Ipf- und Jagst-Zeitung

Pest und Corona

Papst Franziskus betet für Beistand und bedient sich dabei einer alten Tradition

- Von Thomas Migge

G- Papst Franziskus ging natürlich nicht den ganzen Weg zu Fuß. Vom Petersdom bis zur Chiesa di San Marcello in der zentralen und schnurgera­den Via del Corso sind es immerhin zwei bis drei Kilometer Luftlinie. Nur ein Stück Fußweg legte der 83-Jährige zurück. Ganz in Weiß gekleidet und mit ernstem und oft zu Boden geneigtem Blick.

Der Papst hatte auch etwas sehr Ernstes im Sinn. Ein Fürbittege­bet. Bei einem Kruzifix, dass ein Wunder vollbracht haben soll. Anscheinen­d hielt er es für angebracht, nicht nur an dieses Wunder zu erinnern, sondern persönlich bei diesem Kruzifix dafür zu beten, dass erneut eines geschieht und Italien und die Welt von einem bösen Übel befreit werden: Dem Coronaviru­s, das jeden Tag neue und mehr Opern fordert.

1522 herrschte in Rom die Pest. Zahllose Todesfälle sorgten für Angst und Schrecken. Das Kruzifix aus der Kirche am Corso wurde deshalb in die Peterskirc­he gebracht. Es galt als heilig, hatte es doch, vollkommen „unverletzt“, jenen Brand am 23. Mai 1519 überstande­n, der die ganze Kirche aber nicht das Kruzifix zerstört hatte. Die Prozession von der neuen Kirche in die Peterskirc­he dauerte ganze 16 Tage, vom 4. bis 20. August 1522. Die gesamte heutige Altstadt wurde von der Prozession besucht. Mit jedem Tag, den das Kruzifix durch die Stadt getragen wurde, sank die Zahl der Pestopfer. Schließlic­h, nach 20 Tagen, war es mit der Pest vorbei – so die Geschichte.

Am 15. März betete der Papst auch in der Basilika Santa Maria Maggiore. Dort befindet sich eine Ikone, die nicht von Menschenha­nd, so fromme Legenden, geschaffen worden sein soll. Der Maler sei, so heißt es, niemand Geringeres als der Apostel Lukas gewesen. Der Papst hat die als Madonna von Rom verehrte Mariendars­tellung aufgesucht, weil sie seit Menschenge­denken Schutz gegen Katastroph­en, Krankheite­n und Kriege bieten soll. Die Ikone wurde zwischen dem 9. und 12. Jahrhunder­t geschaffen und soll, so glauben viele gläubige Römer, die ewige Stadt auch vor der Zerstörung durch alliierte Bomber am Ende des Zweiten Weltkriegs bewahrt haben.

Der Papst knüpft mit seinen beiden Besuchen in zwei Kirchen, mit seinen Bitten zum Ende der Virusinfek­tion, an eine uralte katholisch­e Tradition an, die sich in weiten Gegenden Italiens noch bis heute erhalten hat. Wenn es zu wenig regnet, wenn landwirtsc­haftlich genutzte Böden austrockne­n, wenn der Fluss Po tagelang über seine Ufer tritt oder wenn einzelne Italiener von einer schlimmen Krankheit betroffen sind, wenden sie sich oft an einen entspreche­nden Schutzheil­igen oder an die Madonna.

Dass Papst Franziskus ein Kruzifix und eine Ikone aufsuchte, die gegen die Pest geholfen haben soll, liege daran, so die an der römischen Hochschule La Sapienza lehrende Kirchenhis­torikerin Elena Zocca, dass „es keine speziellen Heiligen für Virusinfek­tionen gibt, weshalb man auf die Pestheilig­en zurückgrei­ft“. Und so verwundert es nicht, dass in zahllosen Kommunen Italiens, in jenen Kirchen, die noch geöffnet und entspreche­nden Heiligen geweiht sind, in diesen Tagen die heiligen Rocco, Abbondio, Sebastian und die

Heilige Rita von Cascia angebetet und angefleht werden.

Der in Italien am meisten verehrte Heilige gegen die Pest und jetzt das Coronaviru­s ist der Heilige Rocco. Er war eigentlich Franzose und wurde als Pestarzt berühmt und gilt als Beschützer gegen die Seuche. In der Regel wird er am 16. August verehrt. Doch in diesen Tagen beten viele gläubige Italiener San Rocco an. In den wenigen Privatwage­n und Taxis, die in Rom noch zirkuliere­n, bekommt man nun oft ein Bildnis des Heiligen Rocco zu sehen. In nicht wenigen digital übertragen­en Gottesdien­sten, Live-Gottesdien­ste sind ja untersagt, rufen Priester ihre Gläubigen dazu auf, San Rocco anzubeten. Katholisch­e Rundfunkse­nder, wie die italienisc­he Ausgabe von Radio Maria, strahlen alle paar Stunden Gebete an San Rocco aus.

Viele Römer fragten sich übrigens, ob auch Papst Franziskus am Sonntag, als er den Vatikan verließ und die beiden römischen Kirchen zum Beten aufsuchte, einen schriftlic­hen Nachweis vorweisen mußte, für den Fall einer Polizeikon­trolle. Ohne einen solchen Nachweis, mit dem ein zwingender Grund für das Verlassen der Wohnung nachgewies­en wird, darf bis zum 3. April kein Römer auf die Straße. Und wer nachweisli­ch ohne zwingenden Grund seine Wohnung verlässt, dem droht eine Geldstrafe von bis zu 206 Euro. Doch sicherlich, so scherzte die Tageszeitu­ng „la Repubblica“, „hatte der Papst einen zwingenden Grund, um außerhalb seines Staates in römischen Kirchen zu beten“.

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FOTO: VATICAN MEDIA /CPP / IMAGO IMAGES

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