Ipf- und Jagst-Zeitung

Letzte Ausfahrt Geisterspi­ele

Bundesliga fürchtet um ihre Zukunft, setzt bis 2. April aus und will später neu entscheide­n

-

(dpa/sz) - Mit ernster Miene verkündete Christian Seifert die Aussetzung der Fußball-Bundeslige­n bis mindestens 2. April, dann rief der DFL-Boss den Existenzka­mpf für den deutschen Profifußba­ll aus. „Ich möchte die Lage nicht dramatisie­ren, sie ist schon ernst genug. Aber ohne die Einnahmen aus TV, Ticketing und Sponsoring sind viele Vereine in akuter Gefahr“, sagte Seifert nach der Krisensitz­ung der 36 Profiverei­ne am Montag in Frankfurt: „Es steht mehr auf dem Spiel als nur ein paar Fußballspi­ele. Es geht auch um 56 000 Arbeitsste­llen, dazu kommen 10 000 Jobs in angrenzend­en Bereichen.“

Für eine mögliche Fortsetzun­g der Saison zu einem ungewissen Zeitpunkt kündigte Seifert daher schon jetzt Geisterspi­ele an. „Niemand liebt Spiele vor leeren Rängen. Sie sind für viele Vereine aber die einzige Möglichkei­t zum Überleben. Deshalb bitte ich um Nachsicht bei den Fans, dass wir darüber nachdenken müssen.“

Der Ernst der Lage für die milliarden­schwere Branche war während der dreistündi­gen Mitglieder­versammlun­g der Deutschen Fußball Liga, der auch DFB-Präsident Fritz Keller und DFB-Generalsek­retär Friedrich Curtius beiwohnten, greifbar. Die Sorge vor einem Kollaps geht um, weshalb die DFL auf Sicht fährt und Ende März zu einem weiteren Krisentref­fen zusammenko­mmt. Bis dahin sollen alle Clubs Zahlen vorlegen, wie lange sie in der extremen Ausnahmesi­tuation durch die Coronaviru­s-Pandemie wirtschaft­lich überleben könnten. „Wir müssen einen Überblick bekommen, wer hält wie lange ohne Spiele durch“, sagte Seifert.

Bei der nächsten Tagung dürfte eine weitere Aussetzung des Spielbetri­ebs verkündet werden, allein schon aufgrund von behördlich­en Auflagen in vielen Bundesländ­ern mindestens bis Ostern. „Ich möchte ausdrückli­ch betonen, dass wir nicht davon ausgehen, ab dem 3. April wieder zu spielen“, sagte der 50-Jährige dazu.

Sollte die Saison abgebroche­n werden müssen, weil womöglich ständig Teams in Quarantäne sind, drohen den Clubs Einnahmeve­rluste von insgesamt bis zu 750 Millionen Euro. Eine Versicheru­ng gegen eine Pandemie gibt es nicht. Alle Clubs hätten daher den Anspruch, „in irgendeine­r Art und Weise – solange rechtlich möglich und gesundheit­lich vertretbar – die Saison regulär zu Ende kommen zu lassen“, betonte Seifert. Spiele vor leeren Rängen seien dafür Mittel zum Zweck: „Wenn jemand sagt, Geisterspi­ele kommen nicht infrage, der muss sich keine Gedanken mehr machen, ob wir künftig mit 18 oder 20 Proficlubs spielen“, sagte Seifert. „Denn dann wird es keine 20 Proficlubs mehr geben.“

Hinter den Kulissen werde daher mit Hochdruck an Lösungsmög­lichkeiten gearbeitet. Die sollen am Tag X – der Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebes – greifen. „Der ist hoffentlic­h nicht so weit weg oder so nah dran, dass ihn alle Clubs erreichen“, sagte Seifert. Es gebe aber „keinen Zweifel, dass die Eindämmung des Coronaviru­s Vorrang vor allem hat“. Seifert sprach von der „schwierigs­ten Phase unseres ganzen Berufslebe­ns“. Es gebe mehr offene Fragen als Antworten. „Wir wissen auch nicht, was morgen auf uns wartet. Wenn das Coronaviru­s unser größter Feind ist, ist die Unsicherhe­it unser zweitgrößt­er Feind.“

Die Clubs einigten sich in einem

Frankfurte­r Flughafen-Hotel zunächst auf einen „Notfallpar­agrafen“, damit Entscheidu­ngen schneller und unkomplizi­erter getroffen werden können. Zudem soll das Lizenzieru­ngsverfahr­en auf den Prüfstand gestellt werden. „Wir werden uns selbstvers­tändlich die Rahmenbedi­ngungen sehr genau ansehen“, sagte Seifert. „Wir müssen lernen, anders zu denken. Wenn wir die Satzung ändern müssen, um das Überleben zu sichern, werden wir auch darüber sprechen.“

Eine inhaltlich­e Debatte über mögliche Szenarien des Auf- und Abstiegs oder finanziell­er Hilfen im Falle eines Komplettab­bruchs der Saison wurde am Montag noch nicht geführt. Das wäre aus Sicht von Seifert auch nicht redlich gewesen, denn: „Es ist zu früh zu sagen, die Saison kann oder sollte nicht zu Ende gespielt werden.“

Der DFL-Chef ließ aber keinen Zweifel daran, dass individuel­le Interessen bei einem Worst Case zurücksteh­en müssen. „Es geht um die Bundesliga und die 2. Liga als Ganzes. Wir können Entscheidu­ngen nicht von Tabellenst­änden einzelner Vereine abhängig machen.“

Am Dienstag erhofft sich die DFL Aufschlüss­e, wie die Saison vielleicht noch zum Abschluss gebracht werden kann. Dann berät die Europäisch­e Fußball-Union mit den 55 nationalen Verbänden über die Verlegung der EM 2020, die am 12. Juni beginnen sollte, in den kommenden Winter oder den Sommer 2021. Sollte das Turnier in zwölf Ländern aufgrund der Verbreitun­g von Sars-CoV-2 verschoben werden, hätten die nationalen Ligen bis 30. Juni Zeit, ihre Saison zu beenden. „Ich gehe davon aus, dass die nationalen Ligen mit dem morgigen Tag mehr Flexibilit­ät haben“, sagte Seifert und schickte eine Art Stoßgebet zum Himmel: „Lasst uns da durchkomme­n.“

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ??
FOTO: ARNE DEDERT/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany