Der Schutz der Bürger geht vor
Geschlossene Schulen und Kindergärten, Versammlungsverbote – und nun werden die Grenzen vorübergehend dicht gemacht. Sogar die Reisefreiheit der Bundesbürger ist eingeschränkt. Das Leben in den Zeiten der Corona-Krise verändert sich. Die Maßnahmen wirken wie aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der jedes Land, jeder Staat alleine über das Wohlergehen seiner Bürger entschieden hat. Doch Innenminister Horst Seehofer hat es am Sonntag auf den Punkt gebracht: Das Schengener Abkommen sieht zwar eigentlich offene Grenzen innerhalb Europas vor, doch momentan geht der Gesundheitsschutz der Bevölkerung vor.
Nicht nur Seehofer selbst fragt sich, warum die Europäische Union nicht geschlossen und koordiniert vorgeht. Tatsächlich gibt sie dieser Tage kein sonderlich gutes Bild ab – weder in der Frage der Flüchtlingspolitik und dem Umgang mit den in der Türkei gestrandeten Menschen noch aktuell in Sachen Corona.
Seehofer musste im Alleingang handeln. Dies mussten zuvor ja auch Kollegen anderer EU-Mitgliedsstaaten. Sie taten es allesamt nicht, um Brüssel vorzuführen, sondern um schnellstmöglich Maßnahmen zu ergreifen, die aus ihrer Sicht nötig sind. Dass am Ende die EU nicht gut aussieht, ist ein Kollateralschaden, der zu verkraften ist. In einer Krise wider besseren Wissens zu warten, bis es eine einheitliche europäische Linie gibt, wäre unverantwortlich. Ob die Grenzschließungen tatsächlich nötig sind, um die Kurve der Infektionszahlen möglichst flach zu halten? Hinterher wird man klüger sein. Nichts zu unternehmen, wäre jedoch fahrlässig. Oder anders herum: Würde Brüssel schneller agieren, wäre die Debatte, warum alle einzeln entscheiden, gar nicht aufgekommen.
Die Maßnahme von Innenminister Seehofer zielt ja nicht darauf ab, dass am Ende der Pandemie die innereuropäische Reisefreiheit auf der Strecke bleibt. Dennoch hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen nun genug zu tun, um das angeschlagene Vertrauen in das Krisenmangement der Europäischen Union wieder herzustellen.