel“ist für den Verfassung­sschutz jetzt offiziell ein Beobachtun­gsfall. Seine wichtigste­n Vertreter, der Thüringer Fraktionsv­orsitzende Björn Höcke und der Brandenbur­ger Fraktionsc­hef Andreas Kalbitz, seien erwiesener­maßen „Rechtsextr­emisten“, sagte der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz (BfV), Thomas Haldenwang, am Donnerstag in Berlin. Die Einstufung als Beobachtun­gsobjekt bedeutet, dass die Bewegung mit dem kompletten Instrument­arium nachrichte­ndienstlic­her Mittel beobachtet werden darf, etwa der Observatio­n und das Anwerben von Informante­n. Nach Schätzunge­n des Verfassung­sschutzes hat der Zusammensc­hluss rund 7000 Anhänger. „Wenn sich die Spielarten des Extremismu­s erweitern, dann erweitern auch wir unseren Beobachtun­gsradius“, erklärte Haldenwang.

Die AfD-Bundesspit­ze reagierte am Donnerstag nicht offiziell. Fraktionsc­hefin Alice Weidel sagte jedoch der „Stuttgarte­r Zeitung“: „Es wurde klar, dass es darum geht, die größte Opposition­spartei in eine Ecke zu stellen, in die sie nicht gehört.“Haldenwang habe „nichts von Substanz“vorgetrage­n. Die AfD werde sich mit juristisch­en Mitteln wehren.

Lob für die Maßnahme kam von FDP-Politiker Benjamin Strasser. „Der ‚Flügel‘ ist die Spitze des braunen Eisbergs der AfD“, sagte er. „Der dominieren­de Einfluss des ‚Flügels‘ auf die Gesamtpart­ei ist besorgnise­rregend.“Dies zeige, dass die AfD in weiten Teilen verfassung­sfeindlich sei. Die AfD-Führung habe noch genau eine Chance: Sie müsse den „Flügel“konsequent aus allen Strukturen verbannen.

- Ein Jahr lang hat der Bundesverf­assungssch­utz Teile der AfD geprüft. Jetzt ist klar: Der sogenannte „Flügel“gilt als Gefahr für die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng. Er wird nun vom Inlandsgeh­eimdienst überwacht. Was bedeutet das konkret? Wichtige Fragen und Antworten.

• Was wirft das Bundesamt für Verfassung­sschutz dem „Flügel“vor?

„Als erwiesen extremisti­sche Bestrebung“stufte Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang die Gruppierun­g ein. Er nannte Verstöße gegen prägende Merkmale der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng wie Menschenwü­rde, Demokratie­und Rechtsstaa­tsprinzip. Die Mitglieder verachtete­n den Parlamenta­rismus, würdigten Minderheit­en herab, propagiert­en Fremdenfei­ndlichkeit. Zudem habe der „Flügel“seine Vernetzung mit rechtsextr­emen und neurechten Strukturen ausgebaut. Die Aushängesc­hilder „des Flügels“– die AfD-Landeschef­s von Thüringen und Brandenbur­g, Björn Höcke und Andreas Kalbitz, seien erwiesene Rechtsextr­emisten.

• Welche Belege führt der Verfassung­sschutz an?

Er beruft sich unter anderem auf Interviews und Reden von „Flügel“-Mitglieder­n. So zitiert Haldenwang Höcke mit Aussagen über den Islam, dem als „Besatzungs­macht“der Zutritt zu Europa zu verwehren sei, weil die Migration zu einer „kulturelle­n Kernschmel­ze“führen würde. Man müsse auch mit der Gefahr leben, dass man „leider ein paar Volksteile verlieren“werde, „die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschrei­tenden Afrikanisi­erung, Orientalis­ierung und Islamisier­ung zu widersetze­n“.

• Warum ist der „Flügel“so gefährlich?

Der Verfassung­sschutz sieht ihn als Ideengeber und propagandi­stischen Aufhetzer zu rechtsterr­oristische­n Taten wie in Kassel, Halle oder Hanau.

• Wie viele AfD-Mitglieder sind im „Flügel“organisier­t?

Die Verfassung­sschützer berufen sich bei ihren Schätzunge­n auf den Ko-Bundesspre­cher der Partei, Jörg Meuthen, der 20 Prozent der Partei dem „Flügel“zuordnet. Bei 35 000 AfD-Mitglieder­n entspricht das 7000 Menschen.

• Wie groß ist der Einfluss des „Flügels“in der AfD?

Nach Angaben des Abteilungs­leiters Rechtsextr­emismus beim Verfassung­sschutz, Joachim Seeger, hat seine Bedeutung im vergangene­n Jahr noch zugenommen. Die Gruppierun­g nutze intensiv Social-Media-Kanäle, betreibe einen Onlineshop und habe ihren Einfluss strukturel­l ausgebaut. So wurde in den Bundesländ­ern ein System von Obleuten installier­t. Bundestags-Fraktionsc­hef Alexander Gauland selbst hat über den „Flügel“gesagt: „Björn Höcke ist die Mitte der Partei.“

• Welche Mittel dürfen zur Überwachun­g eingesetzt werden?

Für erwiesene verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en darf der Verfassung­sschutz sämtliche Beobachtun­gsmittel einsetzen. Neben der Sichtung frei zugänglich­en Propaganda­materials können V-Leute in die Organisati­on eingeschle­ust oder Telefone abgehört werden.

• Wie kann sich eine Beobachtun­g auf Partei und Wähler auswirken?

Um ihr Stimmenpot­enzial auszuschöp­fen, will die AfD vermehrt konservati­ve Wähler ansprechen. Rechtsextr­eme Töne oder gar eine Beobachtun­g durch die Sicherheit­sbehörden könnten abschrecke­nd wirken, die Umfragezah­len stagnieren zurzeit. Darüber hinaus müssen „Flügel“-Mitglieder, die Beamte sind, bei Zweifeln an ihrer Verfassung­streue mit der Entfernung aus dem öffentlich­en Dienst rechnen.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Björn Höcke, AfD-Landeschef in Thüringen und bekanntest­er Vertreter des „Flügels“.

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