Pest und Corona
Papst Franziskus betet für Beistand und bedient sich dabei einer alten Tradition
G- Papst Franziskus ging natürlich nicht den ganzen Weg zu Fuß. Vom Petersdom bis zur Chiesa di San Marcello in der zentralen und schnurgeraden Via del Corso sind es immerhin zwei bis drei Kilometer Luftlinie. Nur ein Stück Fußweg legte der 83-Jährige zurück. Ganz in Weiß gekleidet und mit ernstem und oft zu Boden geneigtem Blick.
Der Papst hatte auch etwas sehr Ernstes im Sinn. Ein Fürbittegebet. Bei einem Kruzifix, dass ein Wunder vollbracht haben soll. Anscheinend hielt er es für angebracht, nicht nur an dieses Wunder zu erinnern, sondern persönlich bei diesem Kruzifix dafür zu beten, dass erneut eines geschieht und Italien und die Welt von einem bösen Übel befreit werden: Dem Coronavirus, das jeden Tag neue und mehr Opern fordert.
1522 herrschte in Rom die Pest. Zahllose Todesfälle sorgten für Angst und Schrecken. Das Kruzifix aus der Kirche am Corso wurde deshalb in die Peterskirche gebracht. Es galt als heilig, hatte es doch, vollkommen „unverletzt“, jenen Brand am 23. Mai 1519 überstanden, der die ganze Kirche aber nicht das Kruzifix zerstört hatte. Die Prozession von der neuen Kirche in die Peterskirche dauerte ganze 16 Tage, vom 4. bis 20. August 1522. Die gesamte heutige Altstadt wurde von der Prozession besucht. Mit jedem Tag, den das Kruzifix durch die Stadt getragen wurde, sank die Zahl der Pestopfer. Schließlich, nach 20 Tagen, war es mit der Pest vorbei – so die Geschichte.
Am 15. März betete der Papst auch in der Basilika Santa Maria Maggiore. Dort befindet sich eine Ikone, die nicht von Menschenhand, so fromme Legenden, geschaffen worden sein soll. Der Maler sei, so heißt es, niemand Geringeres als der Apostel Lukas gewesen. Der Papst hat die als Madonna von Rom verehrte Mariendarstellung aufgesucht, weil sie seit Menschengedenken Schutz gegen Katastrophen, Krankheiten und Kriege bieten soll. Die Ikone wurde zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert geschaffen und soll, so glauben viele gläubige Römer, die ewige Stadt auch vor der Zerstörung durch alliierte Bomber am Ende des Zweiten Weltkriegs bewahrt haben.
Der Papst knüpft mit seinen beiden Besuchen in zwei Kirchen, mit seinen Bitten zum Ende der Virusinfektion, an eine uralte katholische Tradition an, die sich in weiten Gegenden Italiens noch bis heute erhalten hat. Wenn es zu wenig regnet, wenn landwirtschaftlich genutzte Böden austrocknen, wenn der Fluss Po tagelang über seine Ufer tritt oder wenn einzelne Italiener von einer schlimmen Krankheit betroffen sind, wenden sie sich oft an einen entsprechenden Schutzheiligen oder an die Madonna.
Dass Papst Franziskus ein Kruzifix und eine Ikone aufsuchte, die gegen die Pest geholfen haben soll, liege daran, so die an der römischen Hochschule La Sapienza lehrende Kirchenhistorikerin Elena Zocca, dass „es keine speziellen Heiligen für Virusinfektionen gibt, weshalb man auf die Pestheiligen zurückgreift“. Und so verwundert es nicht, dass in zahllosen Kommunen Italiens, in jenen Kirchen, die noch geöffnet und entsprechenden Heiligen geweiht sind, in diesen Tagen die heiligen Rocco, Abbondio, Sebastian und die
Heilige Rita von Cascia angebetet und angefleht werden.
Der in Italien am meisten verehrte Heilige gegen die Pest und jetzt das Coronavirus ist der Heilige Rocco. Er war eigentlich Franzose und wurde als Pestarzt berühmt und gilt als Beschützer gegen die Seuche. In der Regel wird er am 16. August verehrt. Doch in diesen Tagen beten viele gläubige Italiener San Rocco an. In den wenigen Privatwagen und Taxis, die in Rom noch zirkulieren, bekommt man nun oft ein Bildnis des Heiligen Rocco zu sehen. In nicht wenigen digital übertragenen Gottesdiensten, Live-Gottesdienste sind ja untersagt, rufen Priester ihre Gläubigen dazu auf, San Rocco anzubeten. Katholische Rundfunksender, wie die italienische Ausgabe von Radio Maria, strahlen alle paar Stunden Gebete an San Rocco aus.
Viele Römer fragten sich übrigens, ob auch Papst Franziskus am Sonntag, als er den Vatikan verließ und die beiden römischen Kirchen zum Beten aufsuchte, einen schriftlichen Nachweis vorweisen mußte, für den Fall einer Polizeikontrolle. Ohne einen solchen Nachweis, mit dem ein zwingender Grund für das Verlassen der Wohnung nachgewiesen wird, darf bis zum 3. April kein Römer auf die Straße. Und wer nachweislich ohne zwingenden Grund seine Wohnung verlässt, dem droht eine Geldstrafe von bis zu 206 Euro. Doch sicherlich, so scherzte die Tageszeitung „la Repubblica“, „hatte der Papst einen zwingenden Grund, um außerhalb seines Staates in römischen Kirchen zu beten“.