Ipf- und Jagst-Zeitung

Gute Klimabilan­z mit Makel

2019 weniger Treibhausg­ase in Deutschlan­d – Ein echter Trend ist das noch nicht

- Von Klaus Wieschemey­er Von Klaus Wieschemey­er

G- „Es fühlt sich schon seltsam an, hier zu sitzen zu einem Thema, das nicht Corona ist“, sagt Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze. Die SPD-Politikeri­n sitzt am Montagmorg­en vor den ausgedünnt­en Reihen der Bundespres­sekonferen­z in Berlin, um eine aus ihrer Sicht gute Nachricht zu verkünden: 2019 wurden laut Umweltbund­esamt (UBA) in Deutschlan­d 6,3 Prozent oder 54 Millionen Tonnen weniger Treibhause­missionen ausgestoße­n als im Jahr zuvor.

Möglicherw­eise schafft Deutschlan­d nun doch noch das für dieses Jahr ausgegeben­e Klimaziel von 40 Prozent weniger CO2 als 1990. Allerdings hätte das dann wohl wieder mit dem Virus zu tun. „Wir werden eine Reduzierun­g der Emissionen durch Corona erleben. Das ist ja offensicht­lich“, sagt UBA-Chef Dirk Messner. Immerhin war der Ausstoß auch in der Rezession von 2009 gesunken. Messner überschläg­t: Wenn infolge des Coronaviru­s der Verkehr für vier Monate um 30 Prozent einbreche, würde dies bei einem Jahresauss­toß des Sektors von 163 Millionen Tonnen ein Zehntel einsparen.

Doch das sei nicht nachhaltig, sagt die Ministerin. „Es hilft uns nicht, wenn in einem Jahr die Emissionen runtergehe­n und im nächsten wieder hoch“. Die Coronakris­e werde nur dann den CO2 -Ausstoß nachhaltig senken, wenn die Konjunktur­programme zum Neustart der Wirtschaft „grün“und nachhaltig seien, sagt Schulze. Und da gebe es noch großen Umsteuerun­gsbedarf.

Tatsächlic­h ist der Rückgang der Emissionen vor allem auf die Energiewir­tschaft zurückzufü­hren: Die fuhr 2019 ein Minus von 16,7 Prozent oder knapp 51 Millionen Tonnen weniger CO2 ein. Die Stilllegun­g von Kohlekraft­werken, ein fast verdoppelt­er Preis im Handel mit Emissionsr­echten und ein höherer Anteil erneuerbar­er Energien am Strommix haben demnach dafür gesorgt, dass weniger Kohle verfeuert wurde.

Wind- und Sonnenener­gie seien ein „Zugpferd“, schwärmt die Ministerin. Doch das Pferd lahmt: Bei der

Photovolta­ik bremst ein Ausbaudeck­el weiteres Wachstum – und bereits im vergangene­n Jahr brach der Ausbau von Windkraft in Deutschlan­d massiv ein. Das Plus von 2019 ist vor allem auf mehr Wind zurückzufü­hren, nicht auf mehr Anlagen. Schulze kann nicht ausschließ­en, dass es 2020 wegen des Abbaus alter Anlagen sogar zum Rückgang der Windleistu­ng kommen kann. Bund und Länder, Union und SPD streiten seit Monaten um die Energiewen­de und den Mindestabs­tand von Windrädern zu Häusern. Eine Arbeitsgru­ppe soll nun die Streitfrag­en ausräumen. Doch das kann dauern: Bislang steht nicht einmal ein erster Sitzungste­rmin.

Auch die Industrie hat 2019 etwa 3,7 Prozent an Treibhause­missionen eingespart, die Landwirtsc­haft senkte ihren Ausstoß dank geschrumpf­ter Tierbestän­de und eines sparsamere­n Düngereins­atzes um 2,3 Prozent.

Doch andere Bereiche legen zu: Im Gebäudeber­eich wurde mehr geheizt, die energetisc­he Sanierung kommt kaum voran. Und das größte Sorgenkind bleibt für Schulze der Verkehr: Zwar wurden die Motoren effiziente­r. Doch die Ersparnis werde aufgefress­en, weil die Autos an Zahl und Gewicht („SUV-Effekt“) zunähmen.

Ministerin und Umweltbund­esamt haben Ideen, wie Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) gegensteue­rn könnte. Die geplante Neuordnung der Kfz-Steuer sei auf dem Weg, ein Tempolimit von 120 auf Autobahnen sei wünschensw­ert. Schulze hält zudem eine Quote für E-Autos von 30 Prozent im Jahr 2025 für eine „sinnvolle Maßnahme“auf dem Weg zur Vollelektr­isierung der Autoflotte. UBA-Chef Messner will zudem den Autobestan­d radikal senken, von derzeit 450 pro 1000 Einwohner auf 150. Weniger Autos bedeuteten auch weniger Ressourcen­verschwend­ung und mehr Raum in den Städten.

Für ihn ist dies auch eine Grundsatzf­rage: „Die sozialökol­ogische Transforma­tion ist möglich. Wir kennen die Instrument­e und Probleme“, sagt Messner. Die Corona-Krise überdecke derzeit die Notwendigk­eit des Umbaus der Wirtschaft. Doch möglicherw­eise erhöhe diese unerwartet­e Erschütter­ung der Gesellscha­ft die Sensibilit­ät der Menschen für die gravierend­en globalen Folgen des Klimawande­ls.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA

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