Stillstand
Produktion in Autoindustrie und Maschinenbau kommt im Südwesten und in Bayern zunehmend zum Erliegen
GRAVENSBURG - Stillstand in der Autoindustrie: Wegen der Coronapandemie fahren die Konzerne ihre Produktion herunter. Bei Daimler, Audi, Porsche, BMW, Volkswagen und vielen ihrer Rivalen in Europa und der Welt stehen die Bänder. Leidtragende sind in der Folge Zulieferer und Maschinenbauer – auch und vor allem im Südwesten und in Bayern. In ihren Erklärungen führen die Unternehmen den Schutz ihrer Mitarbeiter an, klar ist aber auch: Im Zuge der weltweiten Verbreitung des Virus brechen vielen Unternehmen die Aufträge weg.
Der Friedrichshafener Zulieferer ZF kündigte deshalb am Donnerstag an, Produktion und Verwaltung kontrolliert herunterzufahren. Dazu habe der Vorstand eine Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat zur Einführung von Kurzarbeit getroffen. „Wir gehen davon aus, dass wir die Arbeit sowohl in einzelnen Produktlinien als auch in ganzen Werken und Verwaltungsbereichen ruhen lassen werden“, sagte Personalvorstand Sabine Jaskula. „Dies geschieht, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen und um der Nachfrageunterbrechung der Auto- und Lkw-Hersteller zu folgen.“
Der baden-württembergische Zulieferer Bosch aus Renningen hatte bereits vor zwei Tagen begonnen, die Produktion in Werken in Frankreich, Italien und Spanien herunterzufahren oder auszusetzen. In den deutschen Standorten gebe es „momentan noch keinen Produktionsstopp“, derzeit könne man den Bedarf der Kunden bedienen. „Die Entwicklung ist dynamisch, wir stehen im engen Austausch mit unseren Kunden und Lieferanten und passen unsere Maßnahmen kontinuierlich an die Lage an“, sagte eine Sprecherin der „Schwäbischen Zeitung“. „Zudem sprechen wir derzeit mit unseren Arbeitnehmervertretern über mögliche, standortspezifische Maßnahmen, die den jeweiligen Rahmenbedingungen des Standorts gerecht werden.“
Auch der Zulieferer Schaeffler mit Sitz im bayerischen Herzogenaurach drosselt seine Produktion. Gemeinsam
mit der Arbeitnehmervertretung sei ein Maßnahmenpaket beschlossen worden, teilte Schaeffler am Donnerstag mit. Dazu gehöre auch Kurzarbeit. „Die Ausbreitung des Coronavirus stellt alle Unternehmen vor große Herausforderungen“, sagte Vorstandschef Klaus Rosenfeld. Oberste Priorität sei, die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen, Lieferketten soweit wie möglich intakt zu halten und den Einfluss der Krise auf Kunden zu minimieren.
Das Geschäft des Mechatronikspezialisten Marquardt mit Sitz in Rietheim-Weilheim (Kreis Tuttlingen) werde durch die derzeitige Entwicklung sehr stark beeinträchtigt. „Nachdem viele Automobilhersteller, die wir beliefern, ihre Produktion geschlossen haben, sind wir zu dieser sehr dynamischen Entwicklung weltweit in enger Abstimmung mit unseren Standorten und Kunden“, sagte ein Sprecher. Marquardt eruiere derzeit, welche Maßnahmen man für die Werke in Deutschland und international ableite. „Während unsere chinesischen Werke ihre Kapazitäten bereits wieder erhöhen, werden wir die Produktion in Europa und den USA für einige Zeit herunterfahren müssen“, erklärte der Sprecher.
Auch der oberschwäbische Wohnmobilbauer Hymer hat für Teile seiner Produktion am Stammsitz in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg) Kurzarbeit beantragt. Auf diese Weise bereite sich das Unternehmen, das zur Erwin-Hymer-Gruppe, Europas größtem Wohnmobilhersteller gehört, auf eine „Phase vorübergehend niedrigerer Nachfrage vor“und wolle gleichzeitig die Finanzkraft des Unternehmens und die Arbeitsplätze sichern. „Zudem leisten wir mit diesen Maßnahmen unseren Beitrag, die Belegschaft zu schützen, Infektionsketten zu unterbrechen und die Ausbreitung dieser Pandemie einzudämmen“, sagte Marketingchef Frank Heinrichsen.
Am Abend zuvor hatte erst der im benachbarten Aulendorf sitzende Hymer-Rivale Carthago erklärt, seine Produktion am Stammsitz zu reduzieren. „Wir werden den normalen Produktionsbetrieb deutlich zurückfahren“, hatte Technik-Geschäftsführer Anton Fetscher erklärt. Grund für den eingeschränkten Produktionsbetrieb ist nach Angaben des Unternehmens ein bestätigter Corona-Fall einer externen Mitarbeiterin. Darüber hinaus haben sich laut Carthago die bereits bestehenden Lieferengpässe aufgrund des Coronavirus verstärkt.
Nicht nur die Zulieferer haben zu kämpfen, auch die Maschinenbauer, die sowohl die Zulieferindustrie, als auch die Fahrzeughersteller selbst mit Maschinen ausstatten. Der Werkzeughersteller Mapal aus Aalen (Ostalbkreis) lässt zwei Drittel seiner Belegschaft seit Februar nur noch zu 80 Prozent arbeiten. Jetzt rechnet das Unternehmen damit, die Kurzarbeit „konkret kurzfristig erhöhen zu müssen“, wie ein Sprecher erläutert.
Der Maschinenbauer Chiron aus Tuttlingen produziert nach eigenen Angaben noch an allen Standorten. Der Geschäftsbetrieb sei aber „insgesamt etwas gehemmt“. „Durch die betrieblichen Regelungen unserer Kunden können wir teilweise die bestellten Maschinen nicht ausliefern, folglich auch nicht aufstellen und in Betrieb nehmen“, sagte ein Sprecher. Auch die Anzahl der Serviceeinsätze sei zurückgegangen, weil viele Unternehmen generell keine externen Personen mehr empfangen.
Wie ernst die Situation für die Zulieferer und die Autohersteller selbst ist, zeigt die Einschätzung von Rainer Neske, Chef der Landesbank Baden-Württemberg. Seit einiger Zeit sei es erklärtes Ziel, den Anteil der Autoindustrie am Kreditportfolio des Geldhauses „moderat zu reduzieren“, wie Neske dem „Handelsblatt“sagte.
Zu den wenigen Unternehmen, die sich den Folgen der Corona-Pandemie nach eigenen Angaben noch entziehen können, gehören der oberschwäbische Konzern Liebherr und der Zulieferer SHW mit Werken in Aalen, Bad Schussenried und Tuttlingen. „Die Liebherr-Sparten und Gesellschaften stehen in engem Austausch mit ihren Lieferanten und Kunden“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. „Größere Beeinträchtigungen in der Wertschöpfungskette konnten auf diese Weise bislang weitgehend vermieden werden.“Bei SHW heißt es nur: „Aktuell sind alle SHW-Produktionen unverändert in Betrieb.“