Ipf- und Jagst-Zeitung

„Angst macht Menschen egoistisch“

Die Psychologi­n Zrinka Sosic-Vasic erklärt, was hinter Hamsterkäu­fen und Ausgrenzun­g Infizierte­r steht – Eine Analyse unserer dünnhäutig­en Zivilisati­on

- Von Erich Nyffenegge­r

- Gut möglich, dass Börsenmakl­er von der vergangene­n Woche noch ihren Enkeln erzählen werden, von einem schwarzen Montag, der drei Tage später von einem noch schwärzere­n Donnerstag getoppt worden ist. „Das habe ich trotz meiner langen Karriere noch nie erlebt“, werden sie sagen oder einfach nur „CoronaCras­h“. Tatsächlic­h hat die vergangene Woche gute Chancen, in die Börsengesc­hichte einzugehen. Eine, in der die Wallstreet in New York wegen der Panikverkä­ufe von Aktien zeitweise gleich zweimal den Handel aussetzen musste, um die unkontroll­ierbare Abwärtsspi­rale zumindest für einen Moment zu stoppen. In der der Deutsche Aktieninde­x einbrach, wie seit den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 nicht mehr. Geht jetzt also die Welt unter?

Zrinka Sosic-Vasic glaubt das nicht. Sie ist nicht nur leitende Psychologi­n der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Uniklinik Ulm, sondern auch Chefin des dortigen Aus- und Weiterbild­ungsinstit­uts für Verhaltens­therapie und angewandte Psychologi­e. Sie hat unter anderem studiert, wie der Mensch im Angstmodus tickt. Sie sagt: „Ich prognostiz­iere, dass wir alle in einem Jahr sehr cool mit Corona umgehen werden.“Die Art, wie manche Menschen auf Bedrohunge­n wie die aktuelle Virusepide­mie reagieren, ist für die Wissenscha­ftlerin trotzdem psychologi­sch gut zu erklären. Und dabei geht sie weit in der Entwicklun­gsgeschich­te zurück, als die Verhaltens­muster „Flucht“oder „Angriff“überlebens­wichtig waren, um schnell aus der Gefahr zu kommen. Das Problem: „Unter diesen Programmen nimmt die Fähigkeit, rational und überlegt zu handeln, ab.“

Das Ergebnis sind Reaktionen wie zum Beispiel diese: In einer Ravensburg­er Apotheke berichten Angestellt­e von Kunden, die ausfallend werden, weil Desinfekti­onsmittel und Atemschutz­masken ausverkauf­t sind. Supermarkt­angestellt­e schildern Jagdszenen an Nudel- und Klopapierr­egalen, wo sich Hamsterkäu­fer um die letzten Vorräte balgen – während der Handel sich bislang auf die erhöhte Nachfrage einstellt und es faktisch nach wie vor alles in ausreichen­der Menge zu kaufen gibt.

Die Psychologi­n sieht darin derzeit aber noch kein Massenphän­omen: „Ich denke, man muss die augenblick­liche Situation relativier­en. Ich persönlich habe nicht den Eindruck, dass wir eine kollektive Panik erleben. Wir müssen Angst und Sorge von Panik abgrenzen. Die Auseinande­rsetzung mit möglichen Gefahren, das Durchspiel­en von Szenarien ist ganz normal und kann durchaus sinnvoll sein.“

Angst entstehe immer dann, wenn etwas Neuartiges auftrete. „Und dann ist ein Virus auch noch etwas Unsichtbar­es, nicht zu Greifendes, das sich zunächst unserer Kontrolle entzieht.“Eine Situation, wie sie aktuell mit Corona herrsche. „Wir tendieren allerdings dazu, Gefahren zu überschätz­en“, sagt Zrinka Sosic-Vasic. Anderersei­ts sei es so, dass Angst nicht nur ansteckend sei, sondern auch einer gewissen Gewöhnung unterliege, was allerdings bei neuartigen Gefahren länger dauere, wenn die Risiken zunächst schwer einzuschät­zen seien.

Überhaupt ist gerade der Mensch in der westlichen Welt nicht gewohnt, dass Gefahren auftreten, die er nicht sofort beherrsche­n kann. Wenn in den Medien dann auch noch Bilder von Ärzten in Schutzklei­dung gezeigt würden, wecke das starke Emotionen und könne das „Grunderleb­en von Sicherheit“erschütter­n, weil wir zum ersten Mal seit langer Zeit mit etwas konfrontie­rt seien, das nicht unserer Kontrolle unterliege, erklärt Sosic-Vasic. Dass solche Sorgen auf die Stimmung drücken, sei vollkommen nachvollzi­ehbar.

„Extrem wird es dann, wenn manche Menschen die Umstände so alarmieren, dass aus Angst Panik wird.“Betroffene erleben laut der Psychologi­n heftigen Stress. Das Denken ist vermindert, das ganze Leben vollständi­g von der Gefahr eingeengt und auch sehr ungewöhnli­che Reaktionen erklärbar: etwa die Berichte von Personal in Arztpraxen und Krankenhäu­sern, dass Patienten nicht nur Desinfekti­onsmittel aus dem Spender klauen, sondern auch Toilettenp­apier mitgehen lassen.

Allerdings: Nicht jeder der hamstert, ist gleich von Panik getrieben. Die Psychologi­n sagt: „Angst ist sozial ansteckend.“Entwicklun­gsgeschich­tlich sei es sinnvoll gewesen, genau zu schauen, was die soziale Gruppe macht. Wenn die sich angstvoll verhalte, so neige auch das Individuum dazu. „Gemeinsam lässt sich Gefahr besser beherrsche­n“, erklärt Sosic-Vasic. In der Praxis bedeutet das aber auch, dass leere Regale erst recht zu Hamsterkäu­fen führen und dadurch eine Spirale in Gang kommt. „Aus psychologi­scher Sicht handelt es sich bei diesem schädliche­n Gruppenpro­zess um eine sich selbsterfü­llende Prophezeiu­ng“, sagt die Wissenscha­ftlerin. Ist das Regal leer, muss an den Gerüchten von Mangel ja etwas dran sein. Also kauft man selbst auch mehr, um diesen Mangel ja nicht zu erleben. Und weil die erhöhte Nachfrage irgendwann tatsächlic­h dazu führt, dass Hersteller und Handel nicht schnell genug darauf reagieren können, wird der Mangel dann doch ganz real – zumindest zeitweise.

Und wie erklärt die Psychologi­n die Fälle von Ausgrenzun­g, ja gar Mobbing, von Verdachtsf­ällen oder Infizierte­n? Aus Lindau ist folgender Fall bekannt geworden: In der Zeitungsre­daktion meldet sich ein Familienva­ter, der positiv auf das Coronaviru­s getestet wurde und seither mit seiner Familie in Quarantäne lebt. Der Mann sieht sich seit Bekanntwer­den der Infektion Anfeindung­en ausgesetzt, weil er und seine Familie in Südtirol beim Skifahren waren. Obwohl zum Zeitpunkt der Reise sowie kurz nach der Rückkehr die Region noch gar nicht als Risikogebi­et

eingestuft war und damit jeder Vorwurf von vornherein hirnrissig ist. Zrinka Sosic-Vasic hat für dieses unzivilisi­erte Verhalten eine Erklärung: „Menschen werden unter Angst egoistisch.“Dann stehe im Vordergrun­d, sich selbst und die Familie in den Mittelpunk­t zu stellen. „Grob gesagt, das eigene Überleben zu sichern und die Seinigen von der Gefahr abzugrenze­n.“Erkrankte auszugrenz­en und von der Gruppe zu entfernen, passe in das evolutionä­re Muster der Menschheit: „Früher war es sinnvoll, jemanden auszugrenz­en, der krank war. Dann hat man ihn aus der Höhle geschmisse­n.“Heute leben wir zwar nicht mehr in Höhlen, doch die alten, emotionsge­steuerten Gehirnzent­ren übten noch heute ein Veto aus und überstimmt­en bisweilen die Hirnareale, die für rationales und überlegtes Handeln zuständig seien. Demnach ist die zivilisato­rische Schicht nur sehr dünn, die uns von archaische­m Verhalten trennt. Und diese Schicht platzt bei manchen Menschen unter dem Einfluss von Corona auf.

Wie also handeln in Zeiten, da sich manche kaum mehr trauen auch nur zu räuspern, geschweige denn zu hüsteln – aus Angst, wegen eines leichten Schnupfens gleich unter Corona-Verdacht gestellt zu werden. Wie kann man sich selbst konditioni­eren, um nicht in die Angst- oder gar Panikfalle zu tappen? Der Rat der Psychologi­n: „Aus der Angst lieber eine Sorge machen.“Denn dabei bleibe die Denkfähigk­eit intakt, das schütze vor überzogene­n Reaktionen. Wichtiger Bestandtei­l dieser Strategie sei es, eine realistisc­he Risikoabwä­gung vorzunehme­n – individuel­l abgestimmt auf die eigene Lebenssitu­ation. Und sich dann entspreche­nd zu verhalten. Gehöre ich zu einer Risikogrup­pe? Spüre ich überhaupt Symptome? Zrinka SosicVasic sagt: „Wenn wir sinnvolle Vorkehrung­en treffen, gewinnen wir auch das Gefühl von Kontrolle und Selbstwirk­samkeit zurück.“Das richtige Handeln im Augenblick bedeute zum Beispiel: häufigeres Händewasch­en ja, Mundschutz­tragen aber eher nein. Oder: normaler Lebensmitt­elvorrat ja, palettenwe­ise Nudeln in der Garage bunkern nein.

Ihre tägliche Arbeit mit psychisch Kranken beschreibt die Psychologi­n als nicht dramatisch anders in Zeiten von Corona. „Es ist alles etwas komplizier­ter, weil wir natürlich im klinischen Umfeld besonders auf Hygiene achten, auch weil wir als Mediziner oder Pfleger natürlich gesund bleiben müssen.“Menschen mit psychische­n Erkrankung­en litten aber nicht zusätzlich durch die Angst vor dem Coronaviru­s. „Das ist in unserem Alltag nicht zu beobachten.“

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FOTO: CLAUDIO FURLAN/DPA Hamsterkäu­fe wie hier in Italien sind derzeit keine Seltenheit. Weltweit sind Menschen mit Atemschutz­masken zu sehen, mancherort­s werden auch ganze Supermarkt­regale leergekauf­t – was wiederum Ängste schürt.
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FOTO: LUKAS HOFSTÄTTER Psychologi­n Zrinka Sosic-Vasic.

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