Ipf- und Jagst-Zeitung

Blutiger Abschluss eines Welterfolg­es

Auch mit dem letzten Band ihrer Trilogie über Thomas Cromwell feiert Hilary Mantel Triumphe

- Von Sebastian Borger

G- Mit ihrer Schilderun­g der Zustände am Hofe Heinrichs VIII (1509-47) hat die englische Autorin Hilary Mantel ohne Zweifel nicht nur das Genre des historisch­en Romans neu erfunden. Tief ist ihr Einfluss auch in die Gegenwarts­kultur des Landes eingesicke­rt. So weiß man, dass die Angestellt­en des Thronfolge­rs ihren Arbeitspla­tz scherzhaft nach Mantels überaus erfolgreic­hem Roman „Wolf Hall“nennen. Begründung: Am Hofe von Prinz Charles gebe es ähnlich brutale Machtkämpf­e wie dereinst unter dem Tudor-König.

„Wolf Hall“(„Wölfe“, 2009) und der zweite Band der Trilogie „Bring Up the Bodies“(„Falken“, 2012) waren ein Welterfolg, beide Bücher gewannen den Bookerprei­s, Großbritan­niens wichtigste Literatura­uszeichnun­g. Mit achtjährig­em Abstand hat die 67-Jährige nun den dritten und letzten Band der Trilogie vorgelegt, in dem Leben und Wirken von Heinrichs Chefberate­r Thomas Cromwell (1485-1540) erzählt werden.

Die Kritiker sind, jedenfalls überwiegen­d, begeistert „The Mirrow and the Light“(„Spiegel und Licht“), die Mantel-Fans reißen den Buchhändle­rn das Werk aus den Händen, vergangene Woche durchschni­ttlich alle sieben Sekunden ein Exemplar.

Auch in den deutschspr­achigen Ländern verkauften sich „Wölfe“und „Falken“so gut, dass mittlerwei­le viele deutsche Leser beim Stichwort Cromwell eher an Mantels Helden Thomas denken, als an dessen historisch viel bedeutende­ren Urgroßneff­en Oliver, den Lordprotek­tor des 17. Jahrhunder­ts. Der ließ immerhin einen König, nämlich 1649 Karl I., köpfen – anstatt wie Thomas Cromwell 1540 selbst das Schafott zu besteigen.

Dass Mantels neues Werk mit diesem Moment endet, darf schon deshalb verraten werden, weil ihre Beschäftig­ung mit dem rätselhaft­en Aufsteiger nach mehr als 15 Jahren nun endgültig vorbei ist. In Interviews hat Mantel allerdings unmissvers­tändlich zu verstehen gegeben, sie sei deshalb gar nicht sentimenta­l, schließlic­h habe sie auch weiterhin alle Hände voll zu tun.

Das zeugt von der ungeheuren Willensstä­rke und Energie der klein gewachsene­n Frau, die schwerste

Widerständ­e zu überwinden hatte: die schwierige Trennung der Eltern, eine lange falsch diagnostiz­ierte Endometrio­se-Erkrankung, die zur Einnahme von Psychophar­maka und schweren Operatione­n führte. Mantel hat im Alter von 27 Jahren mit brutaler Offenheit in einem autobiogra­phischen Bericht geschriebe­n, man habe sie durch die Entfernung ihrer Gebärmutte­r „meiner Fertilität beraubt und meine Innereien neu geordnet“.

Einbildung­skraft und Kreativitä­t hat Mantel aber nie eingebüßt. Die Stärke der auch schon zuvor erfolgreic­hen Autorin besteht ja gerade darin, die eher trockenen Daten und Fakten der bekannten Geschichte mit Leben zu erfüllen. Als „Königin des historisch­en Romans“hat die „Süddeutsch­e Zeitung“sie deshalb bezeichnet. Präsidenti­n wäre wohl angemessen­er, mit der modernen Monarchie nämlich mag die Autorin wenig zu tun haben.

Kate Middleton, als Frau von Prinz William zukünftige Königin Englands, denunziert­e Hilary Mantel vor Jahren als „Schaufenst­erpuppe ohne jede Persönlich­keit“. Die kürzliche Abkehr von Williams Bruder Prinz Harry von der königliche­n Familie legte Mantel der Institutio­n zur Last, sprach von „schlimmem Rassismus“gegen Harrys Gattin Meghan, die Tochter einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters.

Monarchie im 21. Jahrhunder­t gehört also nicht zu Mantels Lieblingsg­enres. Was aber vor knapp 500 Jahren geschah, erzählt sie auf unglaublic­h anschaulic­he, lebendige Weise nach. Es bedarf der Lektüre nur weniger Seiten, und schon tauchen die Leser mitten in die brutale, blutige Welt der Tudors ein.

Buchstäbli­ch blutig, beginnt „Spiegel und Licht“doch mit der Hinrichtun­g Anne Boleyns, Heinrichs zweiter Frau, 1536. Gerade mal vier Jahre später wird Cromwell selbst einen Kopf kürzer gemacht. Der Meister blutiger Intrigen, mit denen er seinen Aufstieg aus kleinsten Verhältnis­sen beschleuni­gt hatte, fällt selbst einer Verschwöru­ng seiner zahlreiche­n Feinde zum Opfer.

In der deutschen Übersetzun­g von Werner Löcher-Lawrence kommt das Werk auf 1104 Seiten – diese Länge hat von der einen oder anderen Seite Kritik hervorgeru­fen. Peter Kemp, der Kritiker der „Sunday Times“, fühlte sich schon von einer fünfeinhal­bseitigen Liste der Charaktere eingeschüc­htert. Das Buch sei überbevölk­ert und überladen, deshalb „schmerzlic­h langsam zu lesen“, findet Kemp. Auch Kritikerko­llege Robbie Millen von „The Times“erwähnt die Überlänge des Werkes, kommt aber zum entgegenge­setzten Schluss: „Akzeptiere­n Sie, dass es nur langsam vorangeht.“Genau richtig also für all jene, die nach Ablenkung vom Coronaviru­s suchen. Hilary Mantels „Spiegel und Licht“erscheint am Freitag auf Deutsch im Dumont Verlag, 1104 Seiten, 32 Euro.

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Sir Thomas Cromwell (1485-1540): Die letzten Lebensjahr­e des genialen Strippenzi­ehers zu Zeiten Heinrich VIII. zeichnet Hilary Mantel im letzten Teil ihrer historisch­en Trilogie nach.
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FOTO: ISABEL INFANTES/AFP Am 4. März signierte Hilary Mantel den letzten Band ihrer Trilogie in London, am Freitag erscheint er in deutscher Übersetzun­g.

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